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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.07.2004
Aktenzeichen: 4 Ss 259/04
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 58
AuslG § 92
Zum Umfang der Informations- und Umgrenzungsfunktion der Anklage bei einem Verstoß gegen das AuslG.
Beschluss

Strafsache

gegen M.S.

wegen Verstoßes gegen das BtMG

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 16. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 24. Februar 2004 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 07. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen eines - tatmehrheitlich begangenen - Verstoßes gegen das AuslG verurteilt worden ist.

Insoweit wird das Verfahren gemäß § 206 a StPO auf Kosten der Landeskasse eingestellt.

Es wird davon abgesehen, die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen.

2. Im Übrigen wird die Revision auf Kosten des Angeklagten verworfen.

3. Es wird klarstellend festgestellt, dass der Angeklagte damit wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und einem Verstoß gegen §§ 58 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt ist.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 23. September 2003 zur Last gelegt, in Gronau am 18. August 2003 durch dieselbe Handlung

1. Betäubungsmittel (Haschisch) in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt zu haben,

2. mit Betäubungsmitteln (Haschisch) in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben,

3. entgegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 AuslG in das Bundesgebiet eingereist zu sein.

Gegenstand des ausländerrechtlichen Vergehens war die Einreise des Angeklagten aus den Niederlanden nach Deutschland mit einer durch die zuvor erfolgte Ausreise ungültig gewordenen Duldung am 18. August 2003, §§ 58 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG.

Mit Beschluss vom 30. September 2003 hat das Amtsgericht Ahaus die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Durch Urteil des Amtsgerichts Ahaus vom 10. Oktober 2003 ist der Angeklagte wegen des angeklagten Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten und wegen eines tatmehrheitlich begangenen Verstoßes gegen §§ 58 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, woraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten gebildet worden ist.

Bezüglich des ausländerrechtlichen Vergehens hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Durch die Bezirksregierung Braunschweig wurde der Angeklagte am 06.06.2002 dem Landkreis Cuxhaven zugewiesen. Zuletzt am 27.05.2003 erstellte der Landkreis Cuxhaven dem Angeklagten eine Duldung mit Aufenthaltsbeschränkung auf dem Bereich des Landkreises Cuxhaven mit vorübergehender Aufenthaltsgestattung für Bremerhaven bis zum 26.08.2003. Trotz dieser Aufenthaltsbeschränkung lebte der Angeklagte zusammen mit der Zeugin K. in Münster im Haus I.platz. Am 18.08.2003 reiste der Angeklagte aus den Niederlanden kommend ohne erforderliche Aufenthaltsgenehmigung und ohne erforderlichen Pass mit der Eisenbahn von Enschede über die niederländisch-deutsche Grenze nach Gronau."

Das Landgericht Münster hat mit Urteil vom 24. Februar 2004 die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Gesamtfreiheitsstrafe auf zwei Jahre reduziert wird.

Nach Auffassung der Strafkammer hat sich der Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG sowie wegen eines tateinheitlich begangenen Verstoßes gegen das Ausländergesetz gemäß §§ 58, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG und mindestens eines tatmehrheitlich begangenen Verstoßes gemäß §§ 58, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG strafbar gemacht.

Die Einzelstrafen sind auf ein Jahr 11 Monate für den ersten Komplex und zwei Monate für den tatmehrheitlich begangenen Verstoß gegen das Ausländergesetz festgesetzt worden, woraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet worden ist. Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und form- und fristgerecht begründete Revision des Angeklagten, mit der die allgemeine Sachrüge erhoben worden ist.

II.

Das Rechtsmittel führt zu einem Teilerfolg.

Der Senat ist dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gefolgt, die Folgendes ausgeführt hat:

"Die bei einer bei Vorliegen einer zulässigen Revision von Amts wegen gebotene Überprüfung der Verfahrensvoraussetzungen (Kuckein, StraFo 1997, 33) ergibt, dass ein Verfahrenshindernis besteht, soweit der Angeklagte wegen eines tatmehrheitlich begangenen Verstoßes gegen das Ausländergesetz verurteilt worden ist.

Anklage und Eröffnungsbeschluss sind Verfahrensvoraussetzungen. Sie bestimmen Umfang und Grenzen der Verhandlung, denn Gegenstand der Urteilsverkündung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO allein die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Die Anklage ist danach maßgebend dafür, was dem Gericht zur Überprüfung und Entscheidung unterbreitet ist; der Eröffnungsbeschluss, der endgültig bestimmt, welche Taten das Gericht untersucht, kann nur solche Taten zum Gegenstand haben, die in der Anklage enthalten sind und auf die sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft bezieht (Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflg., § 264 Rdn. 7 a m.w.N.; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Auflg. Rdnr. 97 f m.w.N.). Das Fehlen von Anklage und/oder Eröffnungsbeschluss oder der Umstand, dass Anklage und/oder Eröffnungsbeschluss sich jedenfalls nicht auf die Tat erstrecken, die Gegenstand der Urteilsfindung gewesen ist, stellen vom Revisionsgericht stets zu prüfende absolute Verfahrenshindernisse dar (Meyer-Goßner, a.a.O., § 264 Rdn. 12; Dahs/Dahs, a.a.O., Rdn. 98).

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen eines tatmehrheitlich begangenen Verstoßes gegen das Ausländergesetz verurteilt.

Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Ausländergesetz hat das Amtsgericht festgestellt, der Landkreis Cuxhaven habe zuletzt am 27.05.2003 dem Angeklagten eine Duldung mit einer Aufenthaltsbeschränung auf den Landkreis Cuxhaven mit vorübergehender Aufenthaltsgestattung für Bremerhaven bis zum 26.08.2003 ausgestellt. Trotzdem habe der Angeklagte zusammen mit der Zeugin K. in Münster gelebt.

Das Landgericht Münster hat ergänzend zur Klarstellung festgestellt, dass der Angeklagte seit Juni 2003 in der Wohnung der Zeugin K. in Münster wohnte und dieser Aufenthalt lediglich für die Dauer einer - im Zeitraum von Juni 2003 bis zur Festnahme des Angeklagten am 18.08.2003 liegenden - Woche von einer Besuchserlaubnis gedeckt war, wobei der Besuchserlaubnis eine Zäsurwirkung zugekommen sei.

Diese Tat war aber nicht Gegenstand der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Münster vom 23.09.2003 (Bl. 67 ff d.A.). Gegenstand der Anklage war vielmehr ausschließlich die am 18.08.2003 unternommene Ausreise des Angeklagten in die Niederlande, die zur Folge hatte, dass die durch den Landkreis Cuxhaven ausgestellte Duldung des Angeklagten erloschen war, und seine am selben Tag erfolgte Wiedereinreise in das Bundesgebiet illegal war.

Damit steht fest, dass die vom Amtsgericht sowie Landgericht festgestellte Tat, der Angeklagte habe gegen die durch den Landkreis Cuxhaven ausgestellte Aufenthaltsbeschränkung verstoßen, die zudem zeitlich vor der dem Angeklagten erteilten, eine Woche gültigen Besuchserlaubnis gelegen haben soll, und sich rechtlich als ein Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nr. 3 AuslG oder § 85 Nr. 2 AsylvfG darstellen würde, nicht mehr von Anklage und Eröffnungsbeschluss umfasst war.

Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei einem Verstoß gegen eine Aufenthaltsbeschränkung um ein Dauerdelikt handelt (zu vgl. OLG Stuttgart Justiz 2001, 497 - 499), und dieses Delikt am 18.08.2003 noch andauerte.

Der Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung durch das Verlassen des Landkreises Cuxhaven bzw. Bremerhaven und die Fahrt in die Niederlande, um dort Betäubungsmittel zu erwerben, stellen keine prozessual einheitliche Tat mit der Folge, dass der Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung von der Anklage erfasst wäre, dar. Dazu genügt es nicht, dass der Täter im Zuge der Verwirklichung eines Gesamtplanes oder aufgrund einer einheitlichen Grundhaltung tätig geworden ist, dasselbe Rechtsgut verletzt hat oder die Vorgänge durch eine bloße zeitliche oder örtliche Aufeinanderfolge gekennzeichnet sind. Mehrere selbständige Handlungen bilden nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur erst dann eine Tat im Sinne des § 264 StPO, wenn darüber hinaus die einzelnen Handlungen unter Berücksichtigung ihrer strafrecechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, berücksichtigt werden kann und ihre getrennt Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorganges erscheinen würde (BGH NJW 1981, 997). Eine solche Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insbesondere besteht eine über einen punktuellen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang hinausgehende innere Verknüpfung zwischen dem Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung und die Fahrt des Angeklagten in die Niederlande nicht. Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils, ergänzt durch die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils, ist der Angeklagte, der seit Juni 2003 in der Wohnung der Zeugin K. in Münster lebte, am 18.08.2003 in der Innenstadt von Münster durch einen Landsmann angesprochen und gebeten worden ist, in Holland etwas abzuholen, woraufhin der Angeklagte mit der Bahn nach Enschede fuhr.

Die Fahrt des Angeklagten in die Niederlande, der ein neuer Tatentschluss zugrunde liegt, ergibt sich somit auch nicht zwangsläüfig aus dem Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung und war auch nicht durch diesen bedingt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Angeklagte die Fahrt in die Niederlande lediglich bei Gelegenheit seines rechtswidrigen Aufenthalts in Münster vorgenommen.

Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten nicht begründet.

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gebotenen Überprüfung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.

Die Berufung des Angeklagten ist gem. § 318 StPO zulässig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden (Bl. 152 d.A.). Die Beschränkung ist auch in wirksamer Weise erfolgt, weil das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Ahaus ausreichende Feststellungen zu den Taten enthält, die noch so vollständig, klar und widerspruchsfrei sind, dass sie eine zuverlässige Grundlage für die Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch bilden (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 318 Rdnr. 16 m.w.N.).

Insbesondere tragen die Feststellungen des Amtsgerichts Ahaus auch die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 92 Abs. Nr. 6 AuslG.

Dem Urteil des Amtsgerichts Ahaus ist zu entnehmen, dass dem Angeklagten durch den Landkreis Cuxhaven eine Duldung mit Aufenthaltsbeschränkung erteilt worden war und der Angeklagte aus dem Bundesgebiet in die Niederlande gereist war, was zur Folge hatte, dass die bestehende Duldung nach § 56 Abs. 4 AuslG erloschen war. Schließlich ist den Feststellungen des Amtsgerichts auch zu entnehmen, dass der Angeklagte am 18.08.2003 wieder - nachdem die Duldung erloschen war - in das Bundesgebiet einreiste.

Auch die Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Überprüfung Stand. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist in der Regel nur dann möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft snd oder die verhängte Strafe gegen anerkannte Strafzwecke verstößt. Solche Fehler liegen hier jedoch nicht vor, zumal der Tatrichter nicht gehalten ist, sämtlichen Strafzumessungsgründe anzugeben.

Auch die Ausführungen, mit denen die Kammer eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung Stand.

Im Hinblick auf die beantragte Einstellung des Verfahrens kann allerdings die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben, so dass zur Klarstellung festzustellen ist, dass der Angeklagten zu der durch die Kammer wegen des Vorwurfes der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit einem Verstoß gegen das Ausländergesetz verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt worden ist."

Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidungen beruhen auf den §§ 467 Abs. 1 u. 3 S. 2 Nr. 2, § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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