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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: 4 Ss 130/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 142
Zum Begriff des Unfalls i.S. von § 142 StGB.
Beschluss

Strafsache

gegen F.S.

wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u. a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 26. September 2006 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 04. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, sowie die Richter am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 StPO sowie gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Dem Angeklagten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung gewährt.

Soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist, wird das Urteil aufgehoben und der Angeklagte freigesprochen.

Im Übrigen wird die Revision mit der klarstellenden Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte schuldig ist des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt wird. Die Entscheidungen der Kammer hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Sperrfrist für deren Wiedererteilung bleiben aufrechterhalten.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Steinfurt hat den Angeklagten wegen eines fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie in Tatmehrheit dazu wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 50,00 € verurteilt. Ferner ist dem Angeklagten unter Einziehung seines Führerscheins die Fahrerlaubnis entzogen und für deren Wiedereintritt eine Sperrfrist von 7 Monaten bestimmt worden. Die Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil ist mit der Maßgabe verworfen worden, dass der Angeklagte schuldig ist des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr durch einen ähnlich dem Hindernis bereiten gefährlichen Eingriff und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

Die Berufungskammer hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

"Am 27.11.2005 befuhr der Angeklagte etwa gegen 16.30 Uhr am Steuer seines Geländewagens der Marke Ford Typ Explorer, amtliches Kennzeichen XXXXXXX in Steinfurt-Borghorst die Straße "Am Bahnhof" in Fahrtrichtung "Anton-Wattendorff-Straße". Etwa in Höhe des dortigen Bahnhofs bog der Angeklagte sodann nach links in die "Anton-Wattendorff-Straße" ein. An dieser Straßenecke, aus Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen, links, spielten zu diesem Zeitpunkt die heute 11 - 14 Jahre alten Zeugen J1. und J2 M., G.P. sowie J.V.. Diese hatten sich dort einen Iglu bzw. eine Wand aus Schnee gebaut. Im Schutz der Schneewand bewarfen diese Zeugen vorbeifahrende Fahrzeuge mit Schneebällen und beobachteten durch in der Wand befindliche Gucklöcher oder über deren oberen Rand spähend die Reaktion der jeweiligen Fahrzeugführer. Während des Abbiegevorgangs nach links wurde auch von einem der Kinder ein Schneeball gegen das Fahrzeug des Angeklagten geworfen, der dieses auf der Fahrerseite traf. Der Angeklagte reagierte nicht unmittelbar darauf, sondern setzte den Abbiegevorgang zunächst soweit fort, dass er aus dem Blickfeld der Kinder geriet, weil für diese die Sicht durch eine Hecke versperrt war, die in ihren Rücken verlief und an die anschließend sie ihre Schneewand errichtet hatten. Diese Hecke verlief - über mannshoch - vom Standpunkt der Kinder noch weiter in Richtung der "Anton-Wattendorff-Straße" und verdeckte zunächst deren Sicht auf das Fahrzeug des Angeklagten. Wegen der Örtlichkeit wird auf das sich bei den Akten befindliche Lichtbild (Bl. 22 oben) Bezug genommen, das von einem Standpunkt auf der Straße "Am Bahnhof" aufgenommen worden ist und die Reste der Schneewand (rechts neben dem abgebildeten Kleintransporter) und weiter die erwähnte Hecke zeigt wie auch den Bereich der "Anton-Wattendorff-Straße", in die der Angeklagte eingefahren ist. Der Angeklagte geriet über diesen Vorfall in Wut und entschloss sich, die Kinder für das Werfen des Schneeballs zu bestrafen. Er hielt sein Fahrzeug an und setzte so zurück, dass er von dem Einmündungsbereich der Straße "Am Bahnhof" in die "Anton-Wattendorff-Straße" vorwärts fahrend den Schneebunker der Kinder erreichen konnte, der von den Scheinwerfern seines Fahrzeugs angeleuchtet wurde. Der Angeklagte erkannte, dass sich in dem Schneebunker hinter der Schneewand mehrere Kinder befanden. Er fuhr zunächst aus dem Bereich der Fahrbahn, der weitesgehend schneefrei war, auf die Schneewand zu und hielt sein Fahrzeug zunächst an, als er sich in einem Abstand von 3 - 4 m zur Schneewand befand. Spätestens jetzt entschloss sich der Angeklagte, bei den Kindern ein Exempel zu statuieren, indem er die Schneewand mit seinem Fahrzeug zum einstürzen brachte. Ihm war bewusst, dass er bei Durchführung seines Vorhabens die sich hinter der Schneewand versteckenden Kinder mindestens insoweit in Mitleidenschaft ziehen werde, dass diese möglicherweise vom Schnee oder auch durch sein Fahrzeug selbst verletzt werden würden. Darüber setzte er sich jedoch hinweg, weil es ihm darauf ankam, unbedingt die Kinder für ihr Verhalten ihm gegenüber zu bestrafen. In Verfolgung seiner Absicht beschleunigte er sein Fahrzeug und fuhr so gegen die Schneewand, dass diese einstürzte und drei der Kinder hinter ihr zu Fall gebracht wurden, wobei zwei von ihnen durch die umfallende Schneewand und eines, der Zeuge J1.M., durch den Stoßfänger am Fahrzeug des Angeklagten so getroffen wurden, dass sie zu Boden fielen und der Zeuge J1.M.r erhielt hierdurch eine leichte Prellung und hatte des Abends noch Bauchschmerzen. Dem Zeugen J.V. war es gelungen, sich durch einen Sprung zur Seite aus der Gefahr zu bringen. Der Angeklagte, der erkannt hatte, dass die Kinder durch seine Strafmaßnahme zu Fall gekommen waren, setzte sein Fahrzeug zurück und fuhr mit größerer Geschwindigkeit über die "Anton-Wattendorff-Straße" davon nach Hause, wo er später von den herbeigerufenen Polizeibeamten angetroffen wurde. Der Angeklagte hatte den Tatort in der dargestellten Weise verlassen, weil er unerkannt zu entkommen trachtete."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO.

II.

Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg. Es führt auf die Sachrüge hin zur teilweisen Aufhebung des Urteils und Freispruch des Angeklagten, soweit dieser wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist.

Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat, § 349 Abs. 2 StPO.

2. Die Berufungskammer hat es als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB gewertet, dass der Angeklagte den Tatort mit seinem Fahrzeug verlassen hat. Diese Bewertung des Tatgeschehens ist rechtsfehlerhaft, da ein "Unfall im Straßenverkehr" im Sinne des § 142 StGB nicht stattgefunden hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2002, 626, 627) ist ein "Unfall im Straßenverkehr" jedes Schadensereignis, in dem sich ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert hat. Das kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn das Schadensereignis im Straßenverkehr schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht die Folge des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung ist. Letzteres ist hier der Fall. Der Angeklagte hat sein Fahrzeug vor der Schneemauer und den dahinter befindlichen Kindern in einem Abstand von 3 - 4 m zum Stehen gebracht. In der Absicht, diese Schneewand zum Einstürzen zu bringen und mit dem bedingten Vorsatz, möglicherweise die Kinder zu verletzten, ist der Angeklagte sodann losgefahren und hat die Schneewand zum Einstürzen gebracht mit der Folge, dass eines der Kinder verletzt worden ist. In dem Schadensereignis hat sich nicht ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert, denn das Verhalten des Angeklagten ist schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild keine Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung. Der Angeklagte hat nämlich sein Fahrzeug angehalten und ist dann auch losgefahren, um ein Schadensereignis herbeizuführen. Der Umstand, dass der Angeklagte mit seinem fahrenden Fahrzeug handelte, vermag den notwendigen Zusammenhang mit dem typischen Gefahren des Straßenverkehrs nicht herzustellen. Mithin liegen die Voraussetzungen des § 142 StGB nicht vor und der Angeklagte ist insoweit freizusprechen, da die bisherigen Feststellungen vollständig und fehlerfrei sind und zudem ausgeschlossen werden kann, dass eine neue Hauptverhandlung noch weitere Aufschlüsse zu erbringen vermag.

3. Die nach dem Teilfreispruch verbleibende Einzelstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50,00 € bleibt ebenso aufrechterhalten wie die Entscheidung der Berufungskammer hinsichtlich der Fahrerlaubnis des Angeklagten.

III. Der Angeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens, da seine Rechtsmittel nur zu einem unwesentlichen Teilerfolg geführt haben (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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