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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.05.2003
Aktenzeichen: 4 Ss 316/03
Rechtsgebiete: StPO, StGB, BtMG


Vorschriften:

StPO § 358 Abs. 2
StGB § 64
BtMG § 35
Die Tatsache, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringung nicht entgegen.

Zu den Voraussetzungen der Unterbringung.


Beschluss

Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 7. Januar 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 05. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Münster hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei weiteren Fällen, wegen Diebstahls und wegen Hausfriedensbruchs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Landgericht hat die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Strafkammer hat im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung nicht die naheliegende Frage erörtert, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Da die Verhängung von Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei der Beurteilung der zu erkennenden Rechtsfolgen Wechselwirkung entfalten und nach Lage des Falles nicht auszuschließen ist, dass bei Anordnung der Unterbringung auf noch geringere Einzelstrafen bzw. eine geringere Gesamtstrafe erkannt worden wäre, war - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft - der gesamte noch zur Beurteilung stehende Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Die Tatsache, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 S. 2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Revisionsführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Strafgericht von seinen Rechtsmittelangriffen nicht ausgenommen.

Hat ein Täter den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen auf den Hang zurückzuführender rechtswidriger Taten verurteilt, so muss das Gericht nach § 64 Abs. 1 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung darf nur unterbleiben, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint (§ 64 Abs. 2 StGB). Ob von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin überprüft werden, auch wenn - wie hier - nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5; BGH, NStZ 1992, 33). Anlass hierfür wird allerdings nur dann bestehen, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind, sich eine Prüfung für den Tatrichter daher aufdrängen musste. So liegt es hier.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der schon mehr mehrfach teils auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte im Alter von 16 Jahren mit dem Konsum von Alkohol begonnen hat. Mit 20 Jahren trank er täglich Alkohol, und zwar Bier. Teilweise litt auch seine Arbeit unter dem Alkoholgenuss. Im Zeitraum der hier zu beurteilenden Taten trank er täglich, und zwar bis zu 5 bis 6 Flaschen Bier am Tag, wobei er morgens schon mit dem Alkoholkonsum begann. Mit dem Drogenkonsum begann der Angeklagte im Alter von 21 Jahren, und zwar zunächst mit Haschisch. Vom 22. Lebensjahr an konsumierte er auch Heroin, das er sich jeweils spritzte. Im Zeitraum der hier zu beurteilenden Taten konsumierte er 3 bis 4 Gramm Kokain pro Tag, nachdem es ihm zwischenzeitlich gelungen war, gänzlich vom Drogenkonsum abzulassen. An Entgiftungsmaßnahmen oder Therapien hat er bisher nicht teilgenommen. Nach den Urteilsfeststellungen möchte er jetzt an einer Langzeittherapie in Borgholzhausen teilnehmen, hat aber noch keine feste Zusage.

Bei den dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Straftaten hat der Angeklagte unter nicht unerheblichem Alkoholeinfluss (u.a. ergaben bei ihm entnommene Blutproben Blutalkoholgehalte von 1,66 %o; 1.48 %o; ca. 1.5 %o und 1,61 %o) gehandelt, zudem stand er bei sämtlichen Taten unter Drogeneinfluss. Die Strafkammer hat nicht ausschließen können, dass der Angeklagte in allen Fällen "unter den Voraussetzungen der erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gehandelt hat". Sie hat deshalb bei der Strafzumessung von der Milderungsmöglichkeit des § 49 StGB Gebrauch gemacht. Bei der Bemessung der Gesamtstrafe hat die Strafkammer "einen inneren Zusammenhang der Straftaten aus der Alkohol- und Drogenabhängigkeit des Angeklagten" berücksichtigt. Im Hinblick auf mehrfaches Bewährungsversagen hat die ungeachtet der Erklärung des Angeklagten, er sei therapiewillig, keine günstige Prognose für ein zukünftiges straffreies Leben erkannt und hat deshalb eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt.

Angesichts dieser Feststellungen hätte die Strafkammer nach Anhörung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass der Angeklagte infolge seiner Abhängigkeit erneut rechtswidrige Taten begehen wird und ob dem durch eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begegnet werden kann. Eine Entziehungskur erscheint ersichtlich nicht aussichtslos, zumal der Angeklagte sich nach den Urteilsfeststellungen therapiewillig gezeigt hat. Insofern geht die Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB den §§ 35 ff BtMG (möglicherweise hat diese Maßnahme der Kammer vorgeschwebt) vor. Zunächst sind die Voraussetzungen des § 64 StGB und ggf. die Reihenfolge der Vollstreckung nach § 67 StGB zu prüfen (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 3, 6, 7, 11 - 13).

Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss daher aufgrund einer neuen Verhandlung entschieden werden. Da - wie schon ausgeführt - nicht auszuschließen ist, dass die zuerkannten - für sich genommen maßvollen - Strafen und Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn zugleich die Unterbringung angeordnet worden wäre, kann der Rechtsfolgenausspruch insgesamt nicht bestehen bleiben.

Ende der Entscheidung

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