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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: 4 Ss 476/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 354
Ein Geschäftsverteilungsplan, der sämtliche vom Revisionsgericht aufgehobenen Sachen eines Richters demselben Richter zur erneuten Entscheidung zuweist, umgeht § 354 Abs. 2 StPO und ist unwirksam.
Beschluss

Strafsache

gegen M.A.

wegen Diebstahls.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 17. August 2004 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 11. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Soest hat den Angeklagten und den früheren Mitangeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Arnsberg verworfen. Die Kammer hat zur Person des Angeklagten folgende Feststellungen getroffen:

"Zur Person des Angeklagten hat die Berufungskammer festgestellt, dass der Angeklagte am 04.05.1974 in Aserbaidschan geboren worden ist. Dort hat er die Schule für 8 Jahre besucht. Einen Beruf hat er nicht erlernt. Er ist Asylbewerber. Aktuell ist er in einem Asylbewerberheim in Dorsten untergebracht.

Der Angeklagte ist verheiratet und hat ein nunmehr 2 Monate altes Kind. Der Angeklagte erhält für sich und seine Familie Sozialhilfe in Form von Gutscheinen und nur ein sehr geringes Taschengeld.

Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.

Der Angeklagte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Soest vom 18.02.2004 seit diesem Tage bis zum 29.04.2004 in Untersuchungshaft."

Zur Begründung des Rechtsfolgenausspruchs hat die Kammer Folgendes ausgeführt:

"Bei der Strafzumessung waren folgende Umstände maßgeblich:

Zu Gunsten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass er sich bereits in erster Instanz umfassend geständig eingelassen hat. Des weiteren hat er Einsicht in sein Fehlverhalten dadurch bewiesen, dass er seine Berufung auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches beschränkt hat. Die Beute ist an die geschädigte Firma zurückgelangt. Er ist nicht vorbestraft und hat eine junge Familie.

Zu Lasten des Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sich die Tat auf Objekte bezog, die im Ostteil des russischen Staatsgebildes und in den angrenzenden Ländern als wertvolles Handelsobjekt gelten, wie die Kammer aus etlichen ähnlich gelagerten Diebstahlsfällen weiß. Der Angeklagte hat nicht gehandelt, weil er Hunger hatte und etwas zu Essen brauchte, vielmehr hat er gehandelt, um sein Taschengeld aufzubessern, denn die entwendete Menge an Rasierklingen mit einem Gesamtwert von 710,48 EUR belegt, dass die Klingen nicht zur Eigenrasur dienen sollten. Zu Lasten des Angeklagten sprach weiter der Umstand, dass die beiden Mittäter professionell vorgegangen sind. Sie haben die Tat vorbereitet, denn eine Woche vor der Tat haben sie den zukünftigen Tatort ausgekundschaftet. Des weiteren sind sie professionell vorgegangen, in dem sie die Unterhose so manipuliert hatten, dass der Abtransport der Beute völlig unauffällig und gefahrlos erfolgen konnte. Der Umfang der Beute war zudem erheblich mit dem Wert von über 700,- Euro.

Unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erschien im Hinblick auf den zur Verfügung stehenden Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren eine kurze Freiheitsstrafe von 3 Monaten tat- und schuldangemessen. Bei der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gem. § 47 StGB spielte eine entscheidende Rolle, dass Ausländer, die das Gastrecht Deutschlands verletzen, deutlich vor Augen geführt bekommen müssen, dass dies seitens der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann. Anders sind sie zu dem nach der Erfahrung der Kammer, die jede Woche 2-3 Sitzungstage hat und überwiegend mit ausländischen Angeklagten zu tun hat, nicht zu beeindrucken, denn die Verurteilung zu einer Geldstrafe, die im Hinblick auf die finanziellen Möglichkeiten des ausländischen Angeklagten ohnehin nur gering ist, wird meist nicht ernstgenommen, wie die neuerlichen Straftaten von ausländischen Asylbewerbem beweisen. Gerade im Bereich der Eigentumsdelikte sind ständige Wiederholungen von der Kammer feststellbar. Einzig nachhaltig auf einen ausländischen Straftäter wirkt die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe.

Diese war gem. § 56 StGB zur Bewährung auszusetzen, denn im Hinblick auf die geordneten familiären Verhältnisse des Angeklagten und die Tatsache, dass er bereits Untersuchungshaft erlitten hat, ist davon auszugehen, dass er alleine die Verurteilung sich zur Warnung dienen lassen wird und dass er auch ohne die Verbüßung von Strafhaft zukünftig straffrei durch das Leben gehen wird."

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam beschränkte Revision des Angeklagten, mit der er insbesondere eine rechtsfehlerhafte Anwendung des § 47 StGB rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, gemäß §§ 349 Abs. 2, 354 Abs. 1 a StPO das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils 5,- € verurteilt wird.

Das zulässige Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zum Rechtsmittel des Angeklagten u.a. wie folgt Stellung genommen:

"Der vom Tatrichter ausgesprochene Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Gemäß § 47 StGB verhängt das Gericht eine kurze Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn es dies aufgrund besonderer Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Angeklagten zur Einwirkung auf diesen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung für unerlässlich erachtet. Die vorliegend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten gegebene Begründung, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland könne gegenüber Ausländern nur durch die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen durchgesetzt werden, ist in dieser Allgemeingültigkeit unzutreffend und lässt das Prinzip des tat- und schuldangemessenen Strafens außer Acht. Sie lässt im Übrigen besorgen, dass das Gericht in unzulässiger Weise die Ausländereigenschaft des Angeklagten als solche strafschärfend bewertet hat. Bei dem unbestraften und geständigen Angeklagten hätte darüber hinaus besonderer Anlass zu der Erörterung bestanden, welche Wirkungen eine Geldstrafe auf ihn haben würden. Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich an.

1. Die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Entscheidung des Senats in der Sache im Sinne einer Herabsetzung der Strafe auf eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu jeweils 5,- € gemäß § 354 Abs. 1 a StGB kommt hingegen nicht in Betracht, da das angefochtene Urteil keine hinreichenden Ausführungen zu den Einkommensverhältnissen des Angeklagten enthält und der Senat keine eigenen Feststellungen treffen kann. Den Urteilsfeststellungen ist insoweit nur zu entnehmen, dass der Angeklagte und seine Familie von der Sozialhilfe leben, und zwar in Form von Gutscheinen und der Angeklagte darüber hinaus ein sehr geringes Taschengeld erhält. Auf dieser Tatsachengrundlage lässt sich die angemessene Höhe des Tagessatzes nicht bestimmen.

2. Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an ein anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. Zwar verweist das Revisionsgericht grundsätzlich an eine andere Abteilung oder Kammer desselben Gerichts, doch geben besondere Umstände dem Senat Veranlassung dazu, die Sache vor ein anderes Gericht zu bringen.

Nach der für das Jahr 2004 geltenden Geschäftsverteilung bei dem Landgericht Arnsberg werden alle zurückverwiesenen Sachen der 3. Strafkammer dem Zuständigkeitsbereich der 5. Strafkammer zugewiesen. Beide Strafkammern sind mit demselben Richter, nämlich VRLG Grunwald, besetzt. Mithin steht zu erwarten, falls nicht ein Vertretungsfall eintritt, dass derjenige Vorsitzende Richter, der die Erstentscheidung getroffen hat, auch nach Zurückverweisung der Sache durch den Senat erneut in der Sache zu entscheiden hat. Eine solche Regelung innerhalb eines Geschäftsverteilungsplans ist unzulässig. Sie widerspricht eindeutig dem Sinn und Zweck des § 354 II StPO. Dieser ist darauf gerichtet, dem Misstrauen des Angeklagten gegenüber der Person des an der angefochtenen Entscheidung beteiligten Richters Rechnung zu tragen (vgl. so schon Senat GA 71, 186, 187; KK-Kuckein, StPO, 5. Aufl., § 354 Rn. 29 m.w.N.). Es soll so der Anschein der Voreingenommenheit vermieden werden, der entstehen könnte, wenn stets dieselben Richter, die an dem aufgehobenen Urteil mitgewirkt haben, auch gehalten wären, über die zurückverwiesene Sache zu entscheiden. In der Verfolgung dieses rechtspolitischen Anliegens ist das Gesetz zwar unvollkommen geblieben, als es keine Regelung dafür bietet, wie zu verfahren ist, wenn infolge einer zwischenzeitlichen Änderung des Geschäftsverteilungsplans oder etwa infolge der Versetzung oder Abordnung von Richtern der Spruchkörper, an den die Sache zurückverwiesen wird, mit demselben Richter besetzt ist. In diesen Fällen hat die Rechtsprechung und Literatur weder ein Ablehnungsrecht nach § 24 StPO, noch einen Ausschluss kraft Gesetzes, noch eine Verhinderung des Richters für gegeben erachtet (vgl. BGHSt 21, 142; BGH NJW 1966, 1718; Senat a.a.O.; OLG Hamm NJW 1966, 362; KK-Kuckein a.a.0. Rn 30; Meyer-Goßner StPO, 47. Aufl. § 354 Rn. 39). Dies ist auch von Verfassungswegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG NJW 1971, 1029).

Vorliegend wird derselbe Richter jedoch nicht aufgund einer besonderen Bestimmung im Geschäftsverteilungsplan (z.B. aufgrund eines Vertretungsfalles) oder infolge der Änderung der Geschäftsverteilung im Einzelfall (zufällig) wiederum mit der Sache befasst. Vielmehr ist vorgesehen, dass er (planmäßig) sämtliche zurückverwiesenen Sachen ohne Ausnahme zu bearbeiten hat. Dies widerspricht unzweifelhaft dem Ziel und Zweck des § 354 II StPO. Der Geschäftsverteilungsplan führt somit zu einer bewussten Umgehung der Gesetzesvorschrift und ist insoweit unwirksam. Dieser Gesichtspunkt bewegt den Senat im vorliegenden Fall dazu, die Sache an ein Gericht gleicher Ordnung zu verweisen. Dies war weiterhin auch deshalb geboten, weil der Richter, der nach dem Geschäftsverteilungsplan mit der Sache erneut befasst werden soll, im Urteil zum Ausdruck gebracht hat, dass er regelmäßig auch kurzfristige Freiheitsstrafen gegen Ausländer verhängt, die Eigentumsdelikte begangen haben. Diese Ausführungen, bei denen die höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Problemkreis (vgl. die Nachweise bei TröndIe/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 46 Rdnr. 43) ersichtlich nicht beachtet wurde, rechtfertigen ein Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters, § 24 II StPO.

Als neues Tatsachengericht hat der Senat das in seinem Zuständigkeitsbereich liegende Landgericht Münster im Hinblick auf den Wohnort des Angeklagten ausgewählt. Die nunmehr zuständige Kleine Strafkammer hat auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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