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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.07.2007
Aktenzeichen: 4 UF 9/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, FGG


Vorschriften:

BGB § 1666
BGB § 1666 a
BGB § 1684 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 1
ZPO § 621 e Abs. 3
FGG § 50
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund vom 5. 12. 2006 wird als unzulässig verworfen.

Auf die Beschwerde des Verfahrenspflegers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Dortmund vom 5. 12. 2006 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen aufgehoben, soweit im angefochtenen Beschluss die Aufhebung der Verfahrenspflegschaft und die Entlassung des Verfahrenspflegers angeordnet worden ist.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die beiden jetzt 15 Jahre alten Kinder N und G entstammen der im Jahre 1994 geschiedenen Ehe ihrer Eltern; nach deren Trennung blieben sie bei der allein sorgeberechtigten Kindesmutter. Seit der Scheidung kam es wiederholt zu gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Umgang des Kindesvaters mit seinen Söhnen. Alle Bemühungen um die (teilweise) gerichtlich, etwa durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 19. 3. 1996, bestätigt durch Senatsbeschluss vom 23. 9. 1996 (4 UF 192/96), angeordnete Anbahnung regelmäßiger Kontakte zwischen dem Kindesvater und seinen Söhnen scheiterten am nachhaltigen Widerstand der Kindesmutter sowie der Kinder.

Der Kindesvater hat im vorliegenden Verfahren zunächst versucht, aus einem vor dem Senat am 29. 6. 1998 (4 UF 94/96) geschlossenen Umgangsvergleich die Zwangsvollstreckung zu betreiben, und mit Schreiben vom 29. 9. 2002 die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich beantragt.

Mit Beschluss vom 7. 10. 2002 hat das Amtsgericht den Kindern den Beteiligten zu 5) als Verfahrenspfleger beigeordnet; mit weiterem Beschluss vom 24. 6. 2003 ist ein Sachverständigengutachten zur Frage des Umgangs der Kinder mit dem Vater angeordnet worden, das - in Form eines Kurzgutachtens - unter dem 18. 2. 2004 durch die Sachverständige Dipl.-Psych. X erstattet wurde. Die Sachverständige hat für die erste Zeit monatliche Treffen der Kinder mit ihrem Vater an neutralen Örtlichkeiten sowie altersgemäße Aktivitäten im Rahmen der Kontakte vorgeschlagen.

Das Amtsgericht hat sodann durch Beschluss - einstweilige Anordnung - vom 21.9.2004 entsprechend dem Vorschlag der Sachverständigen eine vorläufige Umgangsregelung getroffen und eine Umgangspflegerin bestellt. Ein hiergegen eingelegtes Rechtsmittel der Kindesmutter blieb erfolglos (Senatsbeschluss vom 22.11.2004, 4 UF 227/04).

Mit Schreiben vom 3. 1. 2005 hat die Umgangspflegerin unter detaillierter Schilderung ihrer Bemühungen erklärt, die Umgangsregelung müsse als gescheitert betrachtet werden; die Umgangskontakte seien aufgrund des massiven Widerstandes der Familie nicht durchführbar, weshalb sie um ihre Entlassung bitte.

Mit Schriftsatz vom 9. 2. 2005 hat der Kindesvater beantragt, der Kindesmutter die elterliche Sorge zu entziehen und diese einem Vormund zu übertragen. Das Amtsgericht hat wegen dieses Antrags durch Beschluss vom 11. 2. 2005 um Benennung eines geeigneten Gutachters gebeten.

Am 6. 1. 2006 schlossen die Kindeseltern in einem vor dem Amtssgericht geführten Unterhaltsrechtsstreit (182 F 1676/05) einen Vergleich, mit dem nach der Vorstellung der Kindeseltern auch alle Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten erledigt werden sollten; der Kindesvater akzeptierte im Vergleich den Wunsch der Kinder, ihn nicht sehen zu wollen.

Eine im vorliegenden Verfahren eingelegte Beschwerde des Verfahrenspflegers gegen den Vergleich wurde durch Senatsbeschluss vom 12. 4. 2006 als unzulässig verworfen, wobei der Senat darauf hinwies, dass das vorliegende Verfahren, soweit es als Amtsverfahren zu betreiben sei, entgegen der im Vergleich dokumentierten Auffassung der Kindeseltern noch nicht erledigt sei.

Nach erneuter Anhörung der Kinder, der Sachverständigen X und der übrigen Verfahrensbeteiligten (mit Ausnahme der Umgangspflegerin) hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Anregung, eine Vormundschaft einzurichten, abgelehnt und den Verfahrenspfleger entlassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Umgangs- und Sorgerechtsanträge der Kindeseltern seien, wie diese im Termin bekräftigt hätten, infolge des Vergleichs erledigt. Maßnahmen nach §1666 BGB seien, wie die Sachverständige bestätigt habe, trotz der nicht unproblematischen Entwicklung der Kinder angesichts des Alters der Kinder und der Haltung der Kindesmutter nicht veranlasst. Es sei nicht verantwortbar, die Kinder von der Mutter zu trennen oder sonstige Maßnahmen im Hinblick auf eine Verhaltensänderung der Mutter zu ergreifen. Da weder eine Fremdunterbringung der Kinder noch andere Maßnahmen in Betracht kämen, sei auch die Verfahrenspflegschaft aufzuheben.

Mit seiner hiergegen eingelegten Beschwerde erstrebt der Verfahrenspfleger eine Aufhebung seiner Entlassung sowie die Weiterführung des Verfahrens mit dem Ziel, Maßnahmen nach § 1666 BGB anzuordnen. Er meint, mit seiner Entlassung habe offensichtlich nur sein Beschwerderecht abgeschnitten werden sollen. Das Amtsgericht habe lediglich mit möglichst geringem Aufwand sein Verfahren beenden wollen. Tatsächlich bestünden erhebliche Zweifel an der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter, wie nicht nur durch das vorliegende Verfahren, sondern auch durch die sprachlichen und schulischen Defizite der Kinder dokumentiert werde. Es sei ein Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter einzuholen.

Auch die Kindesmutter hat Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts eingelegt, die nicht begründet worden ist.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter ist gem. §§ 621 e Abs. 3, 520 Abs. 1 ZPO unzulässig, denn das Rechtsmittel ist nicht begründet worden.

III.

Die Beschwerde des Verfahrenspflegers ist indessen zulässig und teilweise begründet.

1.

Das Rechtsmittel ist zulässig.

a)

Allerdings stellen Entscheidungen über die Bestellung, die Auswahl und Entlassung eines Verfahrenspflegers nach inzwischen ganz überwiegender Ansicht so genannte verfahrensleitende Zwischenverfügungen dar (vgl. etwa KG, FamRZ 2004, 1592, 1593; Bumiller-Winkler, Kommentar zum FGG, § 19 Rn. 6 m. w. N.; Keidel/Engelhardt, Kommentar zum FGG, § 50 Rn. 48, jeweils m. w. N.), die grundsätzlich jederzeit abänderbar und nicht selbstständig anfechtbar sind. Sie können mit der Beschwerde nur ausnahmsweise angefochten werden, wenn sie in so einschneidender Weise in Rechte des Betroffenen eingreifen, dass ihre selbständige Anfechtbarkeit unbedingt geboten ist (BGH NJW-RR 2003, 1369, 1370 m. w. N.).

b)

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Verfahrenspflegers gem. § 50 FGG liegen weiterhin vor. Da ein sachlicher Grund für die Aufhebung der Verfahrenspflegschaft nicht erkennbar ist, dient diese Maßnahme offenbar vor allem der Verhinderung eines Rechtsmittels gegen die in der Hauptsache getroffene Entscheidung. Nach Auffassung des Senates werden die Rechte der Kinder in einem solchen Fall durch die Entlassung des Verfahrenspflegers - ungeachtet der Ausführungen zu 2) - erheblich beeinträchtigt.

Ein sachlicher Grund für die Aufhebung der Verfahrenspflegschaft kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass das erstinstanzliche Verfahren durch den angefochtenen Beschluss insgesamt beendet worden ist, denn der Verfahrenspfleger kann selbst Rechtsmittel einlegen und ist im Übrigen auch in einem von anderen Verfahrensbeteiligten eingeleiteten Rechtsmittelverfahren zu beteiligen.

Auch das im angefochtenen Beschluss zum Ausdruck gekommene Bestreben des Amtsgerichts, bei der Aufhebung der Verfahrenspflegschaft dem gemeinsamen Wunsch der Kindeseltern Rechnung zu tragen, rechtfertigt die Entscheidung nicht; gerade das auch in der Sorgerechts- und Umgangsfrage erzielte Einvernehmen der Eltern konnte die Beibehaltung der Verfahrenspflegschaft zur Wahrnehmung der kindlichen erfordern.

Schließlich vermag auch die - den übrigen Verfahrensbeteiligten möglicherweise übertrieben engagiert erscheinende - Amtsführung des Verfahrenspflegers seine Entlassung nicht zu rechtfertigen. Der Verfahrenspfleger ist einseitig nur den Interessen und dem zu ermittelnden Willen des Kindes verpflichtet; müsste er im Falle einer engagierten Ausübung seines Amtes mit seiner Entlassung rechnen, könnte er sich an der gebotenen unabhängigen Wahrnehmung seiner Aufgaben gehindert sehen.

2.

Das Rechtsmittel ist allerdings nur teilweise begründet.

a)

Die Beschwerde hat aus den oben dargelegten Gründen Erfolg, soweit sie sich gegen die Aufhebung der Verfahrenspflegschaft sowie die Entlassung des Beteiligten zu 5) richtet.

b)

In Bezug auf die Hauptsacheentscheidung ist die Beschwerde dagegen unbegründet, denn das Amtsgericht hat zu Recht eine Entziehung der elterlichen Sorge abgelehnt und das Verfahren beendet.

aa)

Die in §§ 1666, 1666 a BGB normierten Voraussetzungen für eine (ggf. auch teilweise) Entziehung der elterlichen Sorge sowie eine Herausnahme der Kinder aus dem Haushalt der Mutter liegen nicht vor.

Zwar bestehen nach den bisherigen Feststellungen Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter, die sich insbesondere in einer bisher wohl unzureichenden schulischen und sprachlichen Förderung sowie in der von der Kindesmutter übernommenen durchgehend ablehnenden Haltung der Kinder gegenüber Umgangs-kontakten mit ihrem Vater manifestiert haben; eine daraus resultierende Gefährdung des Kindeswohls liegt daher zumindest nahe.

Allerdings hat die Sachverständige im Termin vom 5. 12. 2006 ausgeführt, dass die Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit nicht so massiv seien, dass sie eine Herausnahme der Kinder begründen könnten; dieser Auffassung hat sich das Amtsgericht angeschlossen, was letztlich nicht zu beanstanden ist. Denn aus dem im Rahmen von §§ 1666, 1666 a BGB stets zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt, dass die anzuordnende Maßnahme geeignet sein muss, um die Situation des Kindes zu verbessern (vgl. etwa Palandt-Diederichsen, BGB, 66. Auflage, § 1666 Rn. 52 m. w. N.). Eine echte Alternative zum Aufenthalt der Kinder bei ihrer Mutter steht indessen nicht zur Verfügung; für die jetzt 15 Jahre alten Jungen, die seit ihrer Geburt bei der Kindesmutter leben und dort bleiben wollen, könnte eine ggf. zwangsweise durchzuführende Wegnahme von der Mutter zu einer schwerwiegenden Traumatisierung führen; die damit einhergehende Beeinträchtigung des Kindeswohls ist im Ergebnis nicht geringer einzuschätzen als die nachteiligen Folgen - insbesondere durch unzureichende schulische und sprachliche Förderung - eines Verbleibs bei der Kindesmutter. Das gilt erst Recht für einen Wechsel zum von den Kindern massiv abgelehnten Vater. Die Einschränkungen in der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter sind nicht so gravierend, dass sie eine solche Maßnahme rechtfertigen könnten.

Auch eine teilweise Entziehung der elterlichen Sorge - etwa für den Teilbereich der Regelung des Umgangs mit dem Kindesvater unter gleichzeitiger Bestellung eines Umgangspflegers - ist nicht erfolgversprechend. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine entsprechende Maßnahme bereits durch Beschluss - einstweilige Anordnung - vom 21. 9. 2004 angeordnet worden ist; der Versuch der Umgangspflegerin, Kontakte zwischen dem Kindesvater und den beiden Jungen anzubahnen, ist jedoch gescheitert (Bericht vom 3. 1. 2005). Seitdem hat sich die Ablehnung des Umgangs durch die Jungen eher verfestigt. Hinzu kommt, dass der Kindesvater seine Forderung nach Umgang mit den Kindern im Vergleich vom 6. 1. 2006 fallen gelassen hat und an dieser Vereinbarung festhalten möchte. Ungeachtet dessen, dass der Kindesvater nach § 1684 Abs. 1 BGB nicht nur ein Recht, sondern grundsätzlich auch eine Pflicht zum Umgang hat, erscheint unter diesen Umständen jeder erneute Versuch, eine Kontaktaufnahme zwischen den Kindern und ihrem Vater anzubahnen, vorerst als aussichtslos.

bb)

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht von weiteren Ermittlungen und insbesondere einem Sachverständigengutachten abgesehen und sich mit den Ausführungen der Sachverständigen X im Termin vom 5. 12. 2006 begnügt hat. Zwar beruhen die im Termin getroffenen Feststellungen der Sachverständigen nicht auf aktuellen Informationen, sondern im Wesentlichen auf ihren in 2003/2004 gewonnenen Erkenntnissen sowie ihrem im Termin vom 5. 12. 2006 erlangten Eindruck. Zur familiären Situation verfügt die Sachverständigen jedoch, wie durch ihre Stellungnahme vom 18. 2. 2004 dokumentiert wird, über fundierte Erkenntnisse, und ihre im Termin vom 5. 12. 2006 unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung gezogenen Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar und lebensnah. Von einer weiteren Begutachtung sind deshalb keine entscheidungserheblichen neuen Erkenntnisse zu erwarten.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf §§ 131 KostO, 13 a FGG nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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