Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.01.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 512/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 56d
StPO § 44
StPO § 45
StPO § 46
StPO § 297
1. Beauftragt der Angeklagte einen Dritten (der nicht Verteidiger ist) mit der Einlegung eines fristgebundenen Rechtsmittels, so hat er die Einhaltung der Rechtsmitteleinlegungsfrist zu überwachen. Andernfalls ist die verspätete Rechtsmitteleinlegung grundsätzlich nicht unverschuldet im Sinne von § 44 Abs. 1 StPO.

2. Das gilt auch dann, wenn der Angeklagte einen in anderer Sache bestellten Bewährungshelfer mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragt (ungeachtet der Frage, ob ein vom Angeklagten bevollmächtigter Bewährungshelfer überhaupt zulässiges Rechtsmittel für ihn einlegen kann).


Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Halle vom 27.08.2008 (#########################) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Der in der Hauptverhandlung anwesende Angeklagte wurde durch einen Pflichtverteidiger vertreten. Nach Verkündung des Urteils wurde ihm ausweislich des Sitzungsprotokolls eine Rechtsmittelbelehrung erteilt.

Am 03.09.2008 ging bei der zuständigen Geschäftsstelle des Amtsgerichts eine

E-Mail (ohne elektronische Signatur i.S.v. § 41a StPO) der in einer anderen Sache bestellten Bewährungshelferin des Angeklagten ein. Darin legte sie "auf Bitte" des Angeklagten "fristwahrend" "Widerspruch" ein, der auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt sein sollte. Am 11.09.2008 ging beim Amtsgericht ein vom 03.09.2008 datierendes Schreiben des Angeklagten ein. Darin bezog er sich auf die E-Mail seiner Bewährungshelferin und erklärte, dass er die Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränke.

Das mit Gründen versehene Urteil ist dem Verteidiger am 16.09.2008 zugestellt worden. Am 13.10.2008 ist beim Amtsgericht der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verwerfung der Berufung als unzulässig, da verspätet, eingegangen. Eine Ablichtung dieses Antrages hat die Vorsitzende der Berufungskammer am 14.10.2008 (u.a.) an den Angeklagten übersenden lassen. Diese Verfügung ist am 15.10.2008 ausgeführt worden.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 17.10.2008, der keinen Eingangsstempel trägt, wohl aber eine Verfügung der Vorsitzenden vom 20.10.2008, hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungseinlegungsfrist beantragt und gleichzeitig noch einmal Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er an, dass der Angeklagte unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit seiner Bewährungshelferin über das weitere Vorgehen gesprochen habe. Die Bewährungshelferin habe ihm zugesichert, "rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist für ihn ein Berufungsschreiben aufzusetzen". Deswegen sei er davon ausgegangen, dass sie für ihn fristgerecht Berufung einlegen werde. Nach Ablauf der Wochenfrist habe er ein Schreiben der Bewährungshelferin erhalten. Darin sei ihm mitgeteilt worden, dass das Berufungsschreiben der Bewährungshelferin nicht mehr habe fristgerecht auf dem Postwege an das Amtsgericht geschickt werden können. Deswegen habe sie nach Rücksprache mit einer Geschäftsstellenbeamtin per E-Mail Berufung eingelegt. Weiterhin habe dem Schreiben der Bewährungshelferin das oben genannte Schreiben des Angeklagten vom 03.09.2008 vorformuliert beigelegen. Der Angeklagte ist der Ansicht, dass er die Bewährungshelferin zur Berufungseinlegung beauftragt habe und es einer weiteren Überwachung, wie bei auch bei Beauftragung eines Verteidigers, nicht bedurft habe, so dass sein Fristversäumnis unverschuldet gewesen sei.

Die Bewährungshelferin hat in einem Schreiben vom 20.10.2008 den tatsächlichen Vortrag des Angeklagten im wesentlichen bestätigt. Sie habe mit dem Angeklagten besprochen, dass sie "für ihn einen Widerspruch gegen das Urteil formuliere", das entsprechende Diktat habe sie aber bis zum 03.09.2008 nicht zurückerhalten und habe dann den "Widerspruch" selbst geschrieben, konnte ihn aber nicht zum Amtsgericht per Telefax senden, so dass sie sich mit der Geschäftsstellenbeamtin telefonisch in Verbindung gesetzt und diese gebeten habe, den "Widerspruch" per Mail entgegenzunehmen. Beide seien sich nicht sicher gewesen, ob dieses Vorgehen "akzeptabel" gewesen sei. An den Angeklagten habe sie sodann ein entsprechendes Schreiben verfasst, das vorformulierte Schreiben vom 03.09.2008 beigefügt und diesen gebeten, es unterschrieben dem Gericht zukommen zu lassen.

Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung des Angeklagten als unzulässig verworfen. Es ist der Ansicht, dass der Angeklagte bereits nicht substantiiert vorgetragen habe, dass er die Bewährungshelferin damit beauftragt habe, für ihn Berufung einzulegen, vielmehr die Umstände dafür sprächen, dass sie nur Formulierungshilfe leisten sollte. Außerdem hätte der Angeklagte die Bewährungshelferin überwachen müssen, wenn er sie mit der Rechtsmitteleinlegung beauftragt. Die Berufung sei, soweit sie durch die Bewährungshelferin eingelegt wurde, formunwirksam, soweit sie durch den Angeklagten eingelegt wurde, verspätet.

Gegen diesen am 19.11.2008 zugestellten Beschluss hat der Angeklagte unter dem Datum des 19.11.08, eingegangen am 21.11.2008, sofortige Beschwerde eingelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist statthaft (§ 46 Abs. 3 StPO bzw. § 322 Abs. 2 StPO) und auch im übrigen zulässig, aber unbegründet.

1.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 44, 45 StPO ist vom Landgericht Bielefeld zu Recht verworfen worden.

a) Es bestehen bereits Bedenken, ob der Angeklagte hinreichend die Tatsachen zur Begründung seines Antrages vorgetragen und glaubhaft gemacht hat (§ 45 Abs. 2 StPO), insbesondere, dass er unverschuldet verhindert war, die Frist einzuhalten.

Zwar ist der Antrag auf Wiedereinsetzung fristgerecht binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses, d.h. hier der Kenntnis des Angeklagten, dass sein Rechtsmittel als unzulässig (da verfristet) angesehen wird, aufgrund Erhalt des Verwerfungsantrages der Staatsanwaltschaft frühestens am 16.10.2008, gestellt worden.

Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Wiedereinsetzungsantrag ist aber auch, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, der ein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden des Antragstellers ausschließt (Meyer-Goßner StPO 51. Auflage, § 45 Rn. 5.) Hier hat der Angeklagte lediglich vorgetragen, die Bewährungshelferin habe ihm zugesichert, "rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist für ihn ein Berufungsschreiben aufzusetzen". Der Angeklagte wusste jedoch aufgrund der in der Hauptverhandlung erfolgten Rechtsmittelbelehrung, dass das Berufungsschreiben innerhalb der Wochenfrist bei dem Gericht eingegangen sein musste, dass das bloße rechtzeitige Aufsetzen des Rechtsmittelschreibens also nicht reicht. Des Weiteren wird nicht hinreichend deutlich, ob der Angeklagte die Bewährungshelferin zur selbstständigen Berufungseinlegung bevollmächtigt hatte, oder ob diese ihm lediglich Formulierungshilfe leisten sollte. Sowohl sein eigener Vortrag, als auch die Stellungnahme der Bewährungshelferin lassen beide Deutungen zu.

b) Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, da der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedenfalls unbegründet ist.

aa) Der Angeklagte hat die Berufungsfrist schuldhaft versäumt. Er hätte die Einhaltung der Berufungsfrist durch die Bewährungshelferin überwachen müssen und durfte sich nicht darauf verlassen, dass die Bewährungshelferin rechtzeitig für ihn Berufung einlegt. Die h.M. in Rechtsprechung und Literatur, dass das Verschulden eines Verteidigers bei der Versäumung eventueller Rechtsmittelfristen dem Angeklagten nicht zugerechnet wird und er auch nicht für den Ausschluss des eigenen Verschuldens verpflichtet ist, die Einhaltung der Rechtsmittelfristen durch den Verteidiger zu überwachen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.09.1998, Az.

1 Ws 354/98, 1 Ws 513/98 - juris; OLG Köln, Beschluss vom 29.10.2001, Az. 1 Ss 437/01 - juris; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 45 Rdn. 18), ist - anders als der Angeklagte meint - auf die Beauftragung eines Bewährungshelfers zur Rechtsmitteleinlegung nicht übertragbar. Vielmehr muss der Angeklagte, wenn er Dritte mit der Einlegung eines Rechtsmittels beauftragt, grundsätzlich die Einhaltung der Rechtsmittelfristen überwachen, um eigenes Verschulden im Sinne des § 44 StPO auszuschließen (vgl. BGH NStZ 1996, 50). Ob etwaige Ausnahmefälle anzuerkennen sind, wenn der beauftragte Dritte sich durch seine bisherige längere Tätigkeit im Geschäftsbetrieb für den Angeklagten als gewissenhaft erwiesen hat (OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 85), braucht nicht erörtert zu werden, da ein solcher Fall ersichtlich nicht vorliegt.

bb) Es ist bereits zweifelhaft, ob ein Bewährungshelfer überhaupt zulässig Rechtsmittel für einen Angeklagten einlegen kann, da wegen seiner Pflichtenstellung gegenüber dem Gericht eine Interessenkollision sehr nahe liegt (ablehnend: OLG Düsseldorf NStZ 1987, 340; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 300, 301; Fischer StGB 55. Aufl. § 56d Rdn. 4; Groß in MK-StGB 2005 § 56d Rdn. 18; Hubrach in LK 12. Aufl. § 56d Rdn. 5; Schönke/Schröder-Stree StGB 27. Aufl. § 56d Rdn. 2; bejahend: KG Berlin Beschl. v. 12.09.2000 - 1 Ss 107/00 - juris).

Selbst wenn man hier davon ausginge, dass ein Bewährungshelfer zur Einlegung von Rechtsmitteln bevollmächtigt werden dürfte und zulässigerweise Rechtsmittel einlegen könnte, so ist er in diesem Zusammenhang allerdings nicht einem Verteidiger gleichzusetzen, sondern vielmehr wie ein Dritter bei der Rechtsmitteleinlegung zu überwachen.

Die Einlegung von Rechtsmitteln in rechtsgeschäftlicher Vertretung eines Angeklagten gehört nicht zu dem Aufgabenbereich eines in anderer Sache bestellten Bewährungshelfers. Vielmehr soll der Bewährungshelfer gemäß § 56 d Abs. 3 StGB dem Verurteilten lediglich helfend und betreuend zur Seite stehen und ihn überwachen. Mit Hilfe und Betreuung ist neben der Beratung auch aktive Mithilfe in allen Bereichen gemeint, die der Resozialisierung des Probanden förderlich sind. Zu weit ginge aber eine selbständige Aufgabenerledigung für den Probanden (vgl. Groß in MK-StGB 2005 § 56d Rdn. 18; Schönke/Schröder-Stree 27. Aufl. § 56d Rdn. 3). Gehört aber die Rechtsmitteleinlegung in Vertretung des Angeklagten schon nicht zum Aufgabenkreis des Bewährungshelfers, so muss die außerhalb seiner Befugnisse durchgeführte Tätigkeit allein schon deshalb einer Beauftragung eines Privaten gleichgestellt werden.

Einer Überwachung bedurfte es auch deshalb, weil der (hauptamtliche) Bewährungshelfer (und erst Recht ein ehrenamtlicher Bewährungshelfer) regelmäßig keine spezifisch juristische, sondern eine sozialpädagogische Ausbildung durchläuft. In Bezug auf die Einlegung von Rechtsmitteln kann der Bewährungshelfer daher, entgegen dem Vortrag des Angeklagten, nicht als "Fachkraft" angesehen werden.

Des Weiteren ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden war, den er mit der Einlegung der Berufung hätte beauftragen können. Wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, sondern seine Bewährungshelferin als quasi "Ersatzverteidigerin" mit der Einlegung der Berufung beauftragt, so ist es nicht unbillig von ihm zu verlangen, diese bei der Einhaltung der Rechtsmittelfrist wie einen Dritten zu überwachen.

2.

Auch die Verwerfung der Berufung als unzulässig gemäß § 322 Abs. 1 StPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Die Berufungsfrist des § 314 Abs. 1 StPO wurde, da die Rechtsmitteleinlegung durch die Bewährungshelferin per E-Mail am 03.09.2008 mangels Wahrung der Schriftform bzw. mangels elektronischer Signatur (§ 41a StPO) nicht formgerecht und das Schreiben des Angeklagten vom 03.09.2008 nicht innerhalb der an diesem Tag endenden Berufungseinlegungsfrist eingegangen ist und Wiedereinsetzung nicht zu gewähren war, versäumt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

Zurück