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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 428/04
Rechtsgebiete: StVG, BKatV
Vorschriften:
StVG § 25 Abs. 1 | |
BKatV § 4 Abs. 4 |
Beschluss
Bußgeldsache gegen H. Y.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Münster gegen das Urteil des Amtsgerichts Steinfurt vom 6. Februar 2004 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 29. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Steinfurt zurückverwiesen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Steinfurt hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerorts eine Geldbuße von 200,- Euro festgesetzt, von der Verhängung des Regelfahrverbots jedoch abgesehen.
Es hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
"Der 34-jährige Betroffene ist von Beruf Kühlerbauer und arbeitet nebenbei als Taxifahrer. Sein monatliches Einkommen beläuft sich insgesamt auf etwa 1800,- Euro netto. Er ist bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten."
Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
"Das Gericht hat gegen eine Verdoppelung der Regelbuße von der Anordnung eines Fahrverbotes nach § 2 Abs. 4 BKatV ausnahmsweise abgesehen. Dabei wurde berücksichtigt, dass es die Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer gebietet, nur dann von der in § 2 Abs. 1 BKatV angegebenen RegeImaßnahme eines Fahrverbotes abzuweichen, wenn besondere Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht gegeben sind, die den konkreten Verkehrsverstoß erheblich von dem in der Bußgeldkatalogverordnung genannten Regelverstoß unterscheiden. Das Gericht sieht aufgrund des Zusammenspiels der persönlichen Verhältnisse und der objektiven Umstände, unter denen der Verkehrsverstoß begangen wurde, einen erheblich von dem Regelverstoß abweichenden Fall für gegeben an.
Der Geschwindigkeitsverstoß wurde zu einem Zeitpunkt, nämlich um 01.16 Uhr nachts, begangen, zu dem erfahrungsgemäß wenig Verkehr herrscht. Zu einer Verkehrsgefährdung ist es nicht gekommen. Mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 45 km/h liegt der Verstoß des Betroffenen relativ geringfügig über der Geschwindigkeitsgrenze von 41 km/h außerorts, ab dem nach dem Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vorgesehen ist.
Der Betroffene hat sich im Termin geständig eingelassen und erklärt, dass er die Geschwindigkeitsüberschreitung bereut. Er sei kurzfristig von seinen Fahrgästen abgelenkt worden und hätte daher nicht auf seine Geschwindigkeit geachtet. Er hat glaubhaft erklärt und durch eine entsprechende Bescheinigung belegt, dass ihm bei einem einmonatigen Fahrverbot der Verlust seines Nebenjobs droht, was aufgrund seiner durch Kontoauszug belegten finanziellen Verhältnisse eine finanzielle Härte für ihn und seine Familie bedeuten würde. Unter Zugrundelegung der dargelegten objektiven Umstände und im Zusammenspiel mit den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen wurde von einem Fahrverbot ausnahmsweise abzusehen.
Nach Überzeugung des Gerichts ist aufgrund dieser subjektiven und objektiven Umstände des Geschwindigkeitsverstoßes sowie der Tatsache, dass der Betroffene bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, anzunehmen, dass eine hinreichende Einwirkung bereits durch eine Verdoppelung der Geldbuße bei Verzicht auf ein Fahrverbot erreicht werden kann."
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Münster, der die Generalstaatsanwaltschaft mit ergänzendem Bemerken beigetreten ist.
Die Verteidiger des Betroffenen haben mit Schriftsatz vom 28. April 2004 zum Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Stellung genommen und dessen Verwerfung beantragt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruches lässt Rechtsfehler erkennen, die zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insoweit führen.
Zwar kann von der Verhängung des Regelfahrverbotes ausnahmsweise - ggf. unter Erhöhung der Regelgeldbuße - abgesehen werden, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl gewöhnlicher Umstände vorliegen, die es unangemessen erscheinen lassen, den Betroffenen trotz des groben bzw. beharrlichen Pflichtverstoßes mit einem Fahrverbot zu belegen (vgl. BGHSt 38, 125, 134; ständige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. , § 25 StVG Rdnr. 24 m.w.N.). Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbots hat der Betroffene jedoch grundsätzlich regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Sollte der Tatrichter vom Vorliegen eines Ausnahmefalles überzeugt sein, muss er dafür eine auf Tatsachen gestützte Begründung geben (vgl. BGHSt 38, 231, 237), die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen darf (vgl. OLG Hamm VRS 95, 138, 140; OLG Düsseldorf NZV 1999, 477; Hentschel, a.a.O. Rdnr. 26 m.w.N.). Zwar ist es dem Tatrichter nicht schlechthin verwehrt, einer Behauptung zu glauben. Entlastende Angaben des Betroffenen, der sich auf das Vorliegen einer persönlichen Ausnahmesituation beruft und regelmäßig ein großes Interesse daran hat, die Verhängung eines Fahrverbotes zu vermeiden, dürfen jedoch nicht ohne weitere Prüfung hingenommen werden. Vielmehr muss das Amtsgericht darlegen, aufgrund welcher Erwägungen es die Angaben des Betroffenen für glaubhaft erachtet und ggf. darüber Beweis erheben.
Diesen sich daraus ergebenden Anforderungen wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
Es kann letztlich dahinstehen, ob die Behauptung des Betroffenen, gestützt auf eine - inhaltlich nicht mitgeteilte - Bescheinigung des Arbeitgebers, er verliere im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes seinen Nebenjob, vom Amtsgericht hinreichend überprüft worden ist. Da die Gefahr der Ausstellung einer Gefälligkeitsbescheinigung in Fällen dieser Art nicht auszuschließen ist, dürfte in der Regel zur Überprüfung eines angeblichen Arbeitsplatzverlustes die Vernehmung des Arbeitgebers im Hauptverhandlungstermin erforderlich sein.
Im vorliegenden Fall ist ein Arbeitsplatzverlust mit der Konsequenz einer Existenzgefährdung für den Betroffenen und seine Familie nach den Urteilsfeststellungen jedoch nicht erkennbar. Aus den Feststellungen des Amtsgerichts ergibt sich zwar, dass das monatliche Nettoeinkommen des Betroffenen, der hauptberuflich als Kühlerbauer arbeitet, insgesamt etwa 1.800,- Euro beträgt. Feststellungen dazu, wie hoch die monatlichen Einnahmen sind, die der Betroffene aus seiner Nebentätigkeit als Taxifahrer erzielt, hat das Amtsgericht hingegen nicht getroffen, so dass nicht ersichtlich wird, ob das dem Betroffenen - nach Wegfall der Einkünfte aus seiner Nebentätigkeit - verbleibende Einkommen tatsächlich zu einer Existenzgefährdung des Betroffenen und seiner Familie führen würde.
Im Übrigen hat das Amtsgericht unerörtert gelassen, ob der Betroffene die Auswirkungen des Fahrverbotes für seine Nebentätigkeit eventuell durch die Inanspruchnahme von Jahresurlaub bzw. die sich aus § 25 Abs. 2 a StVG ergebende Möglichkeit nicht zumindest teilweise abmildern könnte.
Andere erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die ein Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes rechtfertigen könnten, sind den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen.
Soweit das Amtsgericht zugunsten des Betroffenen ausführt, es sei nicht zu einer Verkehrsgefährdung gekommen, trifft dies schon insoweit nicht zu, als die nächtliche Fahrt mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit sehr wohl zu einer - abstrakten - Gefährdung der Fahrgäste des Betroffenen - geführt hat.
Die weitere Erwägung des Amtsgerichts, der Verkehrsverstoß habe sich zu einem Zeitpunkt ereignet, zu dem erfahrungsgemäß wenig Verkehr herrsche, begegnet ebenfalls durchgreifenden Bedenken. Die Tatbestände, für die nach der BKatV ein Fahrverbot vorgesehen ist, beschreiben in objektiver Hinsicht ausnahmslos Verhaltensweisen, die besonders gravierend und gefahrtragend sind. Bei ihrem Vorliegen kommt es grundsätzlich auf die weiteren Einzelheiten der Verkehrssituation nicht an. Insbesondere kann den Betroffenen im allgemeinen nicht entlasten, dass die Verkehrsdichte zur Tatzeit gering war (vgl. BGH NJW 1997, 3252).
Entsprechendes gilt für die Auffassung des Amtsgerichts, "mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 45 km/h liegt der Verstoß des Betroffenen relativ geringfügig über der Geschwindigkeitsgrenze von 41 km/h außerorts, ab dem nach dem Bußgeldkatalog ein Fahrverbot vorgesehen ist." Abgesehen davon, dass es sich hier durchaus um eine deutliche Überschreitung des Grenzwertes gehandelt hat, ist anzumerken, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber in der BKatV die entsprechenden Grenzen eindeutig und unmissverständlich festgelegt hat, bei deren Überschreitung im Regelfall ein Fahrverbot zu verhängen ist.
Die aufgezeigten Begründungsmängel führen dazu, dass der Rechtsfolgenausspruch wegen der Wechselwirkung von Bußgeldhöhe und Fahrverbot insgesamt keinen Bestand haben kann.
Nach allem war das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Steinfurt zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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