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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.04.2007
Aktenzeichen: 4 Ws 158/07
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1
StPO § 140 Abs. 2
Zur günstigen Sozialprognose hinsichtlich der bedingten Entlassung.
Beschluss

Strafvollstreckungssache gegen M. N. J., zur Zeit in dieser Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Münster,

wegen gefährlicher Körperverletzung,

hier: Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers und Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung.

Auf den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers und die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 9./11. März 2007 gegen den Beschluß der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster vom 27. Februar 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 3. April 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird abgelehnt (Entscheidung des den Vorsitzenden des Senats vertretenden ROLG ).

2. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft wird im vorliegenden Verfahren angeordnet.

Die Bewährungszeit wird auf drei Jahre festgesetzt.

Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen hauptamtlichen Bewährungshelfer unterstellt.

Die Belehrung über die bedingte Entlassung wird der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Münster übertragen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

Durch den angefochtenen Beschluß ist die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft, die er aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Rheine vom 16. Januar 2003 nach Widerruf der zunächst bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung verbüßt, abgelehnt worden. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner zulässigen sofortigen Beschwerde und beantragt zugleich, ihm für das Beschwerdeverfahren Rechtsanwalt Sch. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

1. Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers war zurückzuweisen. Von hier nicht in Betracht kommenden Sonderfällen abgesehen sieht das Gesetz die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht vor. Sie kann nur ausnahmsweise in entsprechender Anwendung von § 140 Absatz 2 StPO erfolgen, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Interessen selbst sachgemäß wahrzunehmen, das ausnahmsweise gebietet. Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor. Die Sach- und Rechtslage ist einfach. Im übrigen ist der Verurteilte, wie sich aus dem Protokoll über seine Anhörung ergibt, durchaus in der Lage, sich im vorliegenden Verfahren selbst angemessen zu verteidigen.

Insoweit handelt es sich um eine Entscheidung des Vorsitzenden.

2. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat dagegen Erfolg. Nach Ansicht des Senats kann die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Rheine vom 16. Januar 2003 zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden.

Der Senat verkennt dabei die von der Strafvollstreckungskammer angeführten Bedenken gegen eine bedingte Entlassung nicht. Auch ist dem persönlichen Eindruck, den die Strafvollstreckungskammer bei der mündlichen Anhörung von dem Verurteilten gewonnen hat, durchaus Gewicht beizumessen. Gleichwohl hält der Senat die Anordnung der bedingten Entlassung für verantwortbar und letztlich für angezeigt.

Der Verurteilte ist zwar in der Vergangenheit bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, dabei ist aber zu berücksichtigen, daß hinsichtlich der vier Verfahren aus den Jahren 1996 bis 2001 in einem Fall eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Abs. 2 JGG erfolgt ist und im übrigen mit Erziehungsmaßregeln bzw. nicht freiheitsentziehenden Zuchtmitteln reagiert wurde. Das deutet darauf hin, daß es sich um weniger gewichtige und eher jugendtümliche Vorfälle gehandelt hat. Im Jahre 2002 folgte eine Verurteilung wegen Betruges und Sachbeschädigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 35 Tagessätzen und schließlich die Verurteilung im vorliegenden Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war. Zugrunde lag, daß der Verurteilte den Zeugen H. durch die geöffnete Scheibe des von diesem gesteuerten Pkw mit einer Fahrradluftpumpe geschlagen hatte, wodurch dieser an Kinn und linker Wange getroffen wurde. Dieser Schlag hatte nach der Aktenlage lediglich einen kurzfristigen Schmerz und eine leichte Rötung im Kinn- und Wangenbereich zur Folge. Vorausgegangen war eine potentiell gefährliche Situation im Straßenverkehr, bei der der Verurteilte beinahe von dem Zeugen angefahren worden wäre.

Der Widerruf der Strafaussetzung erfolgte, weil sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des ihm beigeordneten Bewährungshelfers entzogen, die ihm auferlegten 200 Stunden soziale Arbeit nicht abgeleistet hatte und bei seiner Festnahme am 5. November 2006 - die Bewährungszeit war am 23. Januar 2006 bereits abgelaufen - bei ihm eine geringe Menge Marihuana aufgefunden worden waren. Das deshalb eingeleitete Ermittlungsverfahren ist nach § 154 StPO eingestellt worden.

In einem weiteren Strafverfahren gegen ihn, das ein ebenfalls nicht schwer wiegendes Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz aus dem Jahre 2002 zum Gegenstand haben soll, ist Hauptverhandlung anberaumt auf den 24. April 2007.

Sieht man von dem Besitz der geringen Menge Marihuana aus dem Jahre 2006 ab, ist der Verurteilte somit letztmalig im Jahre 2002 strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er befindet sich erstmals in Strafhaft, der Zwei-Drittel-Zeitpunkt war bereits seit dem 4. März 2007, und damit vor rund einem Monat, erreicht. Das Strafende ist auf den 4. Mai 2007 notiert.

Entscheidendes Gewicht hat jedoch die Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Münster vom 6. Februar 2007, die dem Verurteilten ein ordentliches Vollzugsverhalten bescheinigt und ausgeführt hat, der Verurteilte sei vom geschlossenen Vollzug beeindruckt.

Daß der Verurteilte eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft und Drogenproblematik aufweisen könnte, vermag der Senat dagegen nicht festzustellen. Die Verurteilung im vorliegenden Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung war durch eine vorausgegangene gefährliche Situation im Straßenverkehr situativ geprägt, die weitere einschlägige Vorstrafe hatte einen Vorfall vom 22. Oktober 1997 zum Gegenstand und liegt sehr lange zurück. Der Verurteile war zwar bei seiner Festnahme am 5. November 2006 im Besitz einer geringen Menge Marihuana, die weiteren einschlägigen Vorfälle betreffen jedoch Taten aus dem Jahre 2000 bzw. hinsichtlich des noch offenen Verfahrens einen Vorfall aus dem Jahre 2002, der zudem vom Verurteilten bestritten wird. Das Bestehen einer Drogenproblematik hat auch die Justizvollzugsanstalt bei dem Verurteilten nicht feststellen können.

Da der Verurteilte zudem über feste soziale Kontakte zu seiner Verlobten und zu seinen Eltern verfügt, besteht nach alledem jedenfalls mit Unterstützung des beigeordneten Bewährungshelfers die naheliegende Chance für ein zukünftig straffreies Leben des Verurteilten.

Die Kostenentscheidung trägt dem Erfolg des Rechtsmittels Rechnung, § 467 StPO analog.

Ende der Entscheidung

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