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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.07.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 271/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 153
Der Ausschluss der Anfechtbarkeit der Verfahrenseinstellung gem. § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO bezieht sich ausschließlich auf die Ermessensentscheidung als solche, die Beschwerde ist indes gleichwohl gegeben ist, wenn es an einer prozessualen Voraussetzung für die Einstellung fehlt.
Beschluss Strafsache

gegen S.S.

wegen räuberischen Diebstahls u.a., (hier: Beschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO).

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen den Beschluss der XVII. großen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 10.03.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 07. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss der XVII. großen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 10.03.2006 wird aufgehoben.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 01.06.2006 Folgendes ausgeführt:

" I.

Das Amtsgericht Essen hat die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 22.01.2004 wegen räuberischen Diebstahls u.a. (Bl. 43 - 46 d.A.) mit Beschluss vom 26.02.2004 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht eröffnet (Bl. 49 d.A.). Nach Vernehmung der Angeklagten und der Zeugin S. im Hauptverhandlungstermin am 06.05.2004 (Bl. 58 - 62 d.A.) hat es die Hauptverhandlung ausgesetzt und die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit beschlossen. Der mit der Exploration der Angeklagten beauftragte Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde Dr. L. in Essen hat in seinem Gutachten vom 20.12.2004 (Bl. 74 - 84 d.A.) bei der Angeklagten eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert, auf Grund derer Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB bestehe, und ferner ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB für erforderlich gehalten, weil sie krankheitsuneinsichtig sei und auf Grund ungesteuerter Aggressivität und erheblicher sozialer Defizite davon ausgegangen werden müsse, dass sie weitere gleichartige Taten begehen werde. Daraufhin hat das Amtsgericht Essen die Sache mit Beschluss vom 03.02.2005 gem. § 270 StPO - insoweit ist in dem Verweisungsbeschluss unzutreffend § 225 a StPO in Bezug genommen - an das Landgericht - Strafkammer - Essen verwiesen, weil eine Maßregel gem. § 63 StGB in Betracht komme (Bl. 93 d.A.).

Das Landgericht Essen hat - nachdem ein zunächst auf den 29.07.2005 anberaumter Hauptverhandlungstermin wegen Verhinderung des Sachverständigen aufgehoben worden war (Bl. 97, 106 d.A.) - Hauptverhandlungstermin auf den 23.08.2005 bestimmt, in welchem die Angeklagte nicht erschien. Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Essen, Haftbefehl gem. § 230 StPO zu erlassen, hat es nach Anhörung des Sachverständigen Dr. L. dazu, ob eine vorläufige Unterbringung der Angeklagten angezeigt sei, das Verfahren erneut ausgesetzt und angeordnet, dass zu einem noch zu bestimmenden neuen Hauptverhandlungstermin die Angeklagte polizeilich vorgeführt werden solle (Bl. 114, 115 d.A.).

Am 18.01.2006 hat der Vorsitzende der Strafkammer in den Akten niedergelegt, dass die Angeklagte seit dem 12.08.2003 nicht mehr auffällig geworden sei und in Anbetracht des nicht erheblichen Gewichts der ihr vorgeworfenen Tat, des Zeitablaufs wie auch des Umstandes, dass der Sachverständige bereits im Hauptverhandlungstermin am 23.08.2005 eine vorläufige Unterbringung nicht als angezeigt erachtet hatte, eine Maßregel gem. § 63 StGB nicht (mehr) in Betracht komme (Bl. 128 d.A.). Im Hauptverhandlungstermin am 10.03.2006, welchem die Angeklagte abermals fernblieb, hat die Strafkammer dem anwesenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidigerin den Hinweis erteilt, dass sie lediglich von einer Tat des Diebstahls sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung ausgehe. Daraufhin haben die Verteidigerin und der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ihr Einverständnis zu einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153 Abs. 2 StPO erklärt (Bl. 149 - 151 d.A.). Mit Beschluss vom selben Tage hat die Strafkammer das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung gem. § 153 Abs. 2 StPO eingestellt (Bl. 154 d.A.). Dagegen richtet sich die am 28.03.2006 bei dem Landgericht Essen eingegangene und am 20.04.2006 begründete (Bl. 171 - 174 d.A.) Beschwerde der Staatsanwaltschaft Essen vom selben Tage (Bl. 166, 168 d.A.), der die Strafkammer mit Beschluss vom 19.04.2006 nicht abgeholfen hat (Bl. 175, 176 d.A.).

II.

Dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Essen sowie seiner Begründung trete ich bei und bemerke ergänzend:

Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft der vorläufigen Einstellung in der Hauptverhandlung zugestimmt hat, denn hinsichtlich ihrer Beschwer gelten für Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft andere Grundsätze als für den Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft ist nämlich als ein dem Gericht gleichgeordnetes Organ der Strafrechtspflege neben dem Gericht für die Rechtmäßigkeit und die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens verantwortlich (zu vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2004, 144 m.w.N.).

Zutreffend hat die Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass der Ausschluss der Anfechtbarkeit der Verfahrenseinstellung gem. § 153 Abs. 2 Satz 4 StPO sich ausschließlich auf die Ermessensentscheidung als solche bezieht, indes die Beschwerde gleichwohl gegeben ist, wenn es an einer prozessualen Voraussetzung für die Einstellung fehlt (zu vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

Jedoch hat die Strafkammer zu Unrecht die Prozessvoraussetzungen für eine Einstellung gem. § 153 Abs. 2 StPO angenommen. Gegenstand des Verfahrens ist nach der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage ein Verbrechen gem. §§ 12, 249, 252 StGB. nach der Verweisung der Sache durch das Amtsgericht an das Landgericht hat eine weitere Sachaufklärung nicht stattgefunden. Soweit die Staatsanwaltschaft Essen in ihrer Beschwerdebegründung ausführt, der Sachverständige sei im Hauptverhandlungstermin am 10.03.2006 von seinem schriftlich erstatteten Gutachten abgerückt, findet sich in dem Hauptverhandlungsprotokoll kein Hinweis darauf, dass er überhaupt, z.B. informatorisch, angehört worden ist. Bereits die ohne nachvollziehbare Sachaufklärung und erkennbar allein zu dem Zweck, von dem angeklagten und zugelassenen Vorwurf des Verbrechens Abstand nehmen zu können, vorgenommene abweichende rechtliche Einordnung der Tat, um eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO zu ermöglichen, ist objektiv willkürlich und zwingt zur Aufhebung der Entscheidung (OLG Hamm, a.a.O.).

Unbeschadet davon tragen die Erwägungen der Strafkammer, die Angeklagte habe ohne Beutesicherungsabsicht gehandelt, nicht. Sie verkennt und lässt unerörtert, dass die Verteidigung des Diebesgutes nicht der einzige Beweggrund für die Gewaltanwendung sein muss, sondern durchaus neben andere verhaltensbestimmende Motive treten kann (zu vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 252 Rdnr. 9 m.w.N.). Im Übrigen spricht in der konkreten und von der Zeugin S. beschriebenen Tatsituation nichts dafür, die Angeklagte habe (allein) auf grund einer Wahnsymptomatik Gewalt gegen sie verübt. Das zielgerichtete und auf Erlangung von Bargeld angelegte Tatverhalten der Angeklagten ging der Notwehrhandlung der Geschädigten nahtlos voraus (Bl. 7, 30 d.A.). Insofern ist nicht ersichtlich, worin die Annahme der Strafkammer, die Gewaltanwendung der Angeklagten sei nicht durch Beutesicherungsabsicht motiviert gewesen, ihre tatsächliche Grundlage findet. Es lag weder ein erheblicher zeitlicher Abstand zwischen der vorangegangenen Wegnahme der Geldscheine vor, noch hat die Geschädigte einen Bruch in dem Verhalten der Angeklagten beschrieben.

Ob die Gefährlichkeit der Angeklagten für die Allgemeinheit noch zu bejahen ist und von ihr weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, ist demgegenüber allein für die Frage, ob eine Maßregel gem. § 63 StGB zu verhängen ist bzw. ihre bedingte Aussetzung in Betracht kommt, von Bedeutung. Allerdings hat die Strafkammer in diesem Zusammenhang übersehen, dass die Angeklagte zuletzt noch mit Schreiben vom 06.02.2006 an die Generalstaatsanwaltschaft Hamm (Bl. 139, 140 d.A.) ausgeführt hat, man müsse "gegen solche Judenanwälte ... Stasigas" einsetzen, man müsse sie "wegtun". Darin manifestiert sich ihre anhaltende Fremdaggressivität, deren Gewicht in einer Hauptverhandlung aufzuklären sein wird."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine weitere prozessuale Voraussetzung für die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO hier deshalb fehlt, weil die Einstellung entgegen § 153 Abs. 2 S. 1 StPO ohne Zustimmung der Angeklagten selbst erfolgt ist und auch nicht die Voraussetzungen für ein zulässiges Verhandeln in Abwesenheit der Angeklagten gemäß § 232 StPO gegeben waren. Damit reichte allein die Zustimmung der Pflichtverteidigerin zur Einstellung des Verfahrens nicht aus.

Ende der Entscheidung

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