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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.11.2008
Aktenzeichen: 4 Ss OWi 456/08
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 74
StPO § 344
Zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid nicht wegen unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen hätte verworfen werden dürfen.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts.

Auf den Antrag des Betroffenen vom 22. April 2008 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Tecklenburg vom 21. April 2008 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 19. November 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur hier allein zulässigen Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1, 2, 4 Satz 3 OWiG).

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).

Gründe:

1. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts ist nicht geboten. Erfolgt wie hier eine Verurteilung des Betroffenen aufgrund unentschuldigten Nichterscheinens in der Hauptverhandlung nach § 74 Abs. 2 OWiG, ist auf die hier ausdrücklich erhobene allgemeine Sachrüge lediglich zu prüfen, ob Prozeß oder Verfahrenshindernisse vorliegen und ob insoweit eine Fortbildung des materiellen Rechts geboten ist. Das ist ersichtlich nicht der Fall.

2. Im Übrigen käme eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nur in Betracht, wenn das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben wäre, was mit einer zulässigen Verfahrensrüge geltend gemacht werden muss.

Es kann dahinstehen, ob insoweit überhaupt eine entsprechende Rüge erhoben worden ist, weil sich die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 22. und 29. April 2008 jedenfalls dem Wortlaut nach nur auf den Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung bzw. die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung beziehen. Selbst wenn man insoweit eine Falschbezeichnung annähme, führt das nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde.

Das Amtsgericht hat sich mit dem ihm in der Hauptverhandlung bekannten Entschuldigungsvorbringen nach vorheriger telefonischer Rücksprache mit dem behandelnden Arzt hinreichend auseinandergesetzt. Die Entscheidung, das Nichterscheinen des Betroffenen auf dieser Grundlage als nicht ausreichend entschuldigt anzusehen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund der Entscheidung, den Betroffenen nicht von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Diese Verfahrensrüge ist nicht in zulässiger Weise ausgeführt worden. Der Betroffene hätte nämlich darlegen müssen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen. Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen (vgl. Göhler, OWiG, 14. Auflage, § 74 Rdn. 48 c; OLG Rostock, DAR 2008, 400 (400)). Dem Gesamtzusammenhang des Urteils und den (möglichen) Rechtsbeschwerdebegründungen vom 22. und 29. April 2008 ist hingegen zu entnehmen, dass in der Hauptverhandlung die Fahrereigenschaft des Betroffenen zu klären war. Da der Betroffene diese ersichtlich nicht eingeräumt hatte, war seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung zwingend geboten.

Darüber hinaus ist der Rechtsbeschwerdebegründung nicht zu entnehmen, ob der Verteidiger überhaupt ausreichend bevollmächtigt war, den Entbindungsantrag für den Betroffenen zu stellen. In formeller Hinsicht ist die Entbindung des Betroffenen gem. § 73 Abs. 2 OWiG davon abhängig, dass er einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Der Verteidiger bedarf zur Stellung des wirksamen Entpflichtungsantrags einer über die Verteidigervollmacht hinausgehenden Vertretungsvollmacht (vgl. OLG Rostock, Senatsbeschlüsse vom 18.5.2006 2 Ss (OWi) 314/05 I 193/05) , vom 13.3.2006 2 Ss (OWi) 11/05 I 29/05 und vom 31.3.2006 2 Ss (OWi) 402/04 I 260/04 ; BayObLG NStZ RR 2000, 247, 248; Herrmann in Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. (3. Erg. Lfg) § 73 Rdn. 7, 16; Göhler, a.a.O., § 73 Rdn. 4; Stephan in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi Verfahren, Rdn. 1412). Dies ist für den vergleichbaren Fall des § 233 Abs. 1 Satz 1 StPO allgemein anerkannt (BGHSt 12, 367, 369, 374; 25, 281, 284; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 233 Rdn. 1; Meyer Goßner, StPO, 51. Aufl. § 233 Rdn. 5), wobei weitgehend die allgemeine Vollmacht, den Angeklagten in dessen Abwesenheit vertreten zu dürfen, für ausreichend erachtet wird (vgl. nur Tolksdorf in KK, a.a.O.; Meyer Goßner, a.a.O.; Schlüchter in SK StPO, 12. Lfg., § 233 Rdn. 8, jeweils m.w.N.; enger: RGSt 54, 210, 211; 64, 239, 245; OLG Düsseldorf NJW 1960, 1921 f.; OLG Schleswig SchlHA 1964, 70 f., wonach eine besondere Ermächtigung erforderlich sei; offen gelassen in BGHSt 12, 367, 374). Für den Bereich des § 73 Abs. 2 OWiG kann nichts anderes gelten (vgl. auch BayObLG, a.a.O.; Göhler, a.a.O.). Denn in beiden Fällen läuft der Entbindungsantrag auf eine Minderung der Rechtsstellung des Angeklagten bzw. Betroffenen hinaus. Die Entscheidung, mit der die Entbindung von der Anwesenheitspflicht angeordnet wird, ermöglicht nämlich die Durchführung einer Hauptverhandlung zur Sache in seiner Abwesenheit hier: gem. § 74 Abs. 1 OWiG und berührt damit sein Anwesenheitsrecht. Wird der Entpflichtungsantrag von dem Verteidiger ohne ausreichende Vertretungsvollmacht gestellt, kann die Durchführung der Hauptverhandlung ohne den Betroffenen den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) begründen (vgl. schon RGSt 54, 210, 211; Senge in KK OWiG, a.a.O., § 74 Rdn. 53; zu § 234 StPO: Tolksdorf in KK, a.a.O., § 234 Rdn. 22). Die Antragstellung enthält demnach eine Verfügung über ein Recht des Angeklagten bzw. Betroffenen, dessen Ausübung ihm selbst vorbehalten ist und nicht ohne weiteres auch dem rechtlich selbstständig neben ihm stehenden Verteidiger zukommt (BGHSt 12, 367, 372 f.; Schlüchter in SK StPO, a.a.O.). Dass eine solche Vollmacht bestanden hat, ist der Rechtsbeschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

Ende der Entscheidung

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