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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 31.01.2008
Aktenzeichen: 4 Ws 10/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 463
Zur Frage der Erforderlichkeit der Einholung eines externen Prognosegutachtens.
Beschluss

Maßregelvollzugssache

gegen T.M.

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, (hier: Absehen von der Einholung eines - weiteren - Sachverständigengutachtens gem. § 463 Abs. 4 S. 1 StPO).

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 13. November 2007 gegen den Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 30. Oktober 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 31. 01. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Untergebrachten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Dortmund - Jugendschöffengericht - hat den Untergebrachten am 27. August 1997 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 8 Fällen zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren verurteilt und ferner seine Unterbringung gem. § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Urteil ist seit dem selben Tag rechtskräftig. Der Untergebrachte befand sich bereits bis zur Rechtskraft seit dem 28. Mai 1997 in vorläufiger Unterbringung im Westfälischen Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt in Eickelborn. Seit dem 27. Januar 2006 wird die Maßregel in der XX-Klinik in D. vollzogen.

Mit Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 21. Juni 2007 ist die Fortdauer der Unterbringung angeordnet worden. Dabei hat sich die Kammer u. a. auf ein gem. § 16 Abs. 3 MRVG NW erstattetes psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Y., vom 14. September 2006 gestützt. Mit Datum vom 06. September 2007 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund unter Hinweis auf die Neufassung des § 463 Abs. 4 StPO beantragt, ein externes Sachverständigengutachten einzuholen, da der Verurteilte sich bereits seit 1997 in der Unterbringung befinde.

Mit Beschluss vom 30. Oktober 2007 hat die Strafvollstreckungskammer von der Einholung eines Sachverständigengutachtens gem. § 463 Abs. 4 S. 1 StPO abgesehen. Zur Begründung wird ausgeführt, in Nordrhein-Westfalen sei - anders als in anderen Bundesländern - nach § 16 Abs. 3 MRVG NW ohnehin nach jeweils 3 Jahren das Gutachten eines externen Sachverständigen einzuholen. Das vorliegend zuletzt erstellte Gutachten sei im September 2006 vorgelegt worden. Die Anordnung gem. § 463 Abs. 4 S. 1 StPO zum jetzigen Zeitpunkt erscheine deshalb nicht geboten.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit ihrer Beschwerde vom 13. November 2007, die mit Zuschrift an die Strafvollstreckungskammer vom 30. November 2007 begründet worden ist. Nach dem Wortlaut der neu gefassten Vorschrift des § 463 Abs. 4 StPO solle das Gericht nach jeweils 5 Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63) das Gutachten eines externen Sachverständigen einholen. In der Neufassung sei nicht vorgesehen, dass diese Begutachtung durch ein nach anderen Vorschriften (z. B. gem. § 16 Abs. 3 Maßregelvollzugsgesetz) eingeholtes Gutachten ersetzt werden könne. Eine diesbezügliche Einschränkung sei der Textfassung des § 463 Abs. 4 StPO nicht zu entnehmen. Im Übrigen handele es sich bei der Vorschrift des § 16 Abs. 3 MRVG NW um Landesrecht, welches das Bundesgesetz der Strafprozessordnung nicht berühre.

Die Strafvollstreckungskammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde beigetreten.

Der Verteidiger des Untergebrachten hat mit Schriftsatz vom 23. Januar 2008 mitgeteilt, eine Stellungnahme zu der Beschwerde der Staatsanwaltschaft sei nicht beabsichtigt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Die gem. § 16 Abs. 3 MRVG NW eingeholten Prognosegutachten können als externe Sachverständigengutachten im Sinne des § 463 Abs. 4 n. F. StPO herangezogen werden.

Gem. § 463 Abs. 4 S. 1 StPO in der seit dem 20. Juli 2007 gültigen Fassung soll das Gericht im Rahmen der Überprüfung nach § 67 e des Strafgesetzbuches nach jeweils 5 Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63) das Gutachten eines Sachverständigen einholen. Der Sachverständige darf weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen sein noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeiten, in dem sich die untergebrachte Person befindet. Der Gesetzgeber hat damit den verfassungsgerichtlichen Vorgaben Rechnung getragen, wonach bei derartigen Prognoseentscheidungen in der Regel die Pflicht bestehe, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen (vgl. BVerfGE 70, 297). Das Gutachten solle zudem, so das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.), "nicht aus länger zurückliegender Zeit stammen". Ferner sei es in der Regel geboten, "von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen".

Diesen Erfordernissen genügen die gem. § 16 Abs. 3 MRVG NW einzuholenden Gutachten, die durch ärztliche oder nicht ärztliche Sachverständige, die nicht für die fragliche Unterbringungseinrichtung arbeiten dürfen (Satz 3), ohne jede Einschränkung. Die Regelung in Absatz 4 dieser Vorschrift, wonach die zuständigen Heilberufskammern Listen über Sachverständige führen, die für die Aufgaben nach Absatz 3 geeignet sind, und in Abstimmung mit den Anstaltsträgern und zuständigen Behörden Qualitätskriterien festlegen, gewährleistet zudem die Güte der nach § 16 Abs. 3 MRVG NW erstatteten Gutachten.

Der Wortlaut des neugefassten § 463 Abs. 4 StPO sowie auch die Gesetzgebungsmaterialien geben keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der landesrechtlichen Regelungen den nach § 16 Abs. 3 MRVG NW eingeholten Sachverständigengutachten die Eignung im Sinne des § 463 Abs. 4 StPO versagen wollte.

Der Senat sieht daher nach alledem, wie auch zu Recht die Strafvollstreckungskammer, unter den hier gegebenen Umständen - Vorliegen eines externen Gutachtens eines erfahrenen Sachverständigen aus dem Jahre 2006 - keine Notwendigkeit für die Einholung eines weiteren anstaltsfremden Sachverständigengutachtens vor Ablauf der gesetzlichen Fristen, was letztlich nur zu einer überflüssigen, den Untergebrachten möglicherweise belastenden Doppelbegutachtung innerhalb kurzer Zeit führen würde.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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