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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.12.2003
Aktenzeichen: 4 Ss 658/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 46
StPO § 267
Wird bei einer Verurteilung wegen Betruges "zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er im Schnitt jeweils vierstellige Schadensbeträge verursachte und dass die Wahrscheinlichkeit, dass die angerichteten Schäden wieder gutgemacht werden, eher bei Null anzusiedeln ist im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten." wird damit Fehlen eines Strafmilderungsgrundes strafschärfend berücksichtigt.
Beschluss

Strafsache

wegen Betruges.

Auf den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 4. August 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 12. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gewährt.

Damit ist der Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 08.10.2003 gegenstandslos.

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO).

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Soest hat den Angeklagten am 26. September 2002 wegen Betruges in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren acht Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs wirksam beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Arnsberg mit Urteil vom 4. August 2003 verworfen. Der Angeklagte wendet sich gegen dieses Urteil mit der durch Schriftsatz seines Verteidigers fristgerecht eingelegten Revision. Eine Begründung der Revision ist nach Zustellung des Urteils an den Pflichtverteidiger am 26. August 2003 nicht erfolgt, so dass das Landgerichts Arnsberg mit Beschluss vom 8. Oktober 2003 die Revision des Angeklagten gemäß § 346 StPO als unzulässig verworfen hat. Gegen diesen, dem Pflichtverteidiger des Angeklagten am 22. Oktober 2003 zugestellten Beschluss, hat der Angeklagte mit dem Schriftsatz seines Verteidigers vom 24. Oktober 2003, der beim Landgericht Arnsberg eingegangen ist am 27. Oktober 2003, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und die Revision mit den Rügen einer Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren und die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Dem Angeklagten ist auf seinen rechtzeitig innerhalb der Frist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO gestellten Antrag hin auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren, da der Antragsschrift zu entnehmen ist, dass nicht ihn, sondern allein seinen Verteidiger ein Verschulden an der Fristversäumung trifft (§ 44 S. 1 StPO).

III.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1. Das Landgericht hat "zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er im Schnitt jeweils vierstellige Schadensbeträge verursachte und dass die Wahrscheinlichkeit, dass die angerichteten Schäden wieder gutgemacht werden, eher bei Null anzusiedeln ist im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten." Damit hat die Strafkammer das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes strafschärfend berücksichtigt. Der Eintritt eines Vermögensschadens gehört zum Tatbestand eines vollendeten Betrugsdeliktes (§ 263 StGB) und kann als solcher zunächst nicht einen Strafschärfungsgrund darstellen (§ 46 Abs. 3 StGB). Strafmildernd kann das Tatgericht jedoch berücksichtigen, wenn der Täter sich bemüht, den Schaden wieder gutzumachen (beispielhaft aufgeführt in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB; vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 46 Rdnr. 47). Fehlt jedoch - wie hier - ein Milderungsgrund, so ergibt sich daraus noch kein zusätzlicher Strafschärfungsgrund (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 46 Rdnr. 27). Mithin kann aus Rechtsgründen nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden, dass er den angerichteten Schaden nicht wieder gutmachen wird.

2. Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die Urteilsgründe eine abschließende Bewertung der Strafzumessungstatsachen durch die Berufungskammer nicht erkennen lassen. Die Strafzumessungstatsachen sind abzuwägen, d.h. einer zusammenfassenden Gesamtwürdigung zuzuführen. Dabei hat das Berufungsgericht eine eigene Sachentscheidung zu treffen, die bloße Wiederholung des Ersturteils oder eine Bezugnahme hierauf genügt nicht (Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 328 Rdnr. 2). Gegen diese Grundsätze hat die Berufungskammer in zweierlei Hinsicht verstoßen:

a) Zur Festsetzung der Einzelstrafen hat die Kammer ausgeführt:

"Die vom Amtsgericht festgelegten Einzelstrafen von jeweils 1 Jahr für die Taten zu Ziffer 1, 3 - 6, 8 und 9 sowie von jeweils 1 Jahr 3 Monate für die Taten zu Ziffer 2, 7 und 10 sind jeweils tat- und schuldangemessen; auch die Berufungskammer ist der Ansicht, dass diese vom Amtsgericht festgesetzten Einzelstrafen unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesamtumstände angemessen sind."

Die Berufungskammer hat es versäumt, die Gründe, die für und gegen die jeweils festgesetzten Einzelstrafen sprechen, gegeneinander abzuwägen. Es reicht nicht aus, dass die Kammer sich der Strafzumessung des Amtsgerichts anschließt, da die Berufungskammer - wie bereits ausgeführt - eine eigene Strafzumessung zu treffen und zu begründen hat.

b) Zur Gesamtstrafenbildung heißt es in der angefochtenen Entscheidung:

"Aus den verhängten Einzelstrafen hat das Amtsgericht zutreffend eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 8 Monaten gebildet. Dabei spielte die entscheidende Rolle, dass der Angeklagte vielfach vorbestraft ist, dass er Bewährungsversager ist und dass er mit seinen weiteren kriminellen Handlungen bereits aus dem Vollzug heraus begonnen hatte."

Auch die Begründung zur Bemessung der Gesamtstrafe ist rechtsfehlerhaft, da es nicht ausreicht, die Strafzumessung des Amtsgerichts zu überprüfen; vielmehr hat die Berufungskammer die Gesamtstrafe selbst festzusetzen und die Findung der Gesamtstrafe zu begründen. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, da zu besorgen ist, dass die Berufungskammer auch hinsichtlich der Gesamtstrafenbildung lediglich die Gesamtstrafenbildung des Amtsgerichts auf Rechtsfehler überprüft hat.

3. Das angefochtene Urteil beruht auf einem weiteren Rechtsfehler. Die Berufungskammer hat die Herabsetzung der vom Amtsgericht festgesetzten Freiheitsstrafe auf eine solche von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

"Seine Erkrankungen sind möglicherweise im Rahmen der Frage, ob der Angeklagte haftfähig ist, zu berücksichtigen; möglicherweise spielen die Umstände bei der Frage, ob ein Gnadenerweis dem Angeklagten zukommen könnte, eine Rolle, nicht jedoch für die Berufungskammer bei der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe."

Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Berufungskammer das Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes verkannt hat. Die Kammer hat zum einen zahlreiche Erkrankungen des Angeklagten festgestellt und ausgeführt, dass dieser befürchten müsse, dass ihm infolge seiner Diabetes Körperglieder amputiert werden müssten. Wenn die Kammer meint, dass schwerwiegende Erkrankungen strafmildernd nicht zu berücksichtigen seien, so verstößt diese Auffassung gegen die in § 46 vorgegebenen Leitlinien der Strafzumessung. Danach sind auch die persönlichen Verhältnisse des Täters bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Für die Strafzumessung, insbesondere für die Beurteilung der voraussichtlichen Wirkung der Strafe, kann der Gesundheitszustand, insbesondere eine schwere Erkrankung von Bedeutung sein, welcher zu einer erheblichen Strafempfindlichkeit führen kann (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 46 Rdnr. 42 m.w.N.). Mithin liegt auch in der Nichtberücksichtigung der Erkrankungen des Angeklagten bei der Strafzumessung ein sachlich-rechtlicher Mangel.

IV. Diese sachlich-rechtlichen Mängel des Urteils nötigen zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Landgerichts, welche auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.

Für die neue Verhandlung der Sache weist der Senat erneut (vgl. Senatsbeschluss vom 11. November 2003 - 4 Ss 610/03 -) darauf hin, dass eine Bezugnahme auf die Feststellungen zur Person im amtsgerichtlichen Urteil oder in dem aufgehobenen landgerichtlichen Urteil nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist. Dabei muss zu erkennen sein, dass das Landgericht diese Feststellungen selbst getroffen hat.

Ende der Entscheidung

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