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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.08.2007
Aktenzeichen: 4 W 48/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO §§ 567 ff.
ZPO § 574
ZPO § 750 Abs. 1
ZPO § 793
ZPO § 890
ZPO § 890 Abs. 1
ZPO § 929 Abs. 2
ZPO § 945
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

wird auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 27.03.2007 unter Abänderung des Beschlusses der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 12.03.2007 gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000,- € verhängt.

Die Kosten des Verfahrens trägt nach einem Beschwerdewert von 5.000,- € die Schuldnerin.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Schuldnerin wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts vom 20.12.2006 im Wege der einstweiligen Verfügung - verkündet am Schluss der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Parteien - unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel O mit nachfolgenden Werbeaussagen zu werben:

"Bisher fanden Sie auf dem Markt nur synthetisch hergestelltes Vitamin C mit Retardwirkung. Aufgrund der höheren Bioverfügbarkeit kam für uns aber nur ein natürliches Vitamin C mit dem gleichen Effekt in Frage";

klarstellend: die Werbung mit dem ersten dieser Sätze bleibt zulässig, wenn der zweite Satz in der Werbung nicht ergänzend aufgeführt wird.

Eine Aufbrauchfrist wird nicht gewährt

Am 11.01.2007 beinhaltete die Internetpräsentation der Schuldnerin in Bezug auf das Produkt "O" die folgende Aussage:

"Apropos natürlich: Während viele Mitbewerber nach wie vor lediglich synathetisch hergestelltes Vitamin-C mit Retardwirkung( Langzeitwirkung) anbieten - weil es einfach und billiger in der Herstellung ist - haben wir uns für Mutter Natur entschieden. Der Grund ist klar: Die Bioverfügbarkeit, also Verwertung, im Körper von natürlichem Vitamin C ist im allgemeinen bedeutend größer als die des synthetisch hergestellten Vitamin C".

Am 12.01.2007 wurde der Schuldnerin (im Parteibetrieb) das Unterlassungsurteil zugestellt wie auch (vom Landgericht) das Sitzungsprotokoll.

Die Schuldnerin veranlasste nunmehr sogleich die Umstellung der streitgegenständlichen Werbung und die Streichung der beanstandeten Passage.

Der Gläubiger hat wegen der Internetwerbung vom 11.01.2007 gegen die Schuldnerin die Verhängung einer angemessenen Ordnungsmaßnahme beantragt. Er meint, das Urteil sei mit seiner Verkündung wirksam. Bei der Zustellung des Verfügungsurteils handele es sich demgegenüber nur um eine allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung, die der Zuwiderhandlung auch nachfolgen könne.

Die Schuldnerin hat sich damit verteidigt, dass sich ihre Internetpräsentation auf einen Zeitpunkt vor der Zustellung des Urteils beziehe. Sie vertritt die Auffassung, dass die Festsetzung eines Ordnungsmittels voraussetze, dass zeitlich vor der Zuwiderhandlung der Unterlassungstitel sowie die vorherige Androhung zugestellt sein müsse. Sie wendet sich mit näheren Ausführungen überdies gegen das Vorliegen eines entsprechenden Verschuldens.

Das Landgericht hat den Antrag des Gläubigers auf Verhängung eines Ordnungsmittels zurückgewiesen, mit der Begründung, dass eine Maßnahme nach § 890 ZPO wegen Zuwiderhandlung die Vollstreckbarkeit des Urteils voraussetze. Voraussetzung dafür sei nach § 750 I ZPO die Zustellung des Urteils. Nach dem Zeitpunkt der Zustellung sei eine Verletzung der Unterlassungsverpflichtung nicht erfolgt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Verhängung eines Ordnungsgeldes ein schuldhaftes Handeln der Schuldnerin voraussetze, ferner, dass der Schuldnerin eine kurze Überlegungsfrist dazu zuzubilligen sei, ob sie bei einem nur für vorläufig vollstreckbaren Urteil eine etwaige Sicherheit leiste. Soweit - wie hier - eine Urteilsverkündung in Abwesenheit der Parteien und ihrer Vertreter erfolge, müsse die Schuldnerin auch die Möglichkeit haben, zunächst die Urteilsgründe zu lesen, um über eine Abwendungsbefugnis sachgerecht entscheiden zu können. Die Kammer gehe davon aus, dass der Schuldnerin ein zur Verhängung von Ordnungsgeld hinreichendes schuldhaftes Verhalten erst bei einer Zuwiderhandlung ab dem Zeitpunkt vorgeworfen werden könne, zu welchem sie erstmals auch die Möglichkeit gehabt habe, die Urteilsbegründung zur Kenntnis zu nehmen.

Der Gläubiger verfolgt seinen Ordnungsmittelantrag mit der von ihm eingelegten sofortigen Beschwerde weiter. Die Schuldnerin verteidigt den angegriffenen Beschluss. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 793, 567 ff., 890 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Gläubigers ist begründet und führt zur Verhängung des titulierten Ordnungsgeldes.

Die allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzungen liegen vor, insbesondere ist durch die Zustellung vom 12.01.2007 die Vollziehungsfrist des § 929 II ZPO eingehalten worden. Eine schuldhafte Zuwiderhandlung gegen das streitgegenständliche Unterlassungsgebot im Sinne des § 890 I ZPO ist zu bejahen, da die Schuldnerin ihr Produkt wiederum mit einer größeren Bioverfügbarkeit als bei einem synthetisch hergestellten Vitamin C beworben hat. Das Vorliegen eines Titelverstoßes als solchem außerhalb der Vollstreckungsvoraussetzungen ist zwischen den Parteien der Sache nach nicht "streitig".

1.

Der Senat folgt in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass ein verkündeter Titel noch nicht zugestellt sein muss, um im Falle einer Zuwiderhandlung die gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel auslösen zu können.

Eine durch Urteil erlassene Verbotsverfügung wird nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln bereits mit der Verkündung wirksam (Senat, Urt. v. 21.08.1979, Az. 4 U 179/79, WRP 1980, 42; Bernecke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl. 2003, Rn. 160). Der Schuldner muss diese, wenn er nicht Ordnungsmittel nach § 890 ZPO gewärtigen will, nunmehr entsprechend beachten. Eine Zustellung des Urteils nach § 750 I ZPO ist hierfür und auch in Bezug auf die Verwirkung von Ordnungsmitteln nicht erforderlich. Die Zustellung ist zwar Zwangsvollstreckungsvoraussetzung, die hier mit der Zustellung vom 12.01.2007 auch erfüllt ist, aber keine materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Titel, gegen den der Schuldner bereits ab seiner Verkündung - anders als bei Beschlussverfügungen, die erst ab der Zustellung wirksam werden - sanktionsbewehrt verstoßen kann. Für die Beachtlichkeit des Titels ist seine Zustellung nicht erforderlich. Eine Zuwiderhandlung nach der Verkündung einschließlich der erforderlichen Ordnungsmittelandrohung, die hier ebenfalls vorlag, aber vor Klauselerteilung oder Zustellung reicht aus (hochstr., so die h.M.: vgl. etwa OLG Hamm, Beschl. v. 17.08.1988, 3 W 61/88; OLG Stuttgart OLGZ 1994, 364, 365; Ahrens, in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl. 2004, Kap. 6 Rn. 11; Bernecke, a.a.O., Rn. 160, 312; Bork, WRP 1989, 360, 364; Schuschke/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 3. Aufl. 2002, § 890 Rn. 25, W. Brahm, in Stein/Jonas, ZPO, 2004, § 890 Rn. 21; MünchKomm.-Schilken, ZPO, 2. Aufl. 2001, § 890 Rn. 11; a.A. u.a. OLG Hamburg WRP 1967, 324, 325; Borck WRP 1977, 556, 561; Spätgens, in Ahrens, a.a.O., Kap. 64 Rn. 65 m.w.N.; unklar in Bezug auf den vorliegenden Sachzusammenhang BGH NJW 1990, 122 und 1996, 397). Der gegenteiligen Auffassung, der sich auch das Landgericht angeschlossen hat, ist zwar zuzugestehen, dass dem Schuldner bei in seiner Abwesenheit verkündeten Urteilen die genauen Entscheidungsgründe noch nicht bekannt sind und er nunmehr gezwungen sein könnte, den Titel vor der Bekundung eines weiteren Vollziehungswillens seitens des Gläubigers durch Zustellung zu beachten. Indes ist er zum maßgeblichen Verkündungszeitpunkt regelmäßig (in Wettbewerbssachen überdies zumeist noch durch eine vorherige Abmahnung) über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, den konkret beanstandeten Sachverhalt und auch über den Termin, an dem die Entscheidung hierüber ansteht, informiert und kann sich entsprechend hierauf einstellen. Eine Überlegungszeit ist ihm dabei, insbesondere bei Eilsachen, die keinen Aufschub dulden, grundsätzlich nicht einzuräumen, da Arrestbefehle und einstweilige Verfügungen nach ihrem Sinn und Zweck einstweilen sofort wirken und auch zu beachten sind. Unbestimmte Überlegungsfristen, ob und inwieweit eine Eilanordnung nunmehr beachtet werden soll, sind hiermit nicht in Einklang zu bringen. Bei der für den Schuldner mangelnden Kenntnis vom Verfügungsinhalt ist zu berücksichtigen, dass dieser sich regelmäßig bei Gericht die nötige Kenntnis von dem Ausgang des Verfahrens und der verkündeten Entscheidung verschaffen kann, wohingegen sich die Zustellung aus vielfältigen Gründen interessenwidrig verzögern kann. Das Interesse des Gläubigers an der Beachtung der Anordnung überwiegt in diesem Zusammenhang dem Schutzbedürfnis des Schuldners hinsichtlich einer bis zur Zustellung möglicherweise bestehenden Unsicherheit über den näheren Titelinhalt, zumal er nämlich um das Antragsziel, den Stand des Verfahrens und die (öffentliche) Verkündung weiß. Ebenso wenig ist, wie die Schuldnerin geltend macht, ein Verstoß gegen den Grundgedanken des Art. 103 II GG zu befürchten unter dem Gesichtspunkt, dass eine Sanktionierung stattfindet, bevor der Sanktionierungstatbestand überhaupt festgelegt ist. Denn geahndet wird ausschließlich eine Zuwiderhandlung, die konkret nach der gerichtlichen Anordnung und der Androhung von Ordnungsmitteln erfolgt. Der Schuldner ist in diesen Fällen im allgemeinen in der Lage, sich entsprechend hierauf einzustellen und vor allem auch von dem Erlass Kenntnis zu erhalten. Der Umstand, dass es im Einzelfall, etwa wenn an der Gerichtsstelle vorübergehend niemand (mehr) erreichbar ist, zu Irritationen bei der Informationsbeschaffung und hinsichtlich des Titelinhalts kommen kann, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn weiteres Tatbestandsmerkmal für die Verhängung einer Ordnungsmaßnahme ist das immer auch geforderte Verschulden in Bezug auf die Zuwiderhandlung, das entsprechend, wenn etwa über die Verfügungsanordnung (noch) keine Kenntnis verschafft werden kann, nach den Umständen des Einzelfalls in diesem Stadium gegebenenfalls entsprechend zu verneinen wäre. Eine Berücksichtigung solcher Umstände, die auch eine Verzögerung der Umsetzungsmöglichkeiten des Schuldners betreffen, erfolgt insofern bei der Beurteilung des Verschuldens. Auch ein Konflikt mit der Schadensersatzhaftung des Gläubigers nach § 945 ZPO wird vermieden, wenn dessen Haftung entsprechend früher beginnt. Zur Vermeidung einer Haftung noch vor der Vollziehung kann der Gläubiger dem Schuldner mitteilen, dass er aus dem Titel zunächst keine Recht herleite (vgl. Bernecke, a.a.O., Rn. 160; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl. 2007, Kap. 36 Rn. 31 f.).

2.

Ein für die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO erforderliches Verschulden ist im Streitfall zu bejahen. Die objektiv rechtswidrige Zuwiderhandlung ist jedenfalls fahrlässig durch die am 11.01.2007 vorzufindende Internetpräsentation verwirklicht worden. Ein Verschulden ist im Allgemeinen zu bejahen, wenn der Schuldner nicht sofort alle notwendigen und ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um künftige Titelverstöße, hier gegen den am 20.12.2006 verkündeten Unterlassungstitel des Landgerichts, zu verhindern. Bei Zuwiderhandlungen nach Androhung des Ordnungsmittels, jedoch vor Zustellung des Titels und der Androhung, liegt ein Verschulden dann vor, wenn der Schuldner das Verbot und die Androhung kannte oder schuldhaft nicht kannte (Zöller-Stöber, ZPO, § 890 Rn. 5). Letzteres war insofern der Fall, als im Anschluss an den auch von den Parteienvertretern wahrgenommenen Verhandlungstermin vom 20.12.2006 eine Entscheidung über den gestellten Eilantrag unmittelbar zu erwarten war. Das Ergebnis und die Entscheidung jedenfalls konnten abgefragt werden. Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Feiertage war ein Verstoß gegen die Unterlassungsanordnung nach einer Dauer von rd. 3 Wochen nach dem Termin vermeidbar. Dass hier eine zeitnahe bzw. rechtzeitige Abfrage des Verkündungsergebnisses nicht möglich war, ist weder ersichtlich noch feststellbar. Auch ein Abwarten des Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin bis zum Erhalt des Terminsprotokolls schließt das Verschulden nicht aus.

III.

Der Höhe nach war in diesem Einzel- und Sonderfall die Verhängung eines Ordnungsgeldes von 5.000,- € gerechtfertigt.

Ordnungsmittel im Sinne des § 890 ZPO sind im Hinblick auf ihren Zweck zu bemessen. Zu berücksichtigen sind deshalb bei ihrer Festsetzung insbesondere Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit der begangenen und möglicher künftiger Verletzungshandlungen für den Verletzten. Eine Titelverletzung soll sich für den Schuldner nicht lohnen (BGH GRUR 1994, 146, 147 - Vertragsstrafebemessung; 2004, 506 Rn. 52 - Euro-Einführungsrabatt; Ahrens, 5. Aufl. 2005, Kap. 68 Rn. 6 f. m.w.N.).

Auf dieser Grundlage war vorliegend einerseits insbesondere der Titelverstoß zu beachten, der rd. 3 Wochen nach der Verfügungsanordnung stattfand, obwohl auch eine Aufbrauchfrist nicht eingeräumt war. Auf der anderen Seite war zugunsten der Schuldnerin zu beachten, dass sie offenkundig (nur) ein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft und sie den fraglichen Verstoß unstreitig nach Zustellung des Urteils sofort abgestellt hat. Unter Berücksichtigung auch der weiteren Gesamtumstände des Streitfalls ist zur Ahndung dessen die Verhängung eines Ordnungsgelds von 5.000,- € erforderlich, aber auch ausreichend.

IV.

Die Rechtsbeschwerde (vgl. hierzu Spätgens, a.a.O., Kap. 67 Rn. 16; Bernecke, a.a.O., Rn. 181 a) wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, § 574 ZPO.

Ende der Entscheidung

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