Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 4 Ss 128/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 344
Zur Begründung der Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des notwendigen Verteidigers stattgefunden hat, ist es erforderlich, dass die Revision über die Darlegung, dass dem Angeklagten entgegen § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger nicht beigeordnet worden war hinaus, die Tatsachen mitteilt, die zur Prüfung der Frage erforderlich sind, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen

Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen "Schwere der Tat" im Berufungsverfahren, wenn das Ziel der Berufung der Staatsanwaltschaft eine wesentliche höhere als die vom Amtsgericht festgesetzte Strafe ist.


Beschluss

Strafsache

gegen J.M.

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 12. Dezember 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 04. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zum Rechtsmittel des Angeklagten wie folgt Stellung genommen:

"I.

Das Amtsgericht Delbrück hat den Angeklagten am 02.10.2007 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässigen Verstoß gegen die §§ 1, 6 Pflichtversicherungsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von 12 Monaten verhängt (Bl. 28, 30, 35 ff d.A.). Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 08.10.2007 (Bl. 33 d.A.) hat die 3. kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn den Angeklagten am 12.12.2007 unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Delbrück vom 02.10.2007 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung und mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen die §§ 1, 6 Pflichtversicherungsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, wobei die Strafkammer die durch das Amtsgericht verhängte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von 12 Monaten auf 9 Monate herabgesetzt hat (Bl. 52, 55, 61 ff d.A.).

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seine Verteidigerin am 18.12.2007 (Bl. 56 d.A.) Revision eingelegt. Nach Zustellung des angefochtenen Urteils am 21.01.2008 (Bl. 72 d.A.) hat er die Revision mit am 19.02.2008 (Bl. 76 d.A.) bei dem Landgericht Paderborn eingegangenen Schriftsatz seiner Verteidigerinnen vom selben Tage mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

II.

Der gemäß § 335 Abs. 1 StPO statthaften und auch sonst zulässig eingelegten Revision dürfte auch in der Sache ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen sein.

Soweit die Revision eine Verletzung der Vorschrift des § 140 Abs. 2 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO rügt, ist diese Verfahrensrüge in einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführt worden.

Zur Begründung der Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des notwendigen Verteidigers stattgefunden hat, ist es erforderlich, dass die Revision über die Darlegung, dass dem Angeklagten entgegen § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger nicht beigeordnet worden war hinaus, die Tatsachen mitteilt, die zur Prüfung der Frage erforderlich sind, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen (OLG Hamm, Beschluss vom 19.01.2001 - 2 Ss 133/00 -).

Diesen Anforderungen wird das Revisionsvorbringen insoweit gerecht, als dass es unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat als Grund für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO neben dem gegen den Angeklagten in erster Instanz ergangenen Schuldspruch auch mitteilt, dass die Staatsanwaltschaft Paderborn mit ihrer Berufung neben der Nichtaussetzung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auch die Verurteilung wegen Urkundenfälschung und eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu erreichen suchte. Ferner teilt die Revision in diesem Zusammenhang den seites der Staatsanwaltschaft Paderborn in der Berufungshauptverhandlung gestellten Antrag als auch den Schuldspruch des angefochtenen Urteils mit.

Daneben kann dem Revisionsvorbringen in ausreichender Weise entnommen werden, dass gegen den Angeklagten zuvor mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 07.07.2006 in dem Verfahren 23 Ds 422 Js 1233/05 eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt worden war und dass dem Angeklagten bei einer Verurteilung in vorliegender Sache ein Widerruf dieser Strafaussetzung zur Bewährung droht.

Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann. Die Bestellung des Verteidigers liegt dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, dem jedoch u.a. durch den Rechtsbegriff "Schwere der Tat" Grenzen gesetzt sind (Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflg., § 140 Rdn. 22; OLG Celle, StV 1988, 379; OLG Hamm, NStZ 1982, 298; OLG Köln, NJW 1972, 1432; OLG Stuttgart, NStZ 1981, 490; OLG Zweibrücken, NStZ 1986, 135). Eine Tat ist als schwer im Sinne des § 140 StPO zu erachten, wenn die zu erwartende Rechtsfolge einschneidend ist (BGHSt 6, 199). Dies ist u.a. dann der Fall, wenn eine längere Freiheitsstrafe droht, wobei eine solche regelmäßig bei einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe anzunehmen ist (OLG Hamm, Beschlüsse vom 19.01.2001 - 2 Ss 133/00 - und vom 14.05.2003 - 3 Ss 1163/02 -), wobei in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen ist, ob gegen den Angeklagten noch weitere Verfahren anhängig sind, hinsichtlich derer ggf. eine Gesamtstrafenbildung in Betracht kommt (OLG Hamm, Beschluss vom 20.11.2003 - 2 Ws 279/03 -) oder dem Angeklagten wegen eines drohenden Bewährungswiderrufes die Vollstreckung einer weiteren, zunächst zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe droht (Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 25).

Zwar droht dem Angeklagten vorliegend mit der durch das angefochtene Urteil verhängten Freiheitsstrafe sowie bei einem Widerruf der durch Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 07.07.2006 verhängten Freiheitsstrafe von fünf Monaten noch nicht die Vollstreckung von einem Jahre Freiheitsstrafe; im Hinblick darauf, dass es sich bei der Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe jedoch nicht um eine "starre Grenze" handelt (OLG Hamm, Beschluss vom 26.03.1997 - 2 Ss 308/97 -) und vorliegend sowohl im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft Paderborn, die bereits erkennen ließ, dass von dort aus eine Verurteilung wegen eines Vergehens mit einem erheblich höheren Strafrahmen erstrebt wurde, als auch der seitens der Staatsanwaltschaft Paderborn in der Berufungshauptverhandlung gestellte Antrag ließen es ohne Weiteres als möglich erscheinen, dass dem Angeklagten eine Verurteilung drohte, infolge derer gegen ihn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr zu vollstrecken gewesen wäre.

Abgesehen davon, dass bereits der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Paderborn mit ihrer Berufung eine über die Verurteilung des Amtsgerichts Delbrück hinausgehende Verurteilung des Angeklagten erstrebte, der Strafkammer hätte Anlass geben können, die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Erwägung zu ziehen (Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 26 a.E.), hätte hiernach in Anbetracht des erkennbaren Ziels der Berufung der Staatsanwaltschaft Paderborn genügender Anlass für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO bestanden.

Das Unterlassen der hiernach nach § 140 Abs. 2 StPO erforderlichen Bestellung eines Verteidigers stellt einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO dar (BGHSt 15, 306; Meyer-Goßner, a.a.O., § 338 Rdn. 41).

Da das Urteil hiernach bereits auf die erhobene Verfahrensrüge hin aufzuheben ist, bedarf es einer Entscheidung über die erhobene allgemeine Sachrüge nicht."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich an.

Ende der Entscheidung

Zurück