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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.10.2003
Aktenzeichen: 4 Ss 549/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 263
StPO § 261
StPO § 267
Zwar ist das Revisionsgericht auch an solche Schlussfolgerungen des Tatrichters gebunden, die nicht zwingend, sondern nur möglich sind. Dies gilt aber nicht, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind.
Beschluss

Strafsache

wegen Betruges.

Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der Kleinen Strafkammer II des Landgerichts Detmold vom 22. Juli 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 7. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Leygraf, den Richter am Oberlandesgericht Finger und den Richter am Oberlandesgericht Eichel nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gemäß § 349 Abs, 3 StPO beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Detmold hat die Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Detmold vom 12. Februar 2003 wegen Betruges in drei Fällen, in einem Fall bezogen auf einen geringwertigen Schaden, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen eingelegte Berufung der Angeklagten hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Urteil unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen dahin abgeändert, "dass die Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Detmold vom 12. Februar 2003 wegen Betruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt" und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Im Übrigen hat sie die Angeklagte freigesprochen und das angefochtene Urteil insoweit aufgehoben.

Die Strafkammer hat hierzu folgende Feststellungen getroffen:

"Im Jahre 2000 lebte die Angeklagte ebenfalls von Sozialhilfe und Kindergeld. Ihrer Familie gehörte der Hund "Sammy". Dieser musste tierärztlich behandelt werden. Am 4. April 2000 ließ sich die Angeklagte von der Tierärztin Dr. He. beraten, wofür die Zeugin 30,16 DM in Rechnung stellte. Der Hund war so krank, dass er operiert werden musste. Obwohl die Tierärztin auf die äußerst geringen Erfolgsaussichten einer Operation hingewiesen hatte, entschied sich die Angeklagte zur Durchführung dieser Behandlung. Am 18. April 2000 erteilte sie der Zeugin Dr. He. den entsprechenden Auftrag. Diese führte die Operation durch und berechnete hierfür 223,31 DM. Die Angeklagte hatte von Anfang an vor, diese Rechnungen nicht zu bezahlen bzw. deren Bezahlung möglichst lange hinauszuzögern. Am 28. April 2000 erstellte die Zeugin Dr. He. Rechnung über insgesamt 253,47 DM.

Zwei weitere Mahnungen blieben erfolglos, so dass die tierärztliche Verrechnungsstelle einen Vollstreckungsbescheid gegen die Angeklagte erwirkte. Hiergegen legte sie Einspruch ein. Durch Urteil des Amtsgerichts Detmold vom 12. September 2001 wurde der Vollstreckungsbescheid mit Ausnahme einiger Nebenkosten aufrechterhalten. Bis auf 20,00 EUR im September 2001 ist bisher nichts bezahlt worden."

Die Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, sie sei im Jahre 2000 mit dem Hund niemals bei der Tierärztin gewesen. Sie habe keine Aufträge für die Leistungen vom 4. April 2000 und 18. April 2000 erteilt. Ihr Ehemann habe sich damals um den Hund gekümmert und möglicherweise mit der Tierärztin entsprechende Verträge geschlossen.

Diese Einlassung hält die Strafkammer für widerlegt und wertet das Geschehen als Betrug in zwei Fällen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die Überzeugung der Strafkammer, die Angeklagte habe vom Beginn der tierärztlichen Behandlung an die Absicht gehabt, das von ihr geschuldete Arzthonorar nicht zu entrichten, nicht hinreichend begründet ist. Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen rechtfertigen nämlich nicht die Annahme, die Angeklagte habe mit Betrugsvorsatz gehandelt.

Zwar ist das Revisionsgericht auch an solche Schlussfolgerungen des Tatrichters gebunden, die nicht zwingend, sondern nur möglich sind. Dies gilt aber nicht, wenn sich die Schlussfolgerungen so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind (Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 261 Rdnr. 38 m.w.N.). So verhält es sich hier. Die Strafkammer hat im Rahmen der Beweiswürdigung u.a. ausgeführt:

"Diese Einlassung ist widerlegt, soweit sie im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen steht. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Angeklagte diese beiden Aufträge der Zeugin He. erteilt hat und sie deren Bezahlung vermeiden oder zumindest möglichst weit hinausziehen wollte. Die Zeugin He. war sich auch in ihrer Vernehmung zweiter Instanz absolut sicher, dass es die Angeklagte war, die sich am 4. April 2000 von ihr beraten ließ, und die am 27. Juni 2000 den Hund zur Behandlung gebracht hatte. Möglicherweise war am Tag der Operation deren Ehemann dabei. Die Kammer sieht keine Veranlassung, warum diese Zeugin versehentlich oder gar wissentlich die Unwahrheit sagen sollte. Trotz des vergleichsweise langen Zeitablaufs war ihr die Behandlung noch in guter Erinnerung, da die Angeklagte trotz der von der Tierärztin als gering eingeschätzten Erfolgsaussichten auf der Operation bestand. Das Gesamtverhalten der Angeklagten macht deutlich, dass sie von vornherein vorhatte, entweder die Rechnungen nicht oder möglichst spät zu bezahlen. Das ergibt sich aus ihrem Gesamtverhalten. Hätte sie tatsächlich Zahlungsabsicht gehabt, wäre es ihr sicherlich möglich gewesen, die Rechnung vom 4. April 2000 über 30,14 DM vollständig und die andere Rechnung zumindest in Raten zu bezahlen. Nach ihrer eigenen Einlassung und der Darstellung der Zeugin He. waren auch frühere tierärztliche Behandlungen nach Mahnungen letztlich doch bezahlt worden. Erst in der Hauptverhandlung zweiter Instanz kam sie mit der Einlassung, überhaupt keine Aufträge erteilt zu haben. Hiervon war früher nie die Rede gewesen. Ausweislich des Zivilurteils des Amtsgerichts Detmold vom 12. September 2001 hatte sie sich damals nur gegen die Höhe der Rechnung gewandt. Auch in ihrer anwaltlichen Einlassung gegenüber dem Amtsgericht im vorliegenden Verfahren hatte sie sich nie darauf berufen, nicht Auftraggeberin gewesen zu sein. Das lässt nach Überzeugung der Kammer den Schluss zu, dass die Angeklagte jetzt gemerkt hat, mit ihrem früheren Verteidigungsvorbringen keinen Erfolg zu haben und dieses nunmehr wechselte. Nach ihrer Darstellung hat sie zwölf Semester Jura studiert. Auch wenn sie keinen Abschluss erreicht hat, muss ihr jedoch klar gewesen sein, dass nur der Auftraggeber einer - tierärztlichen - Leistung in Anspruch genommen werden kann. Es hätte für sie daher nichts näher gelegen, als auch im Zivilprozess entsprechend vorzutragen."

Diese Ausführungen mögen allenfalls die Annahme des objektiven Tatbestandes der Betrugstaten zum Nachteil der Zeugin He. tragen. Im Übrigen stützt die Strafkammer ihre Schlussfolgerung, die Angeklagte habe mit Betrugsvorsatz gehandelt, auf Umstände, die diesen allenfalls vermuten lassen, ihn aber nicht nachvollziehbar belegen. So fehlen jedwede Feststellungen zu den Vermögensverhältnissen der Angeklagten im Jahre 2000. Mitgeteilt ist lediglich, dass die Familie im Zeitpunkt des Urteils im Juli 2003 Kindergeld und Sozialhilfe in Höhe von monatlich ca. 1.800,- EUR bezieht. Genaue Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen zur Zeit der Tatbegehung fehlen. Dazu lebte sie im Jahre 2000 offenbar noch mit ihrem Ehemann zusammen, dessen Vermögenslage ebenfalls nicht mitgeteilt ist. Es ist demnach nicht ausgeschlossen, dass die Angeklagte insgesamt objektiv in der Lage war, die Arztrechnungen zu begleichen, zumal sie frühere Rechnungen im Ergebnis bezahlt hat. Zudem hat sie sich in dem genannten Zivilrechtsstreit gegen die Höhe der Rechnung gewandt, so dass möglich ist, dass sie die Leistungen der Tierärztin nicht gezahlt hat, weil ihr nach Rechnungslegung die Positionen überhöht erschienen. Jedenfalls ist aus dem mitgeteilten "Gesamtverhalten der Angeklagten" gerade nicht zu entnehmen, dass sie bei den Auftragserteilungen von Anfang an vorhatte, die Leistungen der Tierärztin nicht oder nur verzögert zu bezahlen.

Da der Schuldspruch auf der nicht hinreichend fundierten Annahme beruht, die Angeklagte habe vorsätzlich im Sinne von § 263 StGB gehandelt, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Eine Freisprechung der Angeklagten (§ 354 Abs. 1 StPO) kam nicht in Betracht, weil davon auszugehen ist, dass in der neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen zu den Vermögensverhältnissen der Angeklagten im April 2000 getroffen werden können, die Beurteilungsgrundlage des subjektiven Tatbestandes des Betruges werden könnten.

Ende der Entscheidung

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