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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.12.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 467/08
Rechtsgebiete: StGB, BtMG


Vorschriften:

StGB § 67c Abs. 2 S. 1
StGB § 67c Abs. 2 S. 2
StGB § 67c Abs. 2 S. 3
BtMG § 35
1. Eine stationäre Therapie wegen der eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG erfolgt ist, ist keine Anstaltsverwahrung im Sinne des § 67c Abs. 2 S. 2 StGB.

2. Die Entscheidung nach § 67c Abs. 2 StGB erfordert eine neue Entscheidung über die Unterbringungsprognose (hier: im Sinne von § 64 StGB).


Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Bielefeld verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 20.01.2005 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln und mit fahrlässiger Tötung, im anderen Fall mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des AG Lübbecke (63 Js 2328/03) vom 03.12.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, ferner wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 4 Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr. Außerdem wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 13.07.2005.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld stellte am 26.10.2005 die Vollstreckung "der Strafe" gem. § 35 Abs. 1 BtMG zurück (Bl. 67 VH), widerrief diese aber am 08.11.2006 (Bl. 147 VH) nachdem der Verurteilte sich nach dem 02.11.2006 nicht mehr zur Drogensprechstunde der Therapieeinrichtung gemeldet und diese am 06.11.2006 wegen unzureichender Kooperation die Therapie beendet hatte (Bl. 142 VH). Am 30.05.2007 stellte die Staatsanwaltschaft die Vollstreckung der Unterbringung und der verhängten Strafen erneut nach § 35 BtMG zurück (Bl. 175 VH). Bereits am 09.07.2007 teilte die Therapieeinrichtung aber mit, dass der Verurteilte die Therapie im Rahmen einer Belastungsprobe am 06.07.2007 abgebrochen habe (Bl. 186 VH). Am 02.08.2007 widerrief die Staatsanwaltschaft daher die Zurückstellung. Da der Verurteilte in der Folgezeit unbekannten Aufenthalts war, konnte er der Unterbringung nicht zugeführt werden.

Das Landgericht Bielefeld hat den angefochtenen Beschluss am 27.08.2008 ohne Anhörung des damals immer noch abgetauchten Verurteilten erlassen und gem. § 67c Abs. 2 StGB die Vollziehung der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der Beschluss konnte dem Verurteilten - dessen Aufenthalt zwischenzeitlich ermittelt wurde, am 18.09.2008 zugestellt werden. Bereits am 04.09.2008 hatte der Verteidiger für ihn sofortige Beschwerde eingelegt. Am 04.09.2008 hat das Landgericht beschlossen, dass auch unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich schriftlich erfolgten Vorbringens des Verurteilten eine Abhilfe nicht in Betracht komme und hat die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über das Rechtsmittel vorgelegt.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 463 Abs. 6 i.V.m. § 462 Abs. 3 S. 1 StPO) und zulässig, da die wirksame Zustellung des angefochtenen Beschlusses erst nach der zuvor bereits durch den Verteidiger eingelegten sofortigen Beschwerde erfolgt ist.

2.

Das Rechtsmittel ist unbegründet.

a)

Die große Strafkammer war mangels anderweitiger Regelung zur Entscheidung nach § 462a Abs. 2 StPO berufen (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 67c Rdn. 177; Pollähne/Böllinger in NK 2. Aufl. § 67c Rdn. 34; a.A. Ziegler in Beck-OK-StGB § 67c Rdn. 5; Veh in MK-StGB § 67c Rdn. 25).

Das zunächst fehlende rechtliche Gehör des Verurteilten ist nachträglich gewährt worden. Der Verurteilte hat mit Schreiben vom 22.09.2008 zu dem angefochtenen Beschluss gegenüber dem Landgericht umfänglich Stellung genommen (Bl. 269 VH). Das Landgericht hat diese Stellungnahme in seine Überlegungen einbezogen, eine Abhilfenotwendigkeit aber im Beschluss vom 04.09.2008 nicht gesehen. Eine mündliche Anhörung des Verurteilten ist gesetzlich im Fall des § 67c Abs. 2 StGB nicht vorgesehen (§§ 463 Abs. 6, 462 StPO). Die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist im Falle des § 67c Abs. 2 StGB gesetzlich ebenfalls nicht vorgeschrieben (vgl. Veh in MK-StGB § 67c Rdn. 26).

b)

Zu Recht hat das Landgericht gem. § 67c Abs. 2 S. 3 StGB die Vollstreckung der Maßregel angeordnet.

aa) Der Vollzug der Maßregel hatte bei Fassung des angefochtenen Beschlusses nicht innerhalb von drei Jahren nach Rechtskraft des die Maßregel anordnenden Urteils begonnen. Der Verurteilte befand sich zwischen Rechtskraft des Urteils und Beschlussfassung auch nicht in einer (nicht in die Frist einzubeziehenden) behördlichen Verwahrung im Sinne von § 67c Abs. 2 S. 2 StGB. Zwar befand sich der Verurteilte vom 21.04.2005 (Bl. 31 VH) bis zum 07.07.2006 im Wohngruppenverband für chronisch Betäubungsmittelabhängige "Q" mit einer externen Therapieanbindung in der Einrichtung "H". Deswegen erfolgte die erste Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG. Sodann befand er sich bis zum Widerruf der ersten Zurückstellung nur noch in ambulanter Therapie, nachdem er die Einrichtung wegen Verstößen gegen die Hausordnung (Gewaltandrohungen, Provokationen, unangemeldete Besuche, Sachbeschädigung, vgl. Bl. 98 VH) verlassen musste. Ferner befand sich der Verurteilte in der LWL-Klinik in N vom 26.04.2007 bis zum 06.07.2007. Deswegen erfolgte die zweite Zurückstellung der Straf- und Maßregelvollstreckung.

Die geschilderten stationären Aufenthalte sind keine Anstaltsverwahrung auf behördliche Anordnung i.S.v. § 67c Abs. 2 S. 2 StGB. Solche liegt nur bei Freiheitsentziehungen mit Zwangscharakter vor, denn Sinn der Regelung ist es, solche Zeiten nicht in die Frist mit einzubeziehen, in denen der Verurteilte sich gar nicht in Freiheit bewähren konnte (BGHSt 49, 25, 27f. zur ähnlichen Regelung in § 66 Abs. 4 StGB; Stree in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 67c Rdn. 8). Die hier in Frage stehenden stationären Aufenthalte waren freiwillige Aufenthalte des Verurteilten. Sie erfolgten nicht auf behördliche Anordnung. Vielmehr wurde ihretwegen lediglich die Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt. Auch wenn es in den Zurückstellungsschreiben der Staatsanwaltschaft heißt: "Sie haben sich unverzüglich in die genannte Therapieeinrichtung zu begeben (...)", liegt darin keine behördliche Anordnung. Vielmehr befand sich der Verurteilte bereits jeweils vor den Zurückstellungsentscheidungen in Therapie. Im übrigen ist dies keine Anordnung der Therapie bzw. des Aufenthalts in der Einrichtung, sondern ist lediglich als Darstellung der Voraussetzungen für den Erhalt der Strafzurückstellung zu verstehen. Es entspräche auch nicht dem oben dargestellten Sinn des § 67c Abs. 2 S. 2 StGB, diese Therapieaufenthalte aus der Fristberechnung auszunehmen, denn da der Aufenthalt in der Therapieeinrichtung nicht zwangsweise angeordnet und durchgesetzt werden konnte, gibt der freiwillige Aufenthalt in einer solchen Einrichtung dem Verurteilten durchaus die Möglichkeit der Bewährung.

bb) Der Zweck der Maßregel erfordert noch die Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt. Es ist insoweit neu über die Unterbringungsprognose nach § 64 StGB zu entscheiden (Veh in MK § 67c Rdn. 18; Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 67c Rdn. 170). Die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB liegen immer noch vor.

Der Verurteilte hat einen Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zunehmen. Dieser Hang wurde im Urteil des Landgerichts Bielfeld vom 20.01.2005, das sachverständig beraten war, festgestellt. Darin heißt es u.a., dass der 1966 geborene Verurteilte seit seinem 20.Lebensjahr Betäubungsmittel, darunter Heroin, Kokain und Cannabis, regelmäßig konsumiert und abhängig ist. Eine nachhaltige Besserung dieses Hangs lässt sich den Akten nicht entnehmen, vielmehr hat der Verurteilte mehrere Therapieversuch vorzeitig, d.h. vor Erreichung des Therapiezieles abgebrochen. Der Verurteilte räumt auch in seinem Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 02.08.2007 selbst ein, dass er in der Therapie in N wieder rückfällig geworden sei (Bl. 206 VH) und führt in seiner Beschwerdebegründung den dortigen Therapieabbruch auf sein "Versagen" zurück (Bl. 271 VH). In dieser räumt er auch ein, während der letzten 15 Monate "manches mal Suchtdruck" verspürt zu haben (Bl. 273 VH). Der Verurteilt wird derzeit mit Polamidon substituiert.

Der Verurteilte ist durch das genannte Urteil des Landgerichts Bielefeld auch wegen Straftaten verurteilt worden, die auf seinen Hang zurückgehen.

Es besteht weiterhin die Gefahr, dass der Verurteilte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Der Verurteilte ist - solange seine Betäubungsmittelabhängigkeit währt - immer wieder strafrechtlich, vornehmlich wegen Diebstahls- und Betäubungsmitteldelikten in Erscheinung getreten. Die Anlasstat war eine fahrlässige Tötung eines stark alkoholisierten Bekannten durch Injektion von Heroin und anschließenden unzureichenden Rettungsmaßnahmen. Die von dem Verurteilten im Laufe seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangenen Straftaten gehen weit über das Maß bloßer Lästigkeit hinaus und sind als erheblich anzusehen. Da seine Betäubungsmittelabhängigkeit andauert, sind auch weiterhin solche Straftaten von ihm zu erwarten, auch wenn zu berücksichtigen ist, dass er seit der letzten Verurteilung nicht wieder verurteilt wurde und nur einmal ein Strafbefehlsantrag wegen Leistungserschleichung gestellt wurde. Dass der Verurteilte außerhalb seiner durchaus ernsthaften Therapiebestrebungen längerfristig in der Lage ist, ohne die Begehung erheblicher Straftaten zu leben, kann daraus noch nicht abgeleitet werden, zumal auch in der Vergangenheit bereits wieder von Beikonsum von Cannabis (wenn auch in geringer Menge) berichtet wurde (vgl. Bl. 124 VH).

Durch den Vollzug der Maßregel besteht bei dem Verurteilten eine hinreichend konkrete Aussicht zu heilen oder aber wenigstens über einen erheblichen Zeitraum von einem Rückfall in den Hang zu bewahren und ihn von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten. Der Verurteilte ist grundsätzlich gewillt, seine Abhängigkeit zu bekämpfen und nicht erneut straffällig zu werden (wenn er auch die geschlossene Unterbringung ablehnt). Der Verurteilte war in der Vergangenheit therapiewillig und eine Therapie kann unter Anwendung des "festeren Korsetts" einer Unterbringung nach § 64 StGB durchaus Erfolg haben. Mildere Maßnahmen, wie die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung, sind nicht gleich geeignet zur Erreichung des Therapiezieles, da die Vergangenheit gezeigt hat, dass sich gerade die "Freiheiten" einer freiwilligen Therapie als hinderlich für den Therapieerfolg ausgewirkt haben.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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