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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.03.2009
Aktenzeichen: 4 Ss 76/09
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 29a
StPO § 267
Eine Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hält rechtlicher Prüfung nicht stand, wenn es in den Urteilsgründen an jeglichen Anhaltspunkten fehlt, warum bei einer Menge von 100 g Marihuana davon auszugehen ist, dass der Grenzwert zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC überschritten wird.
Beschluss

Strafsache

wegen Handels mit Betäubungsmitteln.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Münster vom 22. Oktober 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten bzw seines Verteidigers einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschoffengericht - Münster vom 22. Oktober 2008 wird mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschöffengericht tätige Abteilung des Amtsgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wie folgt verurteilt:

"Der Angeklagte ist schuldig des unerlaubten Handelns mit Betäubungsmitteln in 40 Fällen, wobei er gewerbsmäßig handelte und es sich jeweils um nicht geringe Mengen handelte und die Abgabe teilweise an Personen unter 18 Jahren erfolgte.

Der Angeklagte wird zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt.

Die Vollstreckung der Jugendstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Verfall von Wertersatz in Höhe von 30 240,- € wird angeordnet.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens sowie die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen.

Angewandete Vorschriften: §§ 1, 3, 29 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 BtMG, 53 StGB, 1, 105 ff JGG.

Gründe:

Der zu den Tatzeiten zwischen 20 Jahren und 10 Monaten und 21 Jahren und 5 Monaten alte Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder.

Strafrechtlich ist er bisher nicht in Erscheinung getreten.

1994 ist er zusammen mit seinen Eltern und seinem 19-jährigen Bruder aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Die Eltern sind berufstätig. Der Angeklagte wie auch sein Bruder arbeiten auf 400,- €-Basis. Eine Ausbildung zum Bäcker hat der Angeklagte wegen einer Allergie im 2 Lehrjahr abgebrochen. Zur Zeit sucht er nach einer Ausbildungsmöglichkeit. Der Angeklagte lebt bei seinen Eltern. Sein Einkommen kann er für sich verbrauchen. Der Angeklagte war 7 Jahre alt, als er aus Kasachstan in die Bundesrepublik gekommen ist. Hier hat er die Hauptschule besucht und auch einen Abschluss erreicht. Der Angeklagte lebt nach wie vor im Elternhaus und wird dort auch versorgt. Kontakte zur Jugendgerichtshilfe hat er nicht aufgenommen. Weitere Einzelheiten zu seinem Werdegang hat er nicht mitgeteilt.

Der Verurteilung liegen folgende Sachverhalte vor.

Die dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten erstrecken sich über den Zeitraum von September 2007 bis zum 29.04.2008.

Fälle 1-14:

Im oben genannten Tatzeitraum veräußerte der Angeklagte an den gesondert verfolgten ... in Münster etwa alle 2 Wochen Marihuana. Dabei handelte es sich in 13 Fällen um die Lieferung von 100 Gramm und in einem Fall um eine Lieferung von 200 Gramm Marihuana.

Für die 100 Gramm Lieferung erhielt er 4,70 € pro Gramm, für die 200 Gramm Lieferung 4,30 € pro Gramm. Insgesamt erlangte er somit einen Betrag von 6 840,- € aus diesen Taten.

Fälle 15-22:

In dem Zeitraum Januar 2008 bis zum 29.04.2008 veräußerte der Angeklagte an den gesondert verfolgter ... in insgesamt 8 Fällen jeweils ca. 100 Gramm Marihuana Pro Lieferung erhielt der Angeklagte etwa 900 € sodass er aus diesen Straftaten insgesamt einen Betrag von 7 200,- € erlangte. Auch hier fanden die Übergaben jeweils in Münster statt.

Fälle 23-32:

In dem Zeitraum von September 2007 bis zum 29.04.2008 veräußerte der Angeklagte an einen ... etwa alle 3-4 Wochen Marihuana. Gesamt bekam der ... mindestens in 10 Fällen 100 Gramm Marihuana von dem Angeklagten. Auch hier hat der Angeklagte etwa 900,- € pro Lieferung erhalten, sodass sich ein Gesamtbetrag von 9 000,- € ergibt, die der Angeklagte aus diesen Taten erlangt hat.

Fälle 33-40:

Im Zeitraum von September 2007 bis zum 29.04.2008 veräußerte der Angeklagte an einen ... aus Berg Fidel ebenfalls Marihuana, erhielt in insgesamt 8 Fällen 100 Gramm Marihuana. Es ist davon auszugehen, dass der Angeklagte auch hier 900 € pro Lieferung erhielt. Der Angeklagte erhielt aus diesen Straftaten einen Gesamtbetrag von weitem 7 000 €. Die Übergaben fanden auch hier jeweils in Münster statt.

... ist am 18.03.1990 geboren. Er war also in den überwiegenden Fällen noch keine 18 Jahre alt. Die Minderjährigkeit des Zeugens war dem Angeklagten bekannt bzw. wurde von ihm in Kauf genommen.

Bei den Abgabemengen von jeweils mindestens 100 Gramm Marihuana ist davon auszugehen, das der Grenzwert zur nicht geringen Menge von 7,5 Gramm THC überschritten wurde.

Im übrigen betrieb der Angeklagte den Betäubungsmittelhandel auch, um sich dadurch eine dauerhafte nicht nur unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat - zumindest vorläufigen - Erfolg. Die Feststellungen sind lückenhaft und tragen weder eine Verurteilung wegen des Handelns mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) noch wegen der Abgabe durch eine Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren (§ 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG). So fehlt es im Urteil an jeglichen Anknüpfungspunkten, warum bei einer Menge von 100 g Marihuana "davon auszugehen" ist, dass der Grenzwert zur nicht geringen Menge von 7,5 g THC überschritten wurde. Der THC-Gehalt von Marihuana schwankt erheblich. Ohne Kriterien des Einzelfalles kann nicht einfach ein Durchschnittswert zugrunde gelegt werden. Es gibt hochgezüchtetes Marihuana aus Cannabisblüten mit Wirkstoffgehalten von bis zu 40 %. Es gibt aber auch extrem schlechte Marihuana-Qualitäten, die mit vielfältigen Beimengungen gestreckt worden sind. Nach allgemeiner Erfahrung soll der Wirkstoffgehalt von Marihuana durchschnittlicher Qualität bei 2 bis allenfalls 5 % THC liegen (vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, 6. Aufl., § 29a Rn. 115). Bei Zugrundelegung dieses Wirkstoffgehaltes wäre die nicht geringe Menge jedenfalls nicht überschritten. Zudem erscheint es verfehlt, jeweils vom gleichen Wirkstoffgehalt auszugehen, obwohl der Angeklagte für seine Lieferungen unterschiedliche Preise erzielt hat. So erzielte er in den ersten 14 Fällen zwischen 4,30 € und 4,70 € pro Gramm, in den weiteren Fällen jedoch jeweils 9,- € pro Gramm. Es ist daher naheliegend, dass in den ersten Fällen die Qualität nicht der der weiteren Fälle entsprach.

Auch die Verurteilungen nach § 29a Abs. 1 Nr. 1a BtMG werden von den Feststellungen nicht getragen. Es fehlt schon die konkrete Angabe, in wie viel Fällen die Voraussetzungen dieser Qualifikation erfüllt waren. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte zu Beginn des Handels mit dem Zeugen ... im September 2007 der am 10.11.1986 geborene Angeklagte noch keine 21 Jahre alt war und zum Ende des Tatzeitraums am 29. April 2008 der Abnehmer bereits seit dem 18.03.2008 18 Jahre all war. Bei welchen der acht Einzeltaten somit die Qualifikation vorlag, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden Darüber hinaus ist nicht feststellbar wie das Alter des Abnehmers überhaupt in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Auf einem Geständnis des Angeklagten kann dies nicht beruhen, wenn dieser die Minderjährigkeit des Abnehmers nur billigend in Kauf genommen hat.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass sich aus den getroffenen Feststellungen ein Bruttoerlös von 30 040,- € errechnet.

Ende der Entscheidung

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