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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.03.2005
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 173/05
Rechtsgebiete: StVO, OWiG, StVG, StPO


Vorschriften:

StVO § 3 Abs. 3 Nr. 2 c)
OWiG § 18
OWiG § 79 Abs. 5
OWiG § 79 Abs. 6
OWiG § 80 a Abs. 1
StVG § 25 Abs. 2 a
StPO § 271
StPO § 273 Abs. 1
Überschreitet ein Betroffener die gemäß Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 100 km/h und die gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c) StVO allgemein geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 70 km/h liegt jedenfalls im Umfang der die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschreitenden Höchstgeschwindigkeit Vorsatz vor.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

4 Ss OWi 173/05 OLG Hamm

Bußgeldsache

gegen S. E.,

wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Warburg vom 3. November 2004 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. März 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht Duhme als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG in der seit dem 1. September 2004 geltenden Fassung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen und gemäß § 79 Abs. 5 und 6 OWiG

beschlossen:

Tenor:

Unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde im Übrigen wird der Tenor des angefochtenen Urteils dahingehend geändert, daß der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt wird.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist durch das Amtsgericht Warburg wegen "fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit" zu einer erhöhten Geldbuße von 450,00 Euro und einem Fahrverbot von drei Monaten Dauer unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gemäß § 25 Abs. 2 a StVG verurteilt worden.

Hiergegen richtet sich die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er unter näherer Darlegung die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist im Ergebnis unbegründet. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge führt jedoch zur Abänderung der Schuldform im Schuldspruch.

1. Mit der erhobenen Verfahrensrüge, das Hauptverhandlungsprotokoll entspreche nicht dem geltenden Recht, kann der Betroffene, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 10. März 2005 zutreffend hingewiesen hat, deshalb nicht gehört werden, weil ein Urteil auf der Fehlerhaftigkeit eines Protokolls nicht beruhen kann.

Insoweit hat der Betroffene ausgeführt:

"Im übrigen: In dem Verhandlungsprotokoll vom 03.11.04 heißt es u.a.:

"b.u.v.

Das Messfoto Bl. 2 und 5 d.A., das Passfoto Bl. 23 d.A., der Eichschein Bl. 3 d.A. und die Bescheinigung Bl. 4 d.A. wurden zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht."

Die vorstehend zitierte Formulierung entspricht nicht dem geltenden Verfahrensrecht, denn sie genügt nicht den strengen Anforderungen der auch im Bußgeldverfahren geltenden §§ 271, 273 Abs. 1 StPO. Fotos wie hier werden durch Augenscheinseinnahme in die Hauptverhandlung eingeführt (§ 86 StPO). Dass Fotos während der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken in Augenschein genommen wurden, gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten. Fehlt eine entsprechende Eintragung in der Sitzungsniederschrift, so ist der Inhalt der Urteilsgründe nicht geeignet das Protokoll zu widerlegen und zu ergänzen. Auch aus diesem Grunde ist das Urteil daher aufzuheben (OLG Hamm VRS 56, S. 362 und OLG Düsseldorf NZV 96, S. 503)."

Diesem Vorbringen läßt sich insbesondere nicht entnehmen, daß der Betroffene rügt, die Meßfotos seien in der Hauptverhandlung nicht in Augenschein genommen worden, das Urteil beruhe somit auf Beweismitteln, die nicht förmlich in die Hauptverhandlung eingeführt worden seien. Ob eine solche Rüge der Rechtsbeschwerde hätte zum Erfolg verhelfen können, muß hier nicht entschieden werden. Jedenfalls sollte das Amtsgericht in Zukunft auf eine vollständige und Unklarheiten vermeidende Protokollierung hinwirken.

2. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die erhobene Sachrüge hat jedenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.

a) Hinsichtlich der Feststellung der vorwerfbaren Geschwindigkeit genügt das angefochtene Urteil den zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung muß der Tatrichter dem Rechtsbeschwerdegericht in seinem Urteil die rechtliche Nachprüfung der Zuverlässigkeit der Feststellungen zu der Geschwindigkeitsüberschreitung ermöglichen. Hierzu gehört, daß er in den Urteilsgründen zumindest die zur Feststellung der gefahrenen Geschwindigkeit angewandte Meßmethode mitteilt und darüber hinaus darlegt, daß mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigt worden sind (ständige Rechtsprechung aller Oberlandesgerichte, vgl. schon BayObLG, VRS 74 (1988), 384; bei: Bär, DAR 1987, 314; bei: Rüth, DAR 1986, 238; DAR 1966, 104; OLG Düsseldorf, VRS 81 (1991), 208; 82 (1992), 50; 82 (1992), 382; VerkMitt 1992, 36; OLG Frankfurt, NZV 1993, 202; OLG Köln, VRS 67 (1984), 462; 81 (1991), 128; OLG Schleswig, bei: Ernesti-Lorenzen, SchlHA 1980, 175; OLG Stuttgart, VRS 66 (1984), 57; 81 (1991), 129 f.; DAR 1993, 72; vgl. grundlegend zu standardisierten Meßverfahren: BGH, NJW 1993, 3081 = BGHSt 39, 291 = NZV 1993, 485 = NStZ 1993, 592 = MDR 1993, 1107). Da der Betroffene konkrete Bedenken gegen die Richtigkeit der vorgenommenen Messung nicht erhoben hat, ist das Amtsgericht dieser Verpflichtung durch Mitteilung der Meßmethode, der gemessen Geschwindigkeit, der Höhe des Toleranzabzuges und der vorwerfbaren Geschwindigkeit ausreichend nachgekommen.

b) Soweit das Amtsgericht die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit der auf dem Meßfoto abgebildeten Person gewonnen hat, hält das angefochtene Urteil aus den Gründen der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 10. März 2005 der Rechtskontrolle Stand. Auch der Senat ist der Ansicht, daß das Meßfoto, auf das das Amtsgericht prozeßordnungsgemäß verwiesen hat, eine hinreichende Schärfe aufweist und zur Individualisierung jedenfalls noch geeignet ist.

c) Hinsichtlich des Schuldspruchs kann allein keinen Bestand haben, daß das Amtsgericht von einer fahrlässigen Begehungsweise der Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen ist.

Das Amtsgericht hat insoweit folgende Feststellungen getroffen:

"Am 10.05.2004 gegen 08:13 Uhr fuhr der Betroffene mit dem Pkw Porsche amtl. Kennzeichen MTK - xxxxxxx auf der B 241 in der Gemarkung Borgentreich Richtung Warburg. An der Meßstelle vor der Kreuzung mit der L 763 ist durch 212 m vor der Meßstrecke beidseitig aufgestelltes Zeichen 274 eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h angeordnet. Die Geschwindigkeit des vom Betroffenen gesteuerten Fahrzeugs wurde mittels stationärer Geschwindigkeitsmeßanlage Traffiphot-S gemessen. Die Messung ergab eine Geschwindigkeit von 176 km/h unter Berücksichtigung von 3 % Toleranz, ergibt sich eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 170 km/h. Der Betroffene hat somit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 100 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften überschritten."

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, daß sich bei grober Überschreitung der außerorts gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c) StVO einzuhaltenden Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h die Annahme vorsätzlicher Begehung aufdrängt (BGH, DRsp Nr. 1997/8964 = VRS 94, 227 für eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 km/h; weitergehend BGH, BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 = NZV 1997, 525 = DAR 1997, 450 = VM 1998 Nr. 30 = DRsp II(294)297a-b = MDR 1997, 1024 = VRS 94, 221 = VerkMitt 1998, 25 = VersR 1998, 204 generell für Geschwindigkeitsüberschreitungen der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h). Aufgrund der mit einer Geschwindigkeit von 170 km/h verbundenen Geräuschentwicklung des Motors, der Annäherung an einen Einmündungsbereich und vor allem des Bewegungseindrucks angesichts einer pro Sekunde zurückgelegten Strecke von mehr als 47 Metern ist hier die Annahme von Fahrlässigkeit von Rechts wegen nicht mehr zu vertreten. Der Vorsatz des Betroffenen bezog sich jedenfalls auf die Überschreitung der gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c) StVO zu beachtenden außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Damit liegt insgesamt ein vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß vor.

An der Änderung der Schuldform des Schuldspruchs ist der Senat nicht durch das Verschlechterungsverbot gehindert, da dieses nur die Art und Höhe der Rechtsfolgen betrifft (vgl. §§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 StPO). Die Änderung konnte der Senat auch vornehmen, ohne daß es eines rechtlichen Hinweises bedurfte, weil schon der Bußgeldbescheid ausdrücklich von vorsätzlicher Begehungsweise ausgegangen ist und sich der schweigende Betroffene nicht anders als geschehen verteidigt hätte.

d) Die Rechtsfolgenentscheidung des amtsgerichtlichen Urteils weist zwar insoweit einen Rechtsfehler auf, als bei der Höhe der verhängten Geldbuße eine seit dem 1. November 2002 rechtskräftige innerorts begangene erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung bußgelderhöhend berücksichtigt worden ist, obwohl insoweit im Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 3. November 2004 Tilgungsreife mit der Folge eines Verwertungsverbotes eingetreten war (§ 29 Abs. 8 S. 1 StVG).

Der Senat macht insoweit von der durch § 79 Abs. 5 und 6 OWiG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden.

Die Bußgeldkatalogverordnung sieht für eine außerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 70 km/h eine Regelgeldbuße von 375,00 Euro und ein Fahrverbot von drei Monaten vor (Nr. 11.3.10 der Tabelle 1 im Anhang zu Nr. 11 der Anlage). Dabei gehen die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung von fahrlässiger Begehungsweise und gewöhnlichen Tatumständen aus (§ 1 Abs. 2 BKatV).

Vorliegend ist zu berücksichtigen, daß der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit vorsätzlich und sogar um 100 km/h überschritten hat, wobei sich sein Vorsatz zumindest auf eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 70 km/h bezog. Diese Umstände rechtfertigen eine deutliche Erhöhung der zu verhängenden Geldbuße, die nur wegen des zu beachtenden Verschlechterungsverbotes auf die bisher erkannten 450,00 Euro zu begrenzen ist.

Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses des Betroffenen lassen die Verhängung einer Geldbuße in dieser Höhe zu. Der Betroffene ist selbständiger Kaufmann, Unterhaltsansprüche bestehen gegen ihn nicht. Angesichts eine Nettoeinkommens von 2.000,00 bis 2.500,00 Euro ist er in der Lage, diese Geldbuße aufzubringen. Anhaltspunkte dafür, ihm Zahlungserleichterungen gemäß § 18 OWiG bewilligen zu müssen, bestehen nicht.

Außerdem ist gegen den Betroffenen wegen dieses ungewöhnlich groben (§ 25 Abs. 1 S. 1 StVG) und verantwortungslosen Pflichtenverstoßes ein Fahrverbot von drei Monaten Dauer zu verhängen. Dabei verkennt der Senat nicht, daß es für den Betroffenen durch ein solches Fahrverbot zu deutlichen Erschwernissen in der Berufsausübung als selbständiger Bauberater im Außendienst kommen kann. Seine Berufsausübung wird dadurch aber nicht unmöglich, schon gar nicht ist zu befürchten, daß seine berufliche Existenz gefährdet sein könnte, denn der Betroffene kann in dieser Zeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln Baustellen oder Kunden aufsuchen und muß notfalls einen Fahrer einstellen. Der Senat ist der Ansicht, daß bei Geschwindigkeitsverstößen von derartigem Gewicht wie hier der Betroffene sogar schwerste finanzielle Einbußen hinnehmen muß. Durch die nahezu jeden Rahmen überschreitende Tat hat der Betroffene ein solches Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, so daß es der langfristigen Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines dreimonatigen Fahrverbots als jedenfalls derzeit noch schwersten Maßnahme bedarf, um den Betroffenen nachhaltig anzuhalten, in Zukunft die Straßenverkehrsvorschriften einzuhalten.

Mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht gemäß § 25 Abs. 2 a StVG angeordnet, daß das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft. Dabei hatte es von Gesetzes wegen zu verbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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