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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.02.2003
Aktenzeichen: 35 W 11/02
Rechtsgebiete: HGB, ArbGG, GVG
Vorschriften:
HGB § 84 | |
HGB § 84 I 1 | |
HGB § 86 Abs. 2 | |
HGB § 87 | |
HGB § 92 | |
HGB § 92 a | |
HGB § 92 a Abs. 1 S. 1 | |
HGB § 92 b | |
ArbGG § 2 I Nr. 3 | |
ArbGG § 5 | |
ArbGG § 5 I 2 | |
ArbGG § 5 III | |
GVG § 13 | |
GVG § 17 a IV S. 3 |
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS
35 W 11/02 OLG Hamm
Hamm, den 07.02.2003
In dem Rechtsstreit
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 28.06.202 gegen den Beschluss des Landgerichts Bochum vom 16.05.2002 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses des Landgerichts vom 03.07.2002 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.285,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin befasst sich mit der Vermittlung von an Versicherungs- und Bausparverträgen. Der Beklagte war für sie in der Zeit von 1993-1997 auf der Grundlage einer als Handelsvertreter-Vertrag bezeichneten schriftlichen Vereinbarung vom 08.03.1993 - nach dem Wortlaut des Vertrages in der Eigenschaft eines "selbständigen und freien Handelsvertreters im Nebenberuf im Sinne der §§ 84, 92, 92 b HGB" (§ 2 des Vertrages) - tätig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 08.03.1993 verwiesen.
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin den Beklagten aus einem unter dem 28.06.1996 abgegebenen Schuldanerkenntnis auf Zahlung in Anspruch. Der Beklagte bestreitet seine Zahlungsverpflichtung und meint, ungeachtet abweichender Bezeichnung sei er Arbeitnehmer der Klägerin und nicht freier Handelsvertreter gewesen, weshalb nicht die Zuständigkeit der Zivilgerichte, sondern die des Arbeitsgerichts gegeben sei.
Das Landgericht hat den Rechtsweg vor die Zivilgerichte durch Beschluss vom 16.05.2002, dem Beklagten zugestellt am 14.06.2002, für zulässig erklärt. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner am 28.06.2002 eingelegten (sofortigen) Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.
II.
Die gemäß § 17 a IV S. 3 GVG zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten ist in der Sache unbegründet.
Das Landgericht hat auf der Grundlage des hierfür maßgeblichen Vorbringens der Klägerin (BGHZ 133, 240 ff, 243 = VersR 1996, 1563 m.w.N. BGH VersR 1998, 630) zu Recht die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 13 GVG für die Entscheidung des Rechtsstreits bejaht; eine (ausschließliche) Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 I Nr. 3 ArbGG ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht gegeben. Der Beklagte war Handelsvertreter und nicht Arbeitnehmer der Klägerin; auch die Voraussetzungen des § 5 I 2 ArbGG sind im Streitfall nicht gegeben.
1.
Handelsvertreter ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen (§ 84 I 1 HGB). Für die Entscheidung der Frage, ob ein Vertragspartner als selbständiger Handelsvertreter tätig geworden ist oder nicht, kommt es grundsätzlich nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern vor allem auf das Gesamtbild der vertraglichen Gestaltung und die tatsächliche Handhabung an (BGHBB 1982, 1876, 1877; BGH NJW1982, 1757, 1758; BAG, VersR 2000, 1501; VersR 2000, 1365; VersR 2000, 1143; Senat, Beschluss vom 04.08.2000- 35 W 13/99 OLG Hamm -; OLG Celle, OLGR 1997, 43, 44). Die Frage, wie die getroffenen vertraglichen Abreden zu qualifizieren sind, entzieht sich der Disposition der Parteien. Die Zuordnung erfolgt nach objektiv-rechtlichen Kriterien. Maßgeblich ist der wirkliche Geschäftsinhalt, der sich aus den getroffenen Vereinbarungen und ihrer tatsächlichen Durchführung durch die Parteien ergibt (BAG, aaO.; Senat, aaO.).
2.
Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag vom 08.03.1993 ist ungeachtet hiergegen erhobener Einwände des Beklagten entsprechend seiner Bezeichnung als "Handelsvertretervertrag" anzusehen. Nach den getroffenen Vereinbarungen hat der Beklagte die Aufgabe eines Handelsvertreters der Klägerin i.S.d. § 84 I 1 HGB übernommen.
a)
Aufgabe des Beklagten war nach § 2 des Vertrages die Vermittlung von Versicherungs- und Bausparverträgen. Seine Tätigkeit konnte der Beklagte hierbei "selbständig", da im wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeiten zumindest weitgehend selbst bestimmen (§ 84 I 2 HGB).
aa)
Der Beklagte war in seiner Arbeitszeitgestaltung im wesentlichen frei und keinem Weisungsrecht der Klägerin unterworfen. Er konnte unabhängig entscheiden, wann er welchen Kunden mit welchen Angeboten aufsuchte. Insbesondere waren ihm keine "Tourenpläne" vorgegeben.
Die vom Beklagten vorgelegten Terminpläne und Berichtsvordrucke im Zusammenhang mit der Nachbearbeitung sogenannter "Störfälle" rechtfertigen insoweit keine abweichende Beurteilung. Dass eine bindende, im Nichtbefolgungsfall mit besonderen Sanktionen belegte Verpflichtung des Beklagten bestand, im Rahmen der ihm übertragenen "Störfallebearbeitung" die ihm überlassenen Adresslisten der Klägerin in bestimmter Frist oder überhaupt abzuarbeiten, wird von der Klägerin in Abrede gestellt und ist von dem Beklagten nicht substantiiert dargetan worden. Überdies fehlen jegliche nachvollziehbaren Angaben des Beklagten zum zeitlichen Umfang seiner Tätigkeiten im Zusammenhang mit der "Störfallbearbeitung" und deren Verhältnis zu seinen sonstigen Aktivitäten für die Klägerin.
Soweit der Beklagte dagegen auf die im Vorfeld der "Störfallbearbeitung" erfolgte Vereinbarung von Gesprächsterminen mit Kunden durch den Teleservice der Klägerin verweist, die dem Beklagten anschließend als sogenannter Terminplan mitgeteilt wurden, dienten diese ersichtlich auch und gerade seiner Arbeitsentlastung sowie der Steigerung der Effizienz seiner Bemühungen, von der letztlich auch die Höhe seiner Provisionsansprüche maßgeblich abhing. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Beklagte seine Kunden auch ohne derartige Gesprächstermine nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit hätte aufsuchen können, sondern sich nach deren Möglichkeiten richten musste. Abgesehen davon lässt sich mangels hinreichend konkreter Angaben des Beklagten allerdings auch nicht feststellen, dass ihm aufgrund von der Klägerin vorgegebener Gesprächstermine letztlich kaum mehr verblieben ist als ein eng begrenzter Zeitkorridor, über den er noch in eigener Verantwortung bestimmen konnte.
bb)
Auch der Hinweis des Beklagten, dass er angesichts der Höhe der an ihn erbrachten Vorschusszahlungen der Klägerin permanent unter dem Druck gestanden habe, seinen zeitlichen Einsatz zu erhöhen, so dass er seine Arbeitszeit nicht mehr frei habe einteilen können, verfängt nicht. Dass ihm ein bestimmtes Mindestsoll vorgegeben war, behauptet der Beklagte selbst nicht, dass er gewährte Provisionsvorschüsse auch verdienen musste, ist dagegen eine bare Selbstverständlichkeit, steht der Annahme einer Tätigkeit als selbständiger Handelsvertreter indes nicht entgegen. Eine Beschränkung der Freiheit zur eigenen Entscheidung über das zeitliche Arbeitsvolumen war hiermit nicht verbunden, da es der Beklagten selbst in der Hand, hatte, durch einfache Erklärung der Klägerin gegenüber die Höhe der ihm gewährten Vorschusszahlungen - und damit zugleich auch den zeitlichen Umfang des hierfür aufzubringenden Arbeitseinsatzes - seinen Wünschen, Vorstellungen und Möglichkeiten anzupassen.
cc)
Eine zu einem Arbeitsverhältnis führende Einschränkung ergibt sich weiterhin auch nicht aus der zu § 2 Abs. 4 des Handelsvertretervertrages vom 08.03.1993 getroffenen Bestimmung, wonach der Beklagte "neben den vertraglichen Vereinbarungen ... die Weisungen der Gesellschaft zu beachten" hatte. Soweit der Beklagte dies auf die ihm übertragene Nachbearbeitung sogenannter "Störfälle" bezieht, sei auf die obigen Ausführungen verwiesen. Ergänzend ist allein anzumerken, dass nach anerkannter Auffassung (BAG VersR 2000, 1365 f) singuläre Weisungen, die sich im Einzelfall als notwendig erweisen, ohnehin durchaus mit dem Selbständigenstatus vereinbar sind.
Dagegen berührten etwaige produktbezogene Weisungen der Klägerin die Selbständigkeit des Beklagten nicht, da dessen Tätigkeit als Versicherungs- bzw. Bausparkassenvertreter ohnehin lediglich darin bestand, Verträge zu vermitteln und so kein eigenes, sondern das Produkt eines anderen zu vertreiben, der allein auch den Inhalt des Vertragsangebots bestimmte (BAG VersR 2000, 1365 f.).
Hinsichtlich der vom Beklagten angesprochenen Berichtspflicht ist demgegenüber zu beachten, dass zwar nur der Arbeitnehmer einer umfassenden Kontrolle unterliegt, während sich der Selbstständige Kontrollen nicht in gleichem Maß gefallen lassen muss. Andererseits ist aber auch der Handelsvertreter gem. § 86 Abs. 2 HGB verpflichtet, dem Unternehmer "die erforderlichen Nachrichten zu geben", namentlich ihm von jeder Geschäftsvermittlung und von jedem Geschäftsabschluss unverzüglich Mitteilung zu machen" hat. Was unter den Begriff "erforderliche Nachrichten" fällt, bestimmt sich letztlich unter sachgerechter Abwägung der Interessen des Mitarbeiters danach, was das objektive Interesse des Unternehmers nach Besonderheit und Dringlichkeit des Falls erfordert (BAG VersR 2000, 1365 f unter Hinweis auf BGH vom 24. 9. 1987 - 1 ZR 243/85 - WM 1988, 33). Dem gemäß ist eine vertraglich vorgesehene Verpflichtung zur Berichterstattung auch im Rahmen eines Handelsvertreterverhältnisses unbedenklich, solange sie sich nicht zu einer umfassenden Kontrolle des Handelsvertreters verdichtet und damit seine Freiheit zur ungestörten Gestaltung seiner Tätigkeit beeinträchtigt (BAG aaO. m.w.N.; BAG VersR 2000, 1496 f). Dass dies hier der Fall war, lässt sich indes gleichfalls schon deshalb nicht feststellen, weil hinreichend substantiierter Vortrag des Beklagten dazu fehlt, welche Anforderungen von Seiten der Klägerin überhaupt im Rahmen seiner angesprochenen Berichtspflicht an ihn gestellt worden sind und weshalb die hiernach zu machenden Angaben über die "erforderlichen Nachrichten" i. S. d. § 86 Abs. 2 HGB hinausgingen.
Unter dem Gesichtspunkt der behaupteten Weisungsabhängigkeit unbeachtlich ist auch der Umstand, dass der Beklagte nach § 12 Abs. 6 seines Vertrages Urlaubs- Zeiten "rechtzeitig ... abzustimmen bzw. mitzuteilen" hatte. Allein hierdurch wurde die grundsätzliche Freiheit des Beklagten zur eigenständigen Festlegung seiner Urlaubszeiten sowie zur Gestaltung seiner Arbeitszeit noch nicht beeinträchtigt. Dass die Klägerin ein berechtigtes Interesse daran hatte, über seine urlaubsbedingte Abwesenheit rechtzeitig informiert zu sein, liegt hingegen auf der Hand.
Schließlich spricht auch die in § 12 V des Vertrages vom 08.03,1993 vorgesehene Verpflichtung des Beklagten, auf Wunsch der Klägerin "an Schulungen und angesetzten Besprechungen teilzunehmen", nicht gegen die Annahme einer selbständigen Tätigkeit. Abgesehen davon, dass eine Produktschulung auch für Handelsvertreter nicht nur üblich ist, sondern - wie die Klägerin zutreffend geltend macht - im eigenen Interesse des Handelsvertreters liegt, der so in die Lage versetzt wird, die von ihm vertriebenen Produkte bestmöglich "an den Mann" zu bringen, fehlt jeder Vortrag zum zeitlichen Umfang tatsächlich durchgeführter Schulungsveranstaltung wie auch zu etwaigen Sanktionen bei Nichtteilnahme.
dd)
Dass dem Beklagte nach § 5 des Vertrages vom 08.03.1993 untersagt war, auch noch für andere Unternehmen tätig zu werden, die - ganz oder auch nur teilweise - im Geschäftszweig der Klägerin tätig waren, ist mit dem Status eines selbständigen Versicherungsvertreters ohne weiteres vereinbar und ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Bestimmung des § 92 a Abs. 1 S. 1 HGB.
b)
Für die Einordnung des Vertrages vom 08.03.1993 als Handelsvertretervertrag sprechen hingegen u.a. die in § 6 a getroffenen Regelungen über die Vergütung des Beklagten durch erfolgsabhängige Provisionen, die damit dem gesetzlichen Leitbild des § 87 HGB entspricht und zugleich die - freiwillige - Übernahme eines unternehmerischen Risikos, gekoppelt mit der Chance einer ausgewogenen Teilhabe an von ihm vermittelten Umsatzerfolgen, beinhaltet.
3.
Die Arbeitnehmereigenschaft des Beklagte lässt sich im Streitfall entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht aus § 5 III ArbGG herleisten. Hiernach gelten Handelsvertreter nur dann als Arbeitnehmer, wenn sie zugleich Einfirmenvertreter nach § 92 a HGB sind und die in der Vorschrift geregelte Einkommensgrenze nicht übersteigen.
Nach der § 5 Abs. 1 des Handelsvertretervertrages vom 08.03.12.1993 war dem Beklagten jedoch eine Tätigkeit auch für andere Unternehmen - wenn auch mit gewissen Einschränkungen - durchaus gestattet (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart, OLGR 1999, 381). Dass und weshalb ihm dies - wie behauptet - aus zeitlichen Gründen sowie wegen fehlender Genehmigung der Klägerin tatsächlich nicht möglich gewesen sein soll, hat der Beklagten nicht substantiiert dargetan.
Überdies lässt sich allein anhand des pauschalen Vertrags des Beklagten nicht feststellen, dass sein Provisionseinkommen in den letzten 6 Monaten vor Vertragsbeendigung unter dem nach § 5 III ArbGG maßgeblichen Betrag lag.
Ende der Entscheidung
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