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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 454/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 44
StPO § 329
Zur Frage, wann der Angeklagte auf eine Mitteilung seines Verteidigers vertrauen darf, dass er bei Gericht nicht zu erscheinen braucht.
Beschluss

Strafsache

gegen E.S.

wegen Betruges,

(hier: sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung).

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 24. August 2006 gegen den Beschluss der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 11. August 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 09. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 14. Juli 2006 gewährt.

Die hilfsweise eingelegte Revision ist infolgedessen gegenstandslos.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 7. Dezember 2005 wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner rechtzeitig eingelegten Berufung, aufgrund derer das Landgericht Essen Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 14. Juli 2006, 11.00 Uhr anberaumte. Durch Urteil vom 14.07.2006 verwarf die IV. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO, weil der Angeklagte zur Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war. Hiergegen wandte sich der Angeklagte mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter näheren Ausführungen. Insbesondere hat er geltend gemacht, dass ihn an seinem Nichterscheinen zum Berufungshauptverhandlungstermin kein Verschulden treffe, weil sein - am Terminstage plötzlich reise- und verhandlungsunfähig erkrankte - Verteidiger ihm morgens mitgeteilt habe, dass er soeben einen Terminsverlegungsantrag dem Gericht per Fax übersandt habe und er davon ausgehe, dass das Gericht einen neuen Hauptverhandlungstermin anberaumen werde. Im Vertrauen auf diese Erklärung des Verteidigers sei er zum Termin nicht erschienen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 11.08.2006 hat die Strafkammer den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen, weil der Angeklagte nicht ohne sein Verschulden am Erscheinen im Hauptverhandlungstermin vom 14.07.2006 gehindert gewesen sei, denn er hätte sich durch Rückfrage bei Gericht vergewissern müssen, ob der Termin stattfinde.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Angeklagte mit der sofortigen Beschwerde, die er näher ausführt und mit einer eidesstattlichen Versicherung des Verteidigers, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten verwiesen wird, belegt.

II.

Die gemäß § 46 Abs. 3 StPO statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen den die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung gemäß § 329 Abs. 3 StPO ablehnenden Beschluss des Landgerichts ist zulässig und begründet. Der Angeklagte hat hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass er an der Teilnahme der Berufungshauptverhandlung ohne Verschulden gehindert war. Sein Ausbleiben in der Hauptverhandlung ist entschuldigt, weil ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles daraus billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann. Angesichts der konkreten Umstände des Falles, insbesondere der klaren Angabe seines Verteidigers, dass er - der Angeklagte - allein zu dem Termin nicht erscheinen brauche und dass der Verteidiger wegen seiner plötzlichen Erkrankung einen Terminsverlegungsantrag gestellt habe und der Verteidiger davon ausgehe, dass der Termin verlegt werde, ist vorliegend der Schluss gerechtfertigt, dass die Fristversäumung in den Verantwortungsbereich des Prozessbevollmächtigten fällt und dem Angeklagten hier kein Mitverschulden zur Last zu legen ist. Der Angeklagte konnte wegen des kurzen Zeitraums bis zum Beginn des Hauptverhandlungstermins von ein bis zwei Stunden und aufgrund der Tatsache, dass er sich bereits nicht mehr an seinem Wohnort in Salzgitter, sondern bereits in Essen befand, nicht davon ausgehen, dass ihn noch eine Mitteilung des Gerichts erreichen werde. Bei dieser Konstellation ist der Angeklagte nicht gehalten gewesen, durch eigene telefonische Nachfrage bei Gericht die klare Information seines Verteidigers zu überprüfen oder sie in Frage zu stellen oder gar entgegen der erhaltenen Information seinen Weg zum Gericht fortzusetzen. Der Angeklagte durfte vielmehr auf die Mitteilung seines Verteidigers vertrauen, dass er bei Gericht nicht zu erscheinen brauche, weil der Verteidiger selbst infolge seiner Erkrankung dort nicht aufzutreten in der Lage war und ein Terminsverlegungsantrag des Verteidigers gestellt worden war. Diese Sachlage unterscheidet sich wesentlich von anderen Fällen, in denen der Angeklagte wegen eigener Verhinderung selbst einen Terminsverlegungsantrag gestellt hat und ein erheblicher Zeitraum zwischen Antragstellung und Termin vorlag, in dem Nachfragen ohne Weiteres möglich und zumutbar waren (vgl. OLG Hamm JMBl. NW 1979, 20; OLG Karlsruhe Die Justiz 1995, 98 ff.; LG Berlin NStZ 2005, 655 ff.). Ein Mitverschulden des Angeklagten kommt vorliegend aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht in Betracht. Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und dem Angeklagten auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 14. Juli 2006 zu gewähren. Seine hilfsweise eingelegte Revision ist infolgedessen gegenstandslos geworden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.

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