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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.09.2007
Aktenzeichen: 4 Ss 389/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 185
Zum Sinngehalt der Äußerung, ein anderer können sich "mit dem Schreiben den Arsch auswischen".
Beschluss

Strafsache gegen M. K.,

wegen Beleidigung.

Auf die (Sprung-) Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Tecklenburg vom 2. Februar 2007 hat der 4 . Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Leygraf und die Richter am Oberlandesgericht Kallhoff und Schwens nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Angeklagten bzw. ihres Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I. Das Amtsgericht Tecklenburg hat die Angeklagte wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen in Höhe von jeweils 10,- EUR verurteilt.

Das Amtsgericht hat zur Sache Folgendes festgestellt:

"Am 19.10.2006 erhielt die Angeklagte ein anwaltliches Schreiben des Zeugen Vo. vom 17.10.2006, in welchem dieser namens der von ihm vertretenen Mieterin (gemeint ist wohl Vermieterin - der Senat) das Mietverhältnis über die Wohnung Grevener Str. 8 in L. wegen schuldhafter Vertragspflichtverletzung zum 31.01.2007 kündigte. Nach Erhalt dieses Schreibens rief die Angeklagte gegen 15.00 Uhr in der Kanzlei des Zeugen Vo. an und teilte der dort tätigen Mitarbeiterin, der Zeugin Ha., unter anderem mit: "Richten Sie Rechtsanwalt Vo. aus, dass er sich mit dem Schreiben den Arsch auswischen kann. Das ist ja wohl das Letzte, das ich jetzt auch noch mit Schreiben bombardiert werde. Der Herr Ke. hat mich verletzt und die Scheiß Staatsanwaltschaft tut nichts. Aber das ist jetzt egal. Jetzt wird gekämpft bis aufs Blut. Gleich rufe ich meinen Anwalt an und dann machen wir sie fertig. Mein Anwalt ist ohnehin besser als Herr Vo.."

Gegen dieses Urteil richtet sich die u.a. auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten, mit der sie ihren Freispruch erstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision der Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen nicht die Verurteilung der Angeklagten wegen Beleidigung.

Eine nach § 185 StGB strafbare Beleidigung liegt vor, wenn eine Äußerung eine Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung enthält. Dies ist der Fall, wenn dem Betroffenen der ethische oder soziale Wert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch der grundsätzlich uneingeschränkte Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird (RGSt 71, 160 ff.; BGHSt 1, 289 ff.; 11, 67 ff.; 16, 63 ff.; OLG Celle NJW 1953,1764; OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 158; Tröndle/Fischer 53. Aufl., § 185 Rn 8). Dabei kann die Beleidigung durch ehrenrührige Tatsachenbehauptung sowie durch herabsetzende Werturteile gegenüber dem Betroffenen begangen werden (vgl. OLG Hamm vom 10. Oktober 2005 in 3 Ss 231/05). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei Angriffen auf die Ehre eines anderen dementsprechend zunächst zu untersuchen, ob eine Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe einer Meinung, d.h. eines Werturteils, darstellt. Bei der Tatsachenbehauptung steht die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund, so dass sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist. Hingegen sind Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz der Meinungsfreiheit in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt (vgl. BVerfG, StV 2000, 416; NJW 1994, 1779). Zu bewerten ist die beanstandete Äußerung in ihrer Gesamtheit; einzelne Elemente dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht herausgelöst und einer vereinzelten Betrachtung zugeführt werden, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagen würde (vgl. BGH a.a.O.).

Die Anwendung dieser Grundsätze führt hinsichtlich der beanstandeten Äußerungen der Angeklagten dazu, dass es sich um ein Werturteil in Bezug auf die Person des Zeugen Vo. handelt, da die Aussagen nicht dem Beweis ihrer objektiven Richtigkeit zugänglich sind, wovon das Amtsgericht auch zutreffend ausgegangen ist.

Prüfungsmaßstab für die vorliegenden Darlegungen ist demnach das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Es gewährleistet jedermann grundsätzlich das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG NJW 1976, 1980). Aus diesem Grund sind Werturteile von Art. 5 Absatz 1 GG unabhängig davon geschützt, ob die Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", "emotional" oder "rational" begründet ist (vgl. BVerfG NJW 1992, 2815; NJW 1983, 1415; NJW 1972, 811).

Ob das Werturteil eine Missachtung oder Nichtachtung darstellt, ist dabei durch Auslegung des objektiven Sinngehalts der Äußerung zu ermitteln, wobei dies unter Berücksichtigung der gesamten Begleitumstände, wie etwa der Anschauungen und Gebräuche der Beteiligten, der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebenen, auf welcher die Äußerung gefallen ist, sowie regionaler Besonderheiten und sprachlicher Dialekte zu erfolgen hat. Maßgebend ist dabei nicht, wie der Empfänger, sondern wie ein verständiger Dritter die Äußerung versteht (BGHSt 19, 235 ff., 237; Tröndle/Fischer a.a.O.). Ist eine Äußerung mehrdeutig, so hat sich der Tatrichter in den Urteilsgründen mit den verschiedenen Möglichkeiten der Deutung auseinander zu setzen, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die vom Tatrichter vorgenommene Auslegung der Äußerung frei von Rechtsfehlern ist. Sind mehrere Auslegungen denkbar, so darf das Revisionsgericht nicht seine Bewertung an die Stelle der des Tatrichters setzen (OLG Köln AFP 1987, 524 ff.; KG JR 1980, 290 f.; dass. Beschl. v. 11.5.1998 - 1 Ss 26/98: Bullen).

Ausgehend hiervon ist eine Kundgebung der Missachtung des Geltungswertes des Rechtsanwaltes Vo. der Äußerung der Angeklagten aber nicht zu entnehmen. Die Äußerung, "Rechtsanwalt Vo. könne sich mit dem Schreiben den Arsch auswischen" bedeutet aus dem situativen Kontext heraus unter Berücksichtigung der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene der Angeklagten und ihrer emotionalen Betroffenheit in überzogener und unhöflicher Weise nichts anderes, als dass die Angeklagte die Kündigung des Mietverhältnisses nicht akzeptiert. Dieser zweifelsohne derben Ausdrucksweise kommt aber - auch unter Berücksichtigung der weiteren Feststellungen - kein weiterführender Bedeutungsinhalt im Sinne einer Herabwürdigung des verdienten Achtungsanspruches des vermeintlich Geschädigten zu. Eine überzogene und ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik, denn eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BayObLG NJW 2005, 1291, 1292). Aus den weiteren Feststellungen ergibt sich aber zweifelsohne, dass es der Angeklagten gerade auf die Auseinandersetzung in der Sache ankam, in der sie sich selbst nicht als Täter, sondern Opfer ansieht.

Soweit der Tatrichter auf die Entscheidung des Bayrischen Obersten Landgerichts - 3 St 54/76 - Bezug nimmt, ergibt sich heraus nichts anderes, denn zwischenzeitlich hat die Rechtsprechung des BVerfG (vgl. beispielsweise BVerfGE 93, 266, 293; 94, 1, 8 = NJW 1996, 1529, BVerfGE 61, 1, 12 = NJW 1983, 1415; BVerfGE 82, 43, 51 = NJW 1990, 1980; BVerfGE 93, 266, 294 NJW 1995, 3303 = NStZ 1996, 26; NJW 2000, 199, NJW 2002, 3315, NJW 2003, 961, NJW 2003, 3760) zur Meinungsäußerungsfreiheit zu einer weitgehenden Einschränkung des Ehrenschutzes geführt. Der Senat ist dabei gehalten, die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu respektieren und auch im vorliegenden Fall zu Grunde zu legen.

Da im Hinblick auf die Darlegungen im angefochtenen Urteil weitere erhebliche Feststellungen nach einer Zurückverweisung ausgeschlossen werden können und die Aufhebung des Urteils nur wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO).

Ohne dass es einer Überprüfung der Verfahrensrügen bedarf, ist die Angeklagte auf die Sachrüge hin aus sachlich-rechtlichen Gründen freizusprechen, weil die beanstandeten Äußerungen Werturteile sind, die sich weder als Angriff gegen die Menschenwürde, noch als Schmähkritik oder Formalbeleidigung darstellen

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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