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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.09.2003
Aktenzeichen: 3 Ws 261/03
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 83
BRAGO § 84
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Beschluss

Strafsache

wegen Beihilfe zum schweren Raub

Auf die sofortige Beschwerde der ehemaligen Angeklagten vom 13. Mai 2003 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Essen vom 17.04.2003 sowie auf die (unselbstständige) Anschlussbeschwerde des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Juni 2003 gegen den vorgenannten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 09. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der ehemaligen Angeklagten bzw. ihres Verteidigers und des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der ehemaligen Angeklagten wird auf deren Kosten als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdewert wird auf 1.018,88 € festgesetzt.

Auf die unselbstständige Anschlussbeschwerde wird der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss dahingehend abgeändert, dass die der ehemaligen Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 420,62 € festgesetzt werden.

Die Kosten der Anschlussbeschwerde fallen der ehemaligen Angeklagten zur Last; die Gerichtsgebühr wird jedoch um 64 % ermäßigt. In diesem Umfang trägt auch die Staatskasse die der früheren Angeklagten durch die Anschlussbeschwerde entstandenen notwendigen Auslagen.

Der Beschwerdewert für die Anschlussbeschwerde wird auf 215,33 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die frühere Angeklagte ist durch Urteil des Landgerichts Essen vom 27.01.2003 von dem Vorwurf der Beihilfe zu einem schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der früheren Angeklagten wurden der Landeskasse auferlegt.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 31.01.2003 hat der Verteidiger der ehemaligen Angeklagten, der ab dem 12.06.2001 zunächst als Wahlverteidiger tätig war und durch Beschluss der Strafkammer vom 22.06.2001 zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, die Festsetzung von notwendigen Auslagen der früheren Angeklagten in Höhe von 1.518,41 € beantragt. Mit Beschluss vom 17.04.2003 hat der Rechtspfleger des Landgerichts Essen die der früheren Angeklagten gemäß §§ 467 StPO, 467 a StPO aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 499,53 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der früheren Angeklagten vom 13.05.2003, mit der weiterhin die Festsetzung der ursprünglich beantragten Gebühren begehrt wird.

Der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm hat unter dem 06.06.2003 zu der Beschwerde der ehemaligen Angeklagten Stellung genommen und gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17.04.2003 (unselbstständige) Anschlussbeschwerde eingelegt, mit der er beantragt, die notwendigen Auslagen der ehemaligen Angeklagten auf 284,20 € festzusetzen. Der Verteidiger der ehemaligen Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 01.07.2003 die Zurückweisung der Anschlussbeschwerde beantragt.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Einzelheiten des Kostenfestsetzungsantrags vom 31.01.2003 auf Bl. 23 g Bd. II d.A., hinsichtlich der Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Landgericht Essen vom 27.03.2003 auf Bl. 23 e, Bd. II d.A., hinsichtlich des angefochtenen Beschlusses vom 17.10.2003 auf Bl. 34, Bd. II d.A., hinsichtlich der Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 06.06.2003 auf Bl. 58, Bd. II d.A. und hinsichtlich des Schriftsatzes des Verteidigers der ehemaligen Angeklagten vom 01.07.2003 auf Bl. 67, Bd. II d.A. verwiesen.

Die von dem Verteidiger der ehemaligen Angeklagten mit Schriftsatz vom 17.03.2003 (Bl. 20, Bd. II d.A.) geltend gemachten Pflichtverteidigergebühren wurden antragsgemäß in Höhe von 567,36 € zuzüglich 16 % Umsatzsteuer (90,78 €), also in Höhe von 658,14 € als erstattungsfähig angesehen und in dieser Höhe durch Verfügung vom 24.03.2003 zur Auszahlung angewiesen.

II.

Die gemäß §§ 464 b S. 3 StPO, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, 11 Abs. 2 RPflG zulässige sofortige Beschwerde der ehemaligen Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die in dem Kostenfestsetzungsantrag vom 31.01.2003 in Ansatz gebrachten Gebühren gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 BRAGO sind im Ergebnis als unbillig hoch und deshalb für das Kostenfestsetzungsverfahren als nicht verbindlich anzusehen.

Die Höhe der erstattungsfähigen Gebühren gemäß den §§ 83 ff. BRAGO bestimmt sich nach den Grundsätzen des § 12 BRAGO. Wie der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm in seiner Stellungnahme vom 06.06.2003 zutreffend ausgeführt hat, ist eine Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts ab einer Abweichung von mehr als 20 % von der angemessenen Gebühr als unbillig und deshalb gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO für die erstattungspflichtige Staatskasse als nicht mehr verbindlich anzusehen.

Hinsichtlich der von der ehemaligen Angeklagten in Ansatz gebrachten Gebühr gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO teilt der Senat die Auffassung des Leiters des Dezernats 10, dass die gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 BRAGO zu berücksichtigende Bedeutung der Angelegenheit für die ehemalige Angeklagte als durchschnittlich einzustufen ist. Dass bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe jedenfalls die nächsten Angehörigen des Verurteilten mitbetroffen sein werden, stellt den Regelfall dar, so dass der Umstand, dass die ehemalige Angeklagte zumindest vorübergehend nicht mehr für ihre beiden Kinder hätte sorgen können, wenn sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre, entgegen der Ansicht des Verteidigers der früheren Angeklagten nicht ausreicht, um eine überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit anzunehmen. Abgesehen davon war im vorliegenden Verfahren unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der ehemaligen Angeklagten nur eine Beihilfehandlung vorgeworfen worden und diese bisher nicht vorbestraft war, die Verhängung einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe ohnehin unwahrscheinlich.

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der ehemaligen Angeklagten können allenfalls als durchschnittlich, und zwar im unteren Bereich, eingestuft werden. Im Rubrum des Urteils des Landgerichts Essen vom 27.01.2003 ist die ehemalige Angeklagte als Hausfrau aufgeführt, so dass davon auszugehen ist, dass sie keiner entgeltlichen Beschäftigung nachgeht. Dass sie zum Zeitpunkt der Auftragserteilung bzw. später berufstätig gewesen ist, also über eigene Einkünfte verfügt hat, hat auch ihr Verteidiger nicht vorgetragen. Auch aus der Ermittlungsakte ergeben sich dafür keinerlei Anhaltspunkte. Der ehemaligen Angeklagten standen bzw. stehen daher allenfalls Unterhaltsansprüche gegen ihren damals mitangeklagten Ehemann zu. Dieser verdiente nach den Feststellungen des Landgerichts Essen in dem Urteil vom 27.01.2003 monatlich 3.600,- bis 4.000,- DM netto. Angesichts dessen kann von außerordentlich guten Einkommensverhältnissen der ehemaligen Angeklagten, wie von ihrem Verteidiger geltend gemacht wird, nicht die Rede sein.

Der Senat folgt auch der Auffassung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm in seiner Stellungnahme vom 06.06.2003, dass die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit als durchschnittlich, deren Umfang aber als überdurchschnittlich einzustufen ist.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin wird in dieser Stellungnahme nicht nur eine "Nettositzungsdauer", sondern die in der Sitzungsniederschrift des Landgerichts Essen vom 27.01.2003 vermerkte Sitzungsdauer von 10.10 Uhr bis 14.20 Uhr, und damit die tatsächliche Hauptverhandlungsdauer einschließlich der (zahlreichen) Sitzungsunterbrechungen bzw. Pausen zugrunde gelegt. Die Sitzungsdauer von 4 Stunden und 10 Minuten wird zutreffend als für eine Strafkammer durchschnittlich bewertet. Die von dem Verteidiger der früheren Angeklagten für den 27.01.2003 angegebenen Fahrtzeiten von einer Stunde (Hinfahrt) und 40 Minuten (Rückweg) bei einer Fahrstrecke von jeweils 22 km führen nicht dazu, dass das Verfahren als für den Verteidiger besonders umfangreich anzusehen ist. Denn für diesen Zeitaufwand besteht gemäß § 28 Abs. 1 S. 1 BRAGO ein Anspruch auf Erstattung der insoweit entstandenen Fahrtkosten sowie auf Zahlung eines Tages- und Abwesenheitsgeldes (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 - 4 StR 225/00 -/www.caselaw.de), der vorliegend auch von dem Verteidiger mit dem Kostenerstattungsantrag betreffend Pflichtverteidigergebühren vom 17.03.2003 geltend gemacht worden ist. Unter Berücksichtigung des überdurchschnittlichen Umfangs der Anwaltstätigkeit und der noch als durchschnittlich einzustufenden wirtschaftlichen Verhältnisse der ehemaligen Angeklagten hält der Senat allerdings in Abweichung von der Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm die mit dem angefochtenen Beschluss festgesetzte Gebühr gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO in Höhe von 572,65 € für angemessen, aber auch ausreichend.

Die von dem Verteidiger der ehemaligen Angeklagten angemeldete Gebühr von zuletzt 767,16 € mit Schriftsatz vom 01.07.2003 übersteigt die festgesetzte Gebühr um 35,71 % und ist deshalb für die Landeskasse nicht verbindlich.

Hinsichtlich der von dem Verteidiger der ehemaligen Angeklagten in Ansatz gebrachten Gebühr gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO hält der Senat in Abweichung von der Festsetzung in dem angefochtenen Beschluss aber auch entgegen der Ansicht des Leiters des Dezernats 10 den Ansatz der Mittelgebühr in Höhe von 224,97 € (440,- DM) für angemessen.

Der Fortsetzungstermin am 27.01.2003 begann ausweislich der Sitzungsniederschrift des Landgerichts Essen vom selben Tag um 10.50 Uhr und endete um 13.55 Uhr. Er dauerte daher nicht nur 2 Stunden und 5 Minuten, wie von dem Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm angenommen worden ist, sondern 3 Stunden und 5 Minuten, allerdings bei einer längeren Unterbrechung von 11.30 Uhr bis 12.20 Uhr. Aber auch die Dauer von ca. 3 Stunden ist für ein Verfahren vor der Großen Strafkammer des Landgerichts als deutlich unterdurchschnittlich anzusehen. Die Fahrtzeiten des Verteidigers, die für die Wahrnehmung dieses Termins angefallen sind, sind ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die anwaltliche Tätigkeit ist im Hinblick auf die angefallenen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten, wie der Verteidiger der ehemaligen Angeklagten in seinem Schriftsatz vom 01.07.2003 selbst ausführt, als durchschnittlich anzusehen. Diese Bewertung gilt nach Auffassung des Senates auch hinsichtlich des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit während des Fortsetzungstermins. Die Besichtigung des Tatortes durch den Verteidiger zwischen den beiden Hauptverhandlungsterminen wurde bereits bei der Bemessung der Höhe der Gebühr nach § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO berücksichtigt. Denn durch diese Gebühr wird die gesamte Anwaltstätigkeit nicht nur im ersten Hauptverhandlungstermin, sondern auch im übrigen Hauptverfahren abgegolten, wie der Leiter des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts Hamm in seiner Stellungnahme vom 06.06.2003 zutreffend ausgeführt hat. In Abweichung von dieser Stellungnahme ist der Senat allerdings nicht der Auffassung, dass sich die Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Fortsetzungstermin dadurch deutlich verringert hat, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Termin auf Freispruch der ehemaligen Angeklagten plädiert hatte. Erleichtert werden kann die anwaltliche Tätigkeit durch einen solchen Antrag allenfalls dadurch, dass der Anwalt ggf. auf auch nach seiner Auffassung zutreffende Ausführungen der Staatsanwaltschaft in seinem Plädoyer Bezug nehmen kann. Letztlich entscheidend ist für den Angeklagten aber die Überzeugung des Gerichts, ob er als überführt anzusehen oder freizusprechen ist. Die diesbezüglich zu leistende Überzeugungsarbeit des Verteidigers ist daher regelmäßig auch dann zu erbringen, wenn die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädiert hat.

Die von dem Verteidiger der ehemaligen Angeklagten für den Fortsetzungstermin in Ansatz gebrachte Gebühr in Höhe von 390,- € übersteigt die als angemessen anzusehende Mittelgebühr in Höhe von 224,97 € um mehr als 73 % und ist daher für die Landeskasse nicht verbindlich.

Die von dem Verteidiger der ehemaligen Angeklagten angemeldeten Auslagen (Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld, Post- und Telekommunikationsentgelte sowie Schreibauslagen) in Höhe von insgesamt 132,36 € sind, wie in der Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts in Hamm ausgeführt worden ist, bereits als Pflichtverteidigerkosten gemäß § 98 BRAGO aus der Landeskasse erstattet worden, so dass sie im Rahmen der Festsetzung der notwendigen Auslagen nach § 464 b StPO keine Berücksichtigung mehr finden können.

Auch die geltend gemachten Auslagen für die Aktenversendungspauschale in Höhe von 7,67 € können nicht abgesetzt werden. Wie in der vorgenannten Stellungnahme vom 06.06.2003 zutreffend ausgeführt worden ist, ist aus den Akten nicht zu erkennen, dass diese Kosten dem Pflichtverteidiger entstanden sind. Insbesondere waren dem Schriftsatz vom 27.06.2001 entgegen den Ausführungen des Verteidigers in seinem Schriftsatz vom 01.07.2003 Kostenmarken in Höhe der Aktenversendungspauschale von 15,- DM nicht beigefügt.

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen ergibt sich folgender Auslagenerstattungsanspruch der ehemaligen Angeklagten:

Gebühr gemäß § 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 572,65 € Gebühr gemäß § 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO 224,97 € 797,62 € abzüglich der antragsgemäß festgesetzten Pflichtverteidigergebühren (240,- € + 195,- €) 435,00 € 362,62 € 16 % Mehrwertsteuer 58,02 € 420,64 €

III.

Die unselbstständige Anschlussbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg. Sie führt unter Berücksichtigung der vorangegangenen Ausführungen unter II. zu einer Abänderung des angefochtenen Kostenfestsetzungsgbeschlusses dahingehend, dass die der ehemaligen Angeklagten aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 420,64 € festgesetzt werden.

IV.

Die Kostenentscheidungen folgen aus § 473 Abs. 1 StPO sowie aus einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 3 StPO.

Ende der Entscheidung

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