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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.11.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 605/07
Rechtsgebiete: StGB, EMRK


Vorschriften:

StGB § 56f
StGB § 56g
EMRK Art. 6 Abs. 1
Der Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung rund ein Jahr nach Ende der Bewährungszeit ist weiter unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Vertrauensschutzgrundsatzes noch des Beschleunigungsgebotes unzulässig, wenn ein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten, dass ein Widerruf nicht mehr erfolgen würde, seit dem Ende der Bewährungszeit nicht entstehen konnte und das Widerrufsverfahren hinreichend zügig durchgeführt wurde.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers mit der Maßgabe verworfen, dass die vom Verurteilten in Erfüllung der Bewährungsauflage erbrachten Arbeitsleistungen in der Weise angerechnet werden, dass 34 Tage der Freiheitsstrafe als verbüßt gelten.

Gründe:

I.

Der Verurteilte ist durch das Amtsgericht C2 am 09.08.2002 "wegen Diebstahls in schwerem Fall in drei Fällen" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Bei den Taten handelte es sich um KFZ-Aufbrüche. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 17.08.2002. Die Bewährungszeit wurde auf 3 Jahre festgesetzt, der Verurteilte wurde einem Bewährungshelfer unterstellt und ihm wurde eine Arbeitsauflage von 200 Stunden auferlegt, die er bis Dezember 2002 vollständig abgeleistet hat.

Bereits vier Monate nach dieser Verurteilung beging der Verurteilte neue Straftaten, wegen denen er durch das Amtsgericht I am 19.05.2003 wegen Diebstahls zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. In der Berufungsinstanz wurde diese Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Im Hinblick auf diese Verurteilung hat das Amtsgericht C2 die Bewährungszeit in der vorliegenden Sache mit Beschluss vom 21.04.2004 um 1 Jahr verlängert.

Mit Urteil des Amtsgerichts I vom 02.02.2006 ist der Verurteilte wegen versuchten Diebstahls und wegen zweier Verstöße gegen das BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, die wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Daraufhin stellte die Staatsanwaltschaft in der vorliegenden Sache zunächst einen Antrag auf Verlängerung der Bewährungszeit, zu dem der Verurteilte mit Schreiben vom 13.06.2006 angehört wurde. Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft am 21.08.2006 im Hinblick auf ein weiteres Strafverfahren gegen den Verurteilten, dessen Ausgang zunächst abgewartet werden sollte, zurückgenommen. Mit Schreiben vom 23.10.2006 hat das Amtsgericht dem Verurteilten mitgeteilt, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens in der neuen Sache abgewartet werden solle, bevor über den Straferlass in dem vorliegenden Verfahren entschieden wird.

In dem neuen Strafverfahren gegen den Verurteilten wurde dieser schließlich durch das Amtsgericht I wegen Körperverletzung, Diebstahls und Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Verurteilung lag folgendes Geschehen zu Grunde: Am ##########, also #### Tage nach der vorangegangen Verurteilung schlug der Verurteilte dem Geschädigten W. mit der Faust ins Gesicht, weil dieser ihm Geld schuldete. Anschließend entriss er ihm die Geldbörse, die der Geschädigte ihm zeigte, um zu beweisen, dass er kein Geld zur Schuldentilgung bei sich habe. Am ########## nahm der Verurteilte insgesamt vier mal kostenpflichtige Telefonsexdienste in Anspruch, ohne zahlungswillig zu sein.

Anfang März erhielt das Amtsgericht C2 eine Urteilsabschrift der letztgenannten Verurteilung, die am 09.01.2007 rechtskräftig geworden war, und übersandte das BewH der Staatsanwaltschaft zur Antragstellung. Im Hinblick auf die letzte Verurteilung hat die Staatsanwaltschaft am 14.03.2007 dann einen Widerrufsantrag gestellt. Zu diesem ist der Verurteilte am 11.04.2007 durch das AG C2 schriftlich angehört worden. Mit Beschluss vom 04.05.2007 hat das Amtsgericht sodann die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Da der Verurteilte bereits seit 25.04.2007 in der JVA C in Strafhaft war, hat das Landgericht C2 die Entscheidung auf die sofortige Beschwerde der Verurteilten wegen Unzuständigkeit des Amtsgerichts C2 aufgehoben.

Das Landgericht - StVK - Bielefeld hat den Verurteilten sodann mit Schreiben vom 20.08.2007 - dem Verurteilten zugestellt am 28.08.2007 - erneut zur Widerrufsfrage angehört und sodann mit dem angefochtenen Beschluss die Strafaussetzung zur Bewährung wegen der Begehung neuer Straftaten unter Bezugnahme auf die letztgenannte Verurteilung widerrufen.

Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er rügt, er sei nicht angehört worden.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist weitgehend unbegründet.

1. Die Widerrufsvoraussetzungen gem. § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB liegen vor. Mildere Mittel als ein Widerruf kommen hier nicht in Betracht. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss. Dem Verurteilten ist auch zur Widerrufsfrage rechtliches Gehör (schriftliche Anhörung) durch die StVK Bielefeld gewährt worden.

2. Dass die Bewährungszeit bereits am 09.08.2006 abgelaufen war, steht dem Widerruf nicht entgegen. Die zeitliche Grenze des § 56g Abs. 2 S. 2 StGB gilt für den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nicht (KG Berlin NJW 2003, 2468, 2469; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; OLG Hamm NStZ 1998, 478, 479; Tröndle/Fischer 54. Aufl. § 56f Rdn. 19). Auch Gründe des Vertrauensschutzes oder des Beschleunigungsgebots hindern den Widerruf hier nicht.

a) Aus Gründen des Vertrauensschutzes wird in der Rechtsprechung ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung dann für unzulässig erachtet, wenn seit Rechtskraft der neuen Verurteilung ein erheblicher Zeitablauf (1-2 Jahre) eingetreten ist (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 254; OLG Köln StV 2001, 412 f.). Ähnliches gilt, wenn die Bewährungszeit seit langem abgelaufen ist (OLG Oldenburg Beschl. v. 02.04.2002 - 1 Ws 120/01,StV 2003, 346 LS- 9 Monate). Hier erfolgte der Widerruf etwa ein Jahr und einen Monat nach dem Ende der Bewährungszeit und etwa 8 Monate nach der Rechtskraft der neuen Verurteilung. Ob dies grundsätzlich noch ein im Hinblick auf den Vertrauensschutzgrundsatz hinnehmbarer Zeitraum ist, kann hier dahinstehen. Auf den bloßen langen Zeitablauf seit dem Ende der Bewährungszeit bzw. seit Rechtskraft der neuen Verurteilung kann bzgl. des Vertrauensschutzgrundsatzes nur dann abgestellt werden, wenn in dieser Zeit oder gar noch vor den genannten Ereignissen keine Umstände eingetreten sind, die dem Verurteilten verdeutlichten, dass er durchaus noch mit Konsequenzen im vorliegenden Verfahren rechnen musste und so sein etwaiges Vertrauen nicht schutzwürdig erscheinen lassen.

Ein schutzwürdiges Vertrauen hätte hier erst entstehen können, wenn das Gericht längere Zeit nach Ablauf der Bewährungszeit untätig geblieben wäre und der Verurteitle deshalb davon ausgehen konnte, an seine neuen, in der Bewährungszeit begangenen Straftaten würden keine Konsequenzen mehr geknüpft. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten in der Justiz berücksichtigen muss (KG Berlin NJW 2003, 2468, 2469). Es muss sich insoweit auch deshalb um einen nicht unerheblichen Zeitraum handeln, weil der Verurteilte seinerzeit gem. § 268 a StPO darüber belehrt worden ist, dass ein Bewährungsverstoß "regelmäßig zum Widerruf der Strafaussetzung" führt. Er hatte damit zunächst einmal überhaupt keinen Anlass für die Annahme, seine neuen Straftaten würden ohne Konsequenzen im laufenden Bewährungsverfahren bleiben. Überhaupt nur bei einem längeren Zeitablauf nach Ende der Bewährungszeit und gleichzeitiger Untätigkeit der Justiz in vorliegender Sache hätte er also davon ausgehen können, dass er entgegen dieser Warnung von einem Widerruf verschont bleibt.

Der Senat kann wiederum dahinstehen lassen, ob das Vertrauen des Verurteilten bereits durch den später zurückgenommenen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Bewährungszeit oder durch das Schreiben des Gerichts vom 23.10.2006, dass bzgl. des Straferlasses zunächst der rechtskräftige Ausgang des neuen Verfahrens abgewartet werden solle, zerstört wurde. Das könnte fraglich sein, weil sich der Verlängerungsantrag auf eine andere neue Verurteilung bezog und die Formulierung des Schreibens vom 23.10.2006 nicht zwingend (bei einem gerichtserfahrenen Verurteilten allerdings möglicherweise doch) auf einen drohenden Widerruf hindeutet.

Jedenfalls durch das dem Verurteilten am 11.04.2007 zugestellte Anhörungsschreiben des seinerzeit noch zuständigen Amtsgerichts C2 ist der Verurteilte vom drohenden Widerruf in Kenntnis gesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt, etwa 8 Monate nach Ende der Bewährungszeit und 3 Monate nach Rechtskraft der neuen Verurteilung konnte - ebensowenig wie im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren (die Aufhebung des amtsgerichtlichen Widerrufsbeschlusses erfolgte ausschließlich wegen der fehlenden Zuständigkeit) noch kein schutzwürdiges Vertrauen wegen Zeitablaufs entstehen.

b) Auch eine Verletzung des Beschleunigungsgebots (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) liegt hier nicht vor. Dabei kann dahinstehen, ob dieses uneingeschränkt Anwendung im Widerrufsverfahren findet (so wohl: OLG Oldenburg Beschl. v. 02.04.2002 - 1 Ws 120/01, StV 2003, 346 LS). Die Formulierung der Vorschrift deutet eher auf einen Anwendungsbereich vom Ermittlungsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl., Art. 6 EMRK Rdn. 8). Ebenfalls kann dahinstehen, ob das Abwarten auf die Rechtskraft der neuen Verurteilung für den Widerruf zwingend erforderlich war (aus der Entscheidung des EGMR vom 03.10.2002 - 37568/97, NJW 2004, 43 ff., lässt sich ein Rechtskrafterfordernis nicht herauslesen). Es war jedenfalls sinnvoll. Das Widerrufsverfahren wurde dann, als das Amtsgericht von der Rechtskraft der neuen Verurteilung Kenntnis erlangt hat, auch unmittelbar in Gang gesetzt und den Umständen entsprechend zügig durchgeführt.

3.

Die vom Verurteilten erbrachten 200 Arbeitsstunden hat der Senat nach § 56f Abs. 3 StGB mit 34 Tagen auf die Strafe angerechnet. Eine solche Anrechnung hatte das Landgericht nicht vorgenommen.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO. Der geringfügige Erfolg der sofortigen Beschwerde rechtfertigt es nicht, den Verurteilten teilweise von den Kosten zu entlasten.

Ende der Entscheidung

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