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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.01.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 34/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 44
StPO § 311 Abs. 2
Das Gericht, an das ein fristgebundenes Rechtsmittel fälschlicherweise übersandt wurde, ist nicht verpflichtet, das Rechtsmittelschreiben unter Anwendung von Eilmaßnahmen an das zuständige Gericht zu übersenden. Es ist lediglich die Weiterleitung im normalen Geschäftsgang erforderlich. Das gilt selbst dann, wenn sich der Eingabe neben dem korrekten Adressaten (für einen Juristen) sogleich entnehmen lässt, dass Fristversäumnis droht (Bestätigung von OLG Hamm NJW 1997, 2829).
Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Lübbecke hat den Verurteilten mit Urteil vom 26.04.2007 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit Urteil vom 16.11.2007 gemäß § 329 StPO verworfen. Das Urteil ist dem Angeklagten am 26.11.2007 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 29.11.2007, eingegangen beim Landgericht Bielefeld am 04.12.2007, hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, betreffend die Versäumung der Hauptverhandlung beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen, da es verspätet angebracht und Wiedereinsetzungsgründe nicht glaubhaft gemacht worden seien. Dieser Beschluss nebst Rechtsmittelbelehrung ist dem Angeklagten ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 80 d.A.) am 20.12.2007 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 22.12.2007 hat der Angeklagte dagegen sofortige Beschwerde eingelegt. Das Schreiben ist am 27.12.2007 im Nachtbriefkasten des Amtsgerichts Lübbecke eingegangen und von dort aus am 28.12.2007 an das Landgericht Bielefeld weitergeleitet worden, wo es am 02.01.2008 einging.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.

Sie wurde nicht innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO, also hier bis zum 27.12.2007, bei dem Gericht, von dem die angefochtene Entscheidung erlassen wurde (§ 306 StPO), hier also dem Landgericht Bielefeld, eingelegt.

2. Es ist hier auch keine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Frist zur sofortigen Beschwerde von Amts wegen zu gewähren, da das Beschwerdeschreiben zwar an das richtige Gericht gerichtet ist, aber bei dem falschen Gericht in den Briefkasten eingeworfen wurde, wobei sich der Angeklagte (das wird aus dem Fehlen einer Briefmarke oder sonstiger Wertzeichenstempler ersichtlich) nicht eines Briefbeförderungsunternehmens bedient hat. Wird aber ein Schreiben von dem Beschwerdeführer trotz entsprechender Rechtsmittelbelehrung bei dem falschen Gericht eingeworfen, so ist dies schuldhaft (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 44 Rdn. 12). Dieses wird hier auch nicht dadurch gehindert, dass das Schreiben, welches am letzten Tag der Frist beim Amtsgericht Lübbecke einging, nicht unter Anwendung von entsprechenden Eilmaßnahmen an das Landgericht Bielefeld weitergeleitet wurde. Ob das überhaupt möglich war, ist fraglich (wenn der Einwurf nach Dienstschluss am 27.12.2007 erfolgte). Das kann aber dahinstehen. Nach überwiegender Rechtsprechung liegt nur dann ein das Verschulden des Beschwerdeführers ausschließendes Verschulden der Justizbehörden vor, wenn die Schrift bei der unzuständigen Stelle so rechtzeitig eingeht, dass sie bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang noch rechtzeitig an das zuständige Gericht hätte weitergleitet werden können (OLG Braunschweig NStZ 1988, 514; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 184; OLG Hamm NJW 1997, 2829, 2830; OLG Naumburg NStZ-RR 2001, 272, 273 jew. m.w.N.). Das war aber hier nicht der Fall. Selbst bei Übersendung des Schreibens noch am 27.12.2007 an das Landgericht, wäre es dort erst nach Fristablauf eingegangen.

Das Amtsgericht war nicht verpflichtet, Eilmaßnahmen zur Übersendung des Schreibens zu ergreifen. Teilweise wird zwar vertreten, dass solche aus Gründen der prozessualen Fürsorgepflicht ergriffen werden müssen, wenn sich der Eingabe neben dem korrekten Adressaten sogleich entnehmen lässt, dass der Ablauf der Rechtsmittelfrist unmittelbar bevorsteht und anderenfalls deren Versäumung droht (OLG Hamm NZV 2004, 50 f.; vgl. auch: OLG Zweibrücken NJW 1982, 1008). Dem Beschwerdeschreiben war der richtige Adressat ohne weiteres zu entnehmen. Auch ging aus dem Einleitungssatz hervor, dass es sich um eine sofortige Beschwerde handelt und wann die angefochtene Entscheidung dem Betroffenen zugestellt wurde, so dass dem Rechtskundigen der Fristablauf erschließbar war. Der genannten Ansicht vermag sich der Senat aber nicht anzuschließen. Er verbleibt bei seiner Auffassung, wie sie auch in der Senatsentscheidung NJW 1997, 2829 niedergelegt ist. Darin heißt es:

"Soweit eine Verpflichtung eines angegangenen unzuständigen Gerichtes zur Ergreifung derartiger Eilmaßnahmen aus der auch diesen Gerichten obliegenden prozessualen Fürsorgepflicht hergeleitet wird, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Im Rahmen dieser Verpflichtung sind die Gerichte zwar gehalten, den Rechtssuchenden erforderlichenfalls bei der Wahrung seiner Rechte oder der Verfolgung seiner berechtigten Interessen zu unterstützen oder ihm dabei behilflich zu sein. Diese Verpflichtung geht aber nicht so weit, daß dem von einer ungünstigen Gerichtsentscheidung Betroffenen die diesem nach dem Gesetz obliegende Verantwortung für den richtigen Adressaten eines gegen diese Entscheidung gerichteten Rechtsmittels allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden müßte (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173). Dies wäre aber der Fall, wenn ein angegangenes unzuständiges Gericht auch durch außerordentliche Maßnahmen dafür Sorge zu tragen hätte, daß eine bei ihm eingegangene Rechtsmittelschrift noch rechtzeitig bei dem dafür zuständigen Gericht eintrifft. Denn die Annahme einer solchen Verpflichtung würde letztlich zur Folge haben, daß der von einer ungünstigen Gerichtsentscheidung Betroffene seine Rechtsmittelschrift bei jedem beliebigen Gericht oder einer Staatsanwaltschaft bis zum letzten Tag der Rechtsmittelfrist bis kurz vor Ende der normalen Dienstzeit einreichen könnte, ohne eine Fristversäumung befürchten zu müssen, obwohl nach dem Strafprozeßrecht dem Betroffene die Fristwahrung, wozu auch die Einreichung der Rechtsmittelschrift bei dem dafür zuständigen Gericht gehört, obliegt (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ 1984, 184). Da gem. § 35a StPO strafgerichtliche Entscheidungen, die durch ein befristetes Rechtsmittel angefochten werden können, bei ihrer Bekanntmachung gegenüber dem Betroffene mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen sind, die auch eine Angabe des Gerichts oder derjenigen Gerichte enthält, bei denen das Rechtsmittel einzulegen ist, besteht auch im Strafverfahren kein begründeter Anlaß, den Betroffene von dem Risiko einer Fristversäumung infolge der Einreichung eines Rechtsmittels bei dem dafür unzuständigen Gericht nahezu vollständig zu befreien. Auch nach der Auffassung des BVerfG (NJW 1995, 3173, 3175) ist ein unzuständig angegangenes Gericht, wenn es im Rahmen der ihm obliegenden Fürsorgepflicht zu einer Weiterleitung bei ihm eingegangener fristgebundener Rechtsmittelschriftsätze verpflichtet ist, nur gehalten, diese im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten."

Eine andere Handhabung wäre auch im Justizbetrieb praktisch nicht sinnvoll durchführbar. Sie würde den die Posteingänge bearbeitenden Justizmitarbeitern, welche im Regelfall keine Juristen sind, die von ihnen im Regelfall nicht erfüllbare Pflicht auferlegen, die eingegangenen Schreiben, die an andere Behörden adressiert sind, darauf hin zu überprüfen, ob Fristablauf droht oder nicht und ob zur Fristwahrung die Weiterleitung im normalen Geschäftsbetrieb ausreicht oder nicht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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