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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.07.2001
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 432/01
Rechtsgebiete: OWiG, StVG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 79 Abs. 5
OWiG § 79 Abs. 6
OWiG § 46
StVG § 25 Abs. 2 a
StPO § 467
Zur Identifizierung des Fahrers eines Pkw anhand von Zeugenaussagen und zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung
Beschluss

Bußgeldsache gegen S.J.,

wegen fahrlässigen qualifizierten Rotlichtverstoßes.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Rheine vom 20. Februar 2001 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 4. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 und 6 OWiG beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Rheine hat durch das angefochtene Urteil gegen die Betroffene wegen "fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens von mehr als 1 Sekunde" eine Geldbuße von 250,00 DM und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer festgesetzt und zugleich die Anordnung über das Wirksamwerden des Fahrverbots gemäß § 25 Abs. 2 a StVG getroffen. Nach den getroffenen Feststellungen soll die Betroffene am 27. Juni 2000 gegen 13.10 Uhr in Rheine vom Parkplatz des Postgeländes am Kardinal-Galen-Ring nach rechts in den Kardinal-Galen-Ring eingefahren sein. Dabei soll die für sie gültige Lichtzeichenanlage bereits längere Zeit - das Amtsgericht geht von einer Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde aus - Rotlicht angezeigt haben.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrer rechtzeitig eingelegten und ordnungsgemäß mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils begehrt und ihren Freispruch verfolgt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt wie erkannt.

II. Auf die zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Betroffene freizusprechen.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil die Feststellung des Amtsgerichts, die Betroffene habe das von den Zeugen D. und R. beobachtete Fahrzeug zur Tatzeit geführt, nicht rechtsfehlerfrei aus dem Beweisergebnis abgeleitet worden ist.

Ausweislich der Urteilsgründe hat das Amtsgericht seine Überzeugung von der Täterschaft der Betroffenen bei folgender Beweislage gewonnen:

Die Betroffene selbst hat sich zur Sache nicht eingelassen, jedoch über ihren Verteidiger vortragen lassen, es handele sich bei dem von den Zeugen beobachteten Fahrzeug um ein der Betroffenen zur Benutzung überlassenes Firmenfahrzeug. Bei Dienstfahrten nehme sie mitunter Bekannte mit, denen sie für die Dauer von Besprechungen sodann das Fahrzeug überlasse. Sie könne nicht mehr sagen, wer zur Vorfallszeit das Fahrzeug geführt habe. Sie habe in ihrem Bekanntenkreis nachgefragt, keiner könne sich an einen solchen Vorfall erinnern. Sie sei nicht bereit, dem Gericht in Frage kommende Personen zu benennen.

Der Zeuge D. befand sich nach seiner Aussage mit seinem Kollegen R. zum Dienstbeginn auf dem Weg vom Bahnhof zur Polizeistation. Er habe das Fahrzeug der Betroffenen zweimal, nämlich das erste Mal vor dem Einfädeln in den Querverkehr aus etwa 20 m und danach nach dem Abbiegen vor der nächsten Ampel haltend, dieses Mal aus 30 m Entfernung, gesehen. Er habe sich die Fahrerin angesehen, an der ihm nichts Außergewöhnliches aufgefallen sei. Die Fahrerin habe damals die Frisur anders, nämlich "lang" und nicht wie die Betroffene im Termin "nach hinten zusammengebunden" getragen. Man habe Fotos der Betroffenen angefordert, und er sei danach ziemlich sicher gewesen, daß die Betroffene die Fahrerin gewesen sei. Es könne allerdings auch eine Person gewesen sein, die der Betroffenen sehr ähnlich sehe.

Der Zeuge R. hat die Betroffene ausweislich der Urteilsgründe dagegen nur einmal aus einer Entfernung von 20 bis 30 m gesehen. Weder die Länge des Haares noch deren Farbe würden mit dem Haar der Betroffenen übereinstimmen. Die Fahrerin habe die Haare damals offen getragen. Die Fahrerin habe ein ähnliches Alter wie die Betroffene gehabt und sei auch ähnlich attraktiv gewesen. Er könne eine gewisse Ähnlichkeit feststellen.

Weiter hat das Amtsgericht Beweis darüber erhoben, inwieweit die Betroffene berechtigt war, das ihr überlassene Fahrzeug an Dritte weiterzugeben.

Aufgrund des Umstandes, daß das von den Zeugen beobachtete Fahrzeug der Betroffenen als Dienstfahrzeug überlassen worden ist, sie die Verantwortung dafür gehabt habe, die Fahrerin zumindest eine Ähnlichkeit mit der Betroffenen nach Alter, Aussehen und Haartracht haben müsse und die Betroffene sich geweigert habe, in Frage kommende andere Fahrerinnen zu benennen, ist das Amtsgericht trotz der den Zeugen nicht möglichen Identifizierung der Fahrerin zur Überzeugung von der Täterschaft der Betroffenen gekommen. Das begegnet jedoch angesichts des Beweisergebnisses durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dabei kann dahinstehen, ob die Äußerung des Verteidigers für die Betroffene zur Sache als Teileinlassung der Betroffenen anzusehen ist und ob aus ihrem Schweigen zu möglichen anderen Fahrerinnen überhaupt Rückschlüsse auf die Täterschaft der Betroffenen gezogen werden durften (vgl. dazu BGHSt 20, 298, 300; BGH StV 1998, 59 (59); OLG Hamm, 2. Senat, Urteil vom 11. Dezember 1991 - 2 Vs 1/91 -; OLG Hamburg, VRS 59, 351, 352; OLG Köln, VRS 61, 361, 361; OLG Köln, VRS 67, 462, 463); OLG Stuttgart, VRS 69, 295 (295)).

Das Amtsgericht hat schon keine konkreten Feststellungen dazu getroffen, inwieweit es den Zeugen D. und R. überhaupt möglich war, die Fahrerin des von ihnen beobachteten Fahrzeugs aus ihrer Position heraus zuverlässig zu erkennen. Zweifel daran bestehen u.a. angesichts der bekundeten Entfernung von 20 bis 30 m zwischen ihrem Beobachtungspunkt und dem Fahrzeug, dem nicht näher mitgeteilten Blickwinkel auf das Fahrzeug, möglicher Hindernisse zwischen Standort und Fahrzeug, der Möglichkeit von Scheibenreflexionen oder Schattenbildungen im Wageninnern und der nicht mitgeteilten Dauer der Beobachtungsmöglichkeit. Dabei spielt auch eine Rolle, daß die Zeugen keine gezielte Rotlichtüberwachung vorgenommen haben, sondern den Verkehrsverstoß offenbar zufällig auf dem Weg zum Dienstbeginn beobachtet haben.

Beide Zeugen haben die Betroffene nicht mit hinreichender Sicherheit wiedererkannt. Aus der Aussage des Zeugen D. lässt sich allenfalls eine gewisse Ähnlichkeit der Fahrerin mit der Betroffenen ableiten, während nach der Aussage des Zeugen Robbe aufgrund der Unterschiedlichkeit von Haarfarbe, Haarlänge und Frisur sogar eher Zweifel an der Täterschaft veranlasst sind. Die Beobachtung und/oder das Erinnerungsvermögen der Zeugen war in der Hauptverhandlung so wenig exakt, daß beide Zeugen nicht einmal angeben konnten, ob die von ihnen beobachtete Fahrerin damals eine Brille getragen hatte oder nicht. Beiden Zeugen ist an der Fahrerin zudem nichts aufgefallen, was einen nachvollziehbaren Rückschluß auf ein verläßliches Wiedererkennen zuließe. Auch der Umstand, daß der Zeuge D. die Betroffene auf einem Lichtbild ziemlich sicher wiedererkannt haben will, hat keinen Beweiswert, weil nähere Feststellungen dazu nicht getroffen worden sind.

Die im Detail widersprüchlichen Zeugenangaben dazu, wem die Betroffene das Firmenfahrzeug vertragsgemäß überlassen darf, lassen ebenfalls keinen Rückschluß auf die Person der Fahrerin zur Tatzeit zu. Insbesondere hat das Amtsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, daß sich die Betroffene an die entsprechenden Weisungen ihres Arbeitgebers hält. Die erscheinen auch kaum möglich.

Angesichts dieses letztlich offenen Beweisergebnisses läßt sich nicht einmal dann die Täterschaft der Betroffenen nachvollziehbar begründen, wenn Rückschlüsse aus ihrem Schweigen über Namen möglicher anderer Fahrerinnen zulässig wären.

Das angefochtene Urteil war deshalb aufzuheben, und die Betroffene war freizusprechen. Der Senat schließt aus, daß in einer neuen Hauptverhandlung tragfähige weitere Feststellungen getroffen werden können, die mit der erforderlichen Sicherheit die Feststellung der Täterschaft der Betroffenen zulassen. Der Senat hat deshalb nach § 79 Abs. 5 und 6 OWiG in der Sache selbst entschieden.

Der Senat merkt ergänzend an, daß auch die unzureichende Beschreibung der Örtlichkeit, deren Ausgestaltung anhand der Urteilsgründe nicht ansatzweise nachvollzogen werden kann, und auch die fehlenden Angaben zur Frage des Vorhandenseins einer Haltelinie und ggf. ihrer Entfernung zu der Stelle, wo die Fahrerin in den Querverkehr eingebogen sein soll sowie zu ihrer voraufgegangenen Fahrweise den Bestand des Urteils nicht zugelassen hätten.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 OWiG, 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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