Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.01.2001
Aktenzeichen: 4 Ss 1237/00
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 318
StGB § 316
Leitsatz:

1. Zur Auslegung einer Erklärung der Berufsbeschränkung.

2. Auch bei einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung hat das Berufungsgericht in eigener Verantwortung über die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu befinden, da dieser Aspekt - im Unterschied zur Frage der Schuldfähigkeit überhaupt - zur Straffrage und nicht zur Schuldfrage zu rechnen ist.


4 Ss 1237/00 OLG Hamm Senat 4

Beschluss

Strafsache gegen R.Q,

wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 12. September 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04.01.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Ibbenbüren hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Angeklagte am 9. September 1999 gegen 1:10 Uhr in Ibbenbüren im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit am Steuer eines Pkw's u.a. die Kellerstraße und die Lindenstraße, wobei er anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle überprüft wurde. Eine um 1:39 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,93 Promille auf. Nähere Feststellungen zur Alkoholaufnahme konnten nicht getroffen werden. Weiter ist in dem Urteil ausgeführt:

" Fest steht hingegen, dass der Angeklagte bei Fahrtantritt und während der anschließenden Fahrt durch einfache Selbstprüfung hätte erkennen können und müssen, dass er aufgrund der Mengen des zuvor von ihm genossenen Alkohols nicht mehr fahrsicher war; dass er diese Selbstprüfung, zu der er als Kraftfahrzeugführer verpflichtet war, unterließ oder missachtete, begründet den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Zu dieser Selbstprüfung war er trotz seiner deutlichen Alkoholisierung in der Lage, er war trotz seiner deutlichen Alkoholisierung in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit auch nicht erheblich vermindert."

Im Nachgang zu der gegen dieses Urteil form- und fristgerecht von dem Angeklagten uneingeschränkt eingelegten Berufung hat er mit Schriftsatz vom 18. August 2000 die Berufung "auf das Strafmaß beschränkt" und unter näherer Darlegung - auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird - mitgeteilt, mit der Berufung werde das Ziel verfolgt , die verhängte Freiheitsstrafe "zur Bewährung aussetzen zu lassen".

Die XIII. kleine Strafkammer des Landgerichts Münster hat die Berufung des Angeklagten in dem angefochtenen Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass die Sperre (§ 69a StGB) noch sechs Monate beträgt.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision erstrebt der Angeklagte die Aufhebung des angefochtenen Urteils. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere - mit näheren Ausführungen - die Verletzung von § 56 StGB.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Strafkammer als das (in zweiter Instanz) mit der Sache befasste Tatgericht hat den ihr hier angefallenen Prozessstoff teilweise unentschieden gelassen bzw. rechtlich nicht gewürdigt.

Mit Schriftsatz vom 18. August 2000 hat der Angeklagte die Berufung ausdrücklich nur auf das Strafmaß, mithin den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Eine weitergehende Beschränkung innerhalb dieses Rahmens in dem Sinne, dass lediglich die Aussetzungsfrage gemäß § 56 StGB zur Überprüfung gestellt sein soll, ist nicht erfolgt. Sie hätte - ebenso wie eine von vornherein auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkte Berufung - einer entsprechenden Erklärung bedurft. Hieran fehlt es jedoch. Eine weitergehende Beschränkung der Berufung ist weder ausdrücklich erklärt, noch ergibt sie sich sonst aus dem Wortlaut des vorbezeichneten Schriftsatzes, dessen Ausführungen dem Sinngehalt nach oder den sonstigen Umständen. Nach dem Wortlaut des von einem Rechtsanwalt als Verteidiger verfassten Schriftsatzes verfolgt die beschränkte Berufung zwar "das Ziel" einer Strafaussetzung zur Bewährung. Die Mitteilung des mit dem Rechtsmittel erstrebten Zieles, also des angestrebten Ergebnisses, besagt allerdings in Fällen einer Berufungsbeschränkung noch nichts über den Umfang, in dem die angefochtene Entscheidung dem Berufungsgericht zur (erneuten) Prüfung und Entscheidung unterbreitet wird. Geht es - wie hier - um die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB), so ist zu beachten, dass Umstände, die für die Strafzumessung von Bedeutung sind, regelmäßig auch im Rahmen der Prüfung des § 56 StGB eine Rolle spielen können. Auch die Höhe einer Freiheitsstrafe kann die Entscheidung zu § 56 StGB beeinflussen. Je niedriger eine zu verhängende Freiheitsstrafe ausfällt, um so eher kann sich für einen Angeklagten die Chance ergeben, dass das Gericht im Rahmen von § 56 StGB eine ihm günstige Entscheidung trifft.

Das Berufungsgericht hat dementsprechend erkennbar die Beschränkung der Berufung auch selbst - zutreffend - als eine solche auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt verstanden und gewürdigt. Auch anlässlich der Erörterung der Berufungsbeschränkung in der Hauptverhandlung ist seitens des Verteidigers oder des Angeklagten eine darüberhinausgehende weitere Beschränkung der Berufung nicht erklärt worden. Dementsprechend hat die Strafkammer in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt, dass die Berufung (lediglich) auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden sei. Insoweit folgerichtig hat sie auch eine eigene Strafzumessung, insbesondere eine solche im engeren Sinne vorgenommen und sich nicht etwa nur auf Ausführungen zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt.

Als fehlerhaft erweist sich auf diesem Hintergrund jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, "dass auch die Feststellung des Amtsgerichts, der Angeklagte sei trotz seiner deutlichen Alkoholisierung in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit auch nicht erheblich vermindert gewesen, als sogenannte doppeltrelevante Tatsache in Rechtskraft erwachsen ist" (UA S. 2). Im Rahmen der Strafzumessung hätte das Berufungsgericht die Frage, ob der Angeklagte die Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat, vielmehr selbständig entscheiden müssen. Auch bei einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung hat das Berufungsgericht nämlich in eigener Verantwortung über die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu befinden, da dieser Aspekt - im Unterschied zur Frage der Schuldfähigkeit überhaupt (§ 20 StGB) - zur Straffrage und nicht zur Schuldfrage zu rechnen ist (vergl. Tröndle- Fischer, StGB, 49.A., § 21 Rdnr. 8 und Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 318 Rdnr. 15 jeweils m.w.N., OLG Köln NStZ 1989, 24 f). Dementsprechend besteht insoweit auch keine Bindung an die Beurteilung der Frage durch das Amtsgericht.

Soweit die Strafkammer zur Stützung ihrer - unzutreffenden - Auffassung auf eine Entscheidung des Bayrischen Obersten Landesgerichts vom 21. April 1999 (NStZ 2000, S. 275) verweist, unterliegt sie einem Fehlverständnis jenes Beschlusses. Das Gericht hatte darin (anscheinend unter dem Gesichtspunkt der Bindungswirkung der Feststellung von sog. doppelrelevanten Tatsachen) ausgeführt, dass das Berufungsgericht im Falle einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung des Angeklagten an die amtsgerichtliche Feststellung, der Angeklagte sei zur Tatzeit rauschgiftabhängig gewesen, gebunden sei. Anders als die Betäubungsmittelabhängigkeit ist die Entscheidung der Frage, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bei Begehung der Tat erheblich vermindert war, keine der tatgerichtlichen Feststellung zugängliche Tatsache, sondern das Ergebnis einer rechtlichen Beurteilung. Eine solche kann jedoch nicht Gegenstand einer Feststellung sein. Zu den doppeltrelevanten (feststellbaren und festgestellten) Tatsachen zählt im vorliegenden Fall etwa das im Urteil des Amtsgerichts mitgeteilte Ergebnis der Blutprobe. Die Blutalkoholkonzentration zur Entnahmezeit ist zugleich Grundlage der vom Berufungsgericht selbständig vorzunehmenden Ermittlung der maximalen Tatzeitblutalkoholkonzentration, von der zugunsten eines Angeklagten im Rahmen der Beurteilung einer etwaigen alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auszugehen ist.

Falls die Strafkammer sich etwa wegen des Erfordernisses der Widerspruchsfreiheit zwischen den Feststellungen des Erstgerichtes und den von ihr im Berufungsverfahren zu treffenden ergänzenden Feststellungen für nicht befugt angesehen haben sollte, zum Komplex der Schuldfähigkeit insgesamt - und sei es auch nur zur Frage ihrer erheblichen Beeinträchtigung - abweichende (Tatsachen-) Feststellungen zu treffen, wäre auch diese Auffassung unzutreffend. Von diesem Erfordernis ist nämlich nicht die Frage des Umfangs der Bindungswirkung einer durch Berufungsbeschränkung eingetretenen horizontalen Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils betroffen, sondern die Frage der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung selbst. Diese ist allerdings vom Berufungsgericht aus der Sicht des Ergebnisses der Beratung nach Abschluss der Beweisaufnahme zu beurteilen. Ergeben hierbei die für die Strafzumessung zu den Voraussetzungen des § 21 StGB festgestellten Tatsachen Anlas zu der Annahme, sie könnten bei erneuter Entscheidung über die Schuldfrage zur Verneinung der Schuld führen, oder kommt das Berufungsgericht gar zu dem Ergebnis, der Angeklagte sei schuldunfähig (§ 20 StGB), so ist die erklärte Berufungsbeschränkung auf das Strafmaß unwirksam (vergl. dazu Kleinknecht/ Meyer-Goßner, StPO, 44.A., § 318 Rdnr. 17, § 327 Rdnr. 5f; BGH NJW 1996, 2663, 2664; OLG Köln NStZ 1989, 24, 25). Das Rechtsmittel ist dann als in vollem Umfang eingelegt zu behandeln.

Der aufgezeigte Fehler des angefochtenen Urteils führt auch ohne entsprechende ausdrückliche Rüge zur Aufhebung der Entscheidung. Das Revisionsgericht prüft auf eine - wie hier - zulässige Revision von Amts wegen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des Urteils erster Instanz entschieden hat, die von der Berufung umfasst sind (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44.A., § 352 Rdnr. 3).

Das angefochtenen Urteil war mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Diese wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben, da deren Erfolg i.S.d. § 473 StPO noch nicht feststeht.

Ende der Entscheidung

Zurück