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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.07.2006
Aktenzeichen: 4 OBL 62/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121
StPO § 122
Das Verstreichen von sieben Wochen zwischen Eingang der Akten und Fertigung einer - recht kurzen - Anklageschrift ist mit dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren.
4 Ws 337/06 OLG Hamm 4 Ws 338/06 OLG Hamm 4 Ws 339/06 OLG Hamm 4 OBL 61/06 OLG Hamm 4 OBL 62/06 OLG Hamm 4 OBL 63/06 OLG Hamm

Beschluss

Strafsache

gegen 1. E. Ko., 2. A. Kr., 3. M. D.,

wegen schweren Raubes,

hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht

Auf die Vorlage der Akten (Haftprüfungshefte) zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 07. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der gegen die drei Angeklagten ergangene Haftbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 31. Januar 2006 - 26 a Gs 230 Js 116/06 25/06 - wird aufgehoben.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft, die die Aufhebung des Haftbefehls beantragt, hat zur Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft wie folgt Stellung genommen:

"Die Angeklagten sind am 30.01.2006 vorläufig festgenommen worden (Bl. 31, 44, 53 Bd. I d. HPH), und befinden sich seit dem 31.3.2006 auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom selben Tage - 26 a Gs 230 Js 116/06 - 25/06 - (Bl. 136 Bd. I d. HPH) in Untersuchungshaft, der Angeklagte Ko. in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal (Bl. 207 f. Bd. II d. HPH), der Angeklagte Kr. in der Justizvollzugsanstalt Herford (Bl. 169 f. Bd. II d. HPH) und der Angeklagte D. in der Justizvollzugsanstalt Iserlohn (Bl. 200 f. Bd. II d. HPH).

Mit dem Haftbefehl wird den Angeklagten zur Last gelegt, am 29.01.2006 in Paderborn als Heranwachsende gemeinschaftlich mit Gewalt und unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben fremde bewegliche Sachen einem anderen, nämlich dem Geschädigten R.M., in der Absicht weggenommen zu haben, die Sachen sich und Dritten rechtswidrig zuzueignen, wobei sie bei der Tat eine Waffe verwendeten.

Hinsichtlich des Tatvorwurfs im Einzelnen wird auf die unter dem 05.05.2006 gefertigte Anklageschrift (Bl. 307 ff. Bd. II d. HPH) Bezug genommen.

Die Angeklagten sind der ihnen zur Last gelegten Tat auf Grund des Ermittlungsergebnisses, wie es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 05.05.2006 niedergelegt ist, insbesondere ihrer geständigen Einlassungen, dringend verdächtig.

Mit Beschluss vom 11.07.2006 hat die 5. große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Paderborn die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus für erforderlich gehalten (Bl. 340 Bd. II d. HPH).

Es bestehen jedoch bereits Zweifel, ob ein Haftgrund, insbesondere derjenige der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, besteht.

Zwar trifft es zu, dass die Angeklagten angesichts der Schwere des Tatvorwurfs mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen haben.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sämtliche Angeklagte Heranwachsende sind und angesichts ihres Lebensweges sowie ihres Betäubungsmittelkonsums das Vorliegen von Reifeverzögerungen und damit die Anwendung von Jugendrecht zumindest nahe liegt. Zudem sind die Angeklagten bisher noch nicht erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Gegen den Angeklagten Ko. war lediglich im Jahre 2004 ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis anhängig, in dem gem. § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen worden ist. In mehreren, in den Jahren 2003 - 2005 gegen Angeklagten K. geführten Ermittlungsverfahren ist ebenfalls gem. § 45 Abs. 2 JGG von der Verfolgung abgesehen worden. Ein weiteres Verfahren ist nach § 47 JGG nach Erteilung einer richterlichen Weisung eingestellt worden. Lediglich in einem Verfahren wegen gemeinschaftlichen Diebstahls hat er im Jahre 2005 eine Geldauflage erhalten. Drei gegen den Angeklagten D. in den Jahren 2001 - 2005 geführte Ermittlungsverfahren sind nach Erbringung von Arbeitsleistungen gem. § 47 JGG eingestellt worden, in zwei weiteren Verfahren in den Jahren 2001 und 2002 ist gegen ihn jeweils Jugendarrest verhängt worden (Hülle vor Bl. 1 Bd. I d. HPH).

Ferner ist zu bedenken, dass die Tatbeute eher gering war und sich die Angeklagten von dem Geschädigten, der ihnen zuvor mehrmals Marihuana verkauft hatte, geprellt gefühlt hatten. Vor diesem Hintergrund ist der Straferwartung der Angeklagten, die sich zudem sogleich nach ihrer Festnahme geständig eingelassen haben, auch unter Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit der Angeklagten Ko. und D. nicht so hoch, dass sie zur Rechtfertigung der Fluchtgefahr dienen kann. Dies gilt umso mehr, als die Angeklagten Ko. und Kr. noch in der elterlichen Wohnung leben und der Angeklagte D., der alleine lebt, in Kontakt zu seinen in der Nähe wohnenden Familienangehörigen steht, sodass auch nicht von fehlenden sozialen Bindungen gesprochen werden kann.

Darüber hinaus unterliegt der Haftbefehl der Aufhebung, weil das Verfahren nicht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten bzw. Angeklagten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegen zu halten ist und sich sein Gewicht gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert. Dem trägt die Vorschrift des § 121 Abs. 1 StPO Rechnung, wonach der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Die Bestimmung des § 121 Abs. 1 StPO lässt also nicht in unbegrenztem Umfang die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus zu und ist eng auszulegen (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 121 Rdnr. 18 m. w. N.).

Diesen Erfordernissen wird die Sachbehandlung durch die Staatsanwaltschaft Paderborn in diesem Verfahren nicht gerecht.

Die Sache weist keine besondere Schwierigkeit und keinen besonderen Umfang auf, die die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus rechtfertigen würden. Auch in "anderer wichtiger Grund" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO liegt nicht vor, da es in der Verantwortungssphäre der Justizbehörden liegt, dass noch kein Urteil ergangen ist.

Die Angeklagten haben noch am Tag ihrer Festnahme am 30.01.2006 die ihnen zur Last gelegte Tat vollumfänglich eingeräumt und dieses Geständnis vor dem Haftrichter am Folgetag bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist bereits zweifelhaft, ob es erforderlich war, die Akten mit Verfügung vom 06.02.2006 der Kriminalpolizei nochmals "zum Abschluss der Ermittlungen" zuzuleiten (Bl. 162 R Bd. II d. HPH). Dies lässt sich noch damit rechtfertigen, dass die Angeklagten in ihrer Vernehmung Hinweise auf weitere von ihnen begangene Straftaten gemacht hatten, die es noch aufzuklären galt. Soweit es sich den Akten entnehmen lässt, ist dies aus diesem Vorgang heraus jedoch in der Folgezeit nicht geschehen. Am 14.03.2006 lagen die Akten wieder der Staatsanwaltschaft Paderborn vor (Bl. 199 Bd. II d. HPH). Bis zur Anklageerhebung unter dem 05.05.2006 sind - soweit es aus dem Vorgang ersichtlich ist - keine weiteren Ermittlungen getätigt oder sonstige verfahrensfördernde Schritte unternommen worden. Es sind lediglich Haftprüfungsanträge, Anträge auf Besuchserlaubnis und Akteneinsichtsgesuche abgewickelt worden.

Das Verstreichen von sieben Wochen zwischen Eingang der Akten und Fertigung der - recht kurzen - Anklageschrift ist mit dem in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren.

Hinzu kommt, dass zwischen der Eröffnung des Hauptverfahrens am 12.06.2006 (Bl. 318 Bd. II d. HPH) und dem geplanten Beginn der Hauptverhandlung am 24.08.2006 nochmals mehr als zwei Monate liegen, weil noch ein Gutachten zur Schuldfähigkeit und zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gem. § 64 StGB hinsichtlich sämtlicher Angeklagter eingeholt wird. Die Erforderlichkeit eines solchen Gutachtens wäre angesichts der Lebensumstände der Angeklagten und ihrer Angaben zu ihrem Betäubungsmittelkonsum schon zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens erkennbar gewesen, sodass den Angeklagten diese weitere Verzögerung nicht anzulasten ist, sondern ebenfalls in der Sphäre der Justizbehörden liegt."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.

Der Senat ist nach alledem von Gesetzes wegen gehalten, den Haftbefehl des Amtsgerichts Paderborn gegen die drei Angeklagten aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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