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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: 4 UF 224/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 538 Abs. 2 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2. 8. 2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über sein Endvermögen zum 29. 2. 2004 durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und durch Vorlage der zur Wertermittlung notwendigen Unterlagen Auskunft zu erteilen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Wegen der Stufen 2 und 3 der Stufenklage wird der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Dortmund zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Parteien schlossen am 30. 5. 1984 die Ehe miteinander; damals besaßen beide die türkische Staatsbürgerschaft. 1996 erlangten die Ehegatten die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Ehe der Parteien wurde aufgrund eines am 29. 2. 2004 zugestellten Scheidungsantrages durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 21. 9. 2004 rechtskräftig geschieden.

Die Parteien sind jeweils zur Hälfte Miteigentümer eines Einfamilienhauses; außerdem hatten sie zum Stichtag weitere Vermögenswerte. Vorprozessual gab der Beklagte sein Endvermögen (ohne die Immobilie) mit 46.512 € an.

Die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit im Wege der Stufenklage einen Zugewinnausgleichsanspruch geltend gemacht mit der Behauptung, der Beklagte habe seine in der Türkei angelegten Vermögenswerte nicht angegeben; in einem zuvor durchgeführten Kindesunterhaltsverfahren seien diese Werte jedoch berücksichtigt worden, ohne dass dagegen vom Beklagten Einwendungen erhoben worden seien.

Widerklagend hat der Beklagte zunächst ebenfalls einen Auskunftsanspruch geltend gemacht; die Widerklage ist im Termin vor dem Amtsgericht zurückgenommen worden.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, auf das Güterrecht der Ehe der Parteien sei das türkische Recht in der Fassung bis zum 1. 1. 2002 anzuwenden, das einen Zugewinnausgleich nicht vorgesehen habe.

Mit ihrer hiergegen eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klageziel weiter. Sie verweist darauf, dass in der Türkei seit dem 1. 1. 2002 der Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft gelte, und zwar - sofern nichts anderes vereinbart sei - gem. Art. 10 des Einführungsgesetzes auch für Eheleute, die zum Jahreswechsel 2001/2002 bereits miteinander verheiratet gewesen seien. Zwar kenne das türkische Eherecht keinen Auskunftsanspruch, doch beruhe dies auf den Besonderheiten des türkischen Prozessrechts. Hilfsweise verweise sie auf ihren Anspruch zur Inventarerrichtung gem. Art. 216 Abs. 1 tZGB.

Die Klägerin beantragt,

I.

den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen,

1. der Klägerin Auskunft zu erteilen über sein Endvermögen zum 29. 2. 2004 durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und durch Vorlage der zur Wertermittlung notwendigen Unterlagen;

2. ggfls.: an Eides statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen und Gewissen sein Endvermögen so vollständig wie möglich angegeben hat,

3. an die Klägerin Zugewinnausgleich nach Erfüllung des Klageantrages zu 1) in noch zu beziffernder Höhe zu zahlen,

II.

den Rechtsstreit wegen der Stufen 2 und 3 der Stufenklage, falls dieser im Auskunftsanspruch stattgegeben werde, an das Amtsgericht - Familiengericht - Dortmund zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.

1.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist nach allgemeinen Grundsätzen zu bejahen (§ 621 Abs. 2 S. 2 ZPO); beide Ehegatten leben in Deutschland und besitzen (zumindest auch) die deutsche Staatsbürgerschaft.

2.

Der geltend gemachte Zugewinnausgleichsanspruch ist gem. Art. 14, 15 EGBGB nach dem türkischen Recht zu beurteilen, denn bei der Eheschließung besaßen beide Ehegatten (nur) die türkische Staatsangehörigkeit, so dass die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe ungeachtet des zwischenzeitlichen Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit dem türkischen Recht unterliegen; von der Möglichkeit einer besonderen güterrechtlichen Rechtswahl haben die Ehegatten hier keinen Gebrauch gemacht (vgl. Palandt-Heldrich, Kommentar zum BGB, 64. Auflage, Art. 15 EGBGB Rn. 3 m. w. N.).

3.

Der mit der ersten Stufe der Klage geltend gemachte Auskunftsanspruch ist zu bejahen.

a)

Insbesondere scheitert dieser Anspruch nicht schon daran, dass im türkischen Scheidungsfolgenrecht - wie das Amtsgericht meint - kein Zugewinnausgleichsanspruch vorgesehen ist. Denn mit der zum 1. 1. 2002 in Kraft getretenen Neufassung des türkischen Zivilgesetzbuches (im Folgenden: tZGB) ist als gesetzlicher Güterstand die so genannte Errungenschaftsbeteiligung (Art. 202 ff tZGB) eingeführt worden, die deutliche Parallelen zur Zugewinngemeinschaft hat und ebenfalls nach Beendigung der Ehe einen Wertausgleich vorsieht (vgl. im Einzelnen etwa Odenthal, Das neue türkische Familiengüterrecht, FamRZ 2003, 648 ff). Errungenschaft sind die Vermögenswerte, die ein Ehegatte während der Dauer des Güterstandes entgeltlich erwirbt; erfasst werden insbesondere die Einkünfte aus Arbeit und die Erträge des Eigengutes (Art. 219 tZGB. Zum Eigengut gehören neben Gegenständen des persönlichen Gebrauchs eines Ehegatten vor allem die Vermögenswerte, die einem Ehegatten schon zu Beginn des Güterstandes gehören oder ihm durch Erbgang oder sonstwie unentgeltlich zufallen. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt alles Vermögen eines Ehegatten als Errungenschaft (Art. 222 Abs. 3 tZGB). Bei Beendigung des Güterstandes wird (ggf. unter Berücksichtigung eines Ausgleichs zwischen Eigengut und Errungenschaft, Art. 230 tZGB) der jeweilige Wertzuwachs ermittelt (Art. 231) und ausgeglichen (Art. 236).

Die Neufassung des tZGB findet gem. Art. 10 Abs. I und Abs. II des Einführungsgesetzes auch auf die bereits 1984 geschlossene Ehe der Parteien Anwendung, wobei allerdings zu beachten ist, dass das am 1. 1. 2002 bereits vorhandene Vermögen der Ehegatten nicht als Errungenschaft, sondern als Eigengut anzusehen ist (Art. 220 Nr. 2 tZGB); Eheleute, die am 1. 1. 2002 verheiratet waren, sind zu diesem Zeitpunkt mit ihrem jeweiligen persönlichen Vermögen so in den neuen gesetzlichen Güterstand übergegangen, als hätten sie am 1. 1. 2002 geheiratet (Odenthal a. a. O.). Von der Möglichkeit, eine hiervon abweichende güterrechtliche Vereinbarung zu treffen, haben die Ehegatten hier keinen Gebrauch gemacht.

Dass die Klägerin den ihr (ggf.) zustehenden Ausgleichsanspruch rechtlich ungenau als Zugewinnausgleichsanspruch bezeichnet hat, ist unschädlich.

b)

Der Umstand, dass das türkische Familienrecht keinen allgemeinen Auskunftsanspruch vorsieht, steht dem geltend gemachten Auskunftsanspruch gleichfalls nicht entgegen.

Der Senat neigt zu der Auffassung, dass sich ein Auskunftsanspruch der Klägerin bereits aus dem in Art. 216 tZGB normierten Anspruch der Ehegatten auf Inventarerrichtung ergibt, der in seiner Ausgestaltung über einen gewöhnlichen Auskunftsanspruch noch hinausgeht. Dies kann letztlich aber offen bleiben, das Fehlen eines (allgemeinen) Auskunftsanspruchs ist mit den Besonderheiten des türkischen Prozessrechts zu erklären, das weitgehende Ermittlungsmöglichkeiten der Gerichte vorsieht. Diese stehen den deutschen Gerichten nicht in vergleichbarem Umfang zur Verfügung, weshalb es geboten ist, im Wege der Anpassung den deutschen Auskunftsanspruch zu übernehmen (vgl. Odenthal a. a. O.).

c)

Die zu erteilende Auskunft hat sich nach Auffassung des Senates auf das Gesamtvermögen des in Anspruch genommenen Ehegatten im Zeitpunkt der Zustellung des Scheidungsantrages zu erstrecken. Als Errungenschaft kann nach zwar nach der oben dargestellten Übergangsregelung letztlich nur der seit dem 1. 1. 2002 eingetretene Vermögenszuwachs der Ehegatten angesehen werden, doch bis zum Beweis des Gegenteils gehört gem. Art. 222 Abs. 3 tZGB alles Vermögen eines Ehegatten zur Errungenschaft, so dass es Sache des uneingeschränkt auskunftspflichtigen Beklagten ist, darzulegen und zu beweisen, welche Bestandteile seines Vermögens bereits am 1. 1. 2002 vorhanden waren.

d)

Der Auskunftsanspruch ist nicht durch Erfüllung erloschen; abgesehen davon, dass eine geordnete, vollständige und nachvollziehbare Aufstellung über das Vermögen des Beklagten nicht vorgelegt worden ist, ist die Auskunft auch persönlich zu erteilen; der schriftsätzliche Vortrag durch einen Rechtsanwalt genügt nicht.

4.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin in entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache zur Entscheidung über die weiteren Stufen und über die Verfahrenskosten an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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