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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.06.2005
Aktenzeichen: 4 Ws 287/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
Zur (bejahten) Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren.
Beschluss

Maßregelvollzugsache

wegen sexueller Nötigung

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 18. Mai 2005 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld hat durch den angefochtenen Beschluss die Fortdauer der Unterbringung des Verurteilten angeordnet. Die Entscheidung ist ohne vorherige mündliche Anhörung des Verurteilten ergangen, nachdem dieser eine Verzichtserklärung abgegeben hatte.

Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner von ihm unterschriebenen sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig und führt zu einem - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Der angefochtene Beschluss unterliegt der Aufhebung, da die mündliche Anhörung des Betroffenen und die Beiordnung und Beteiligung eines Pflichtverteidigers unterblieben ist.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO, der für das Vollstreckungsverfahren entsprechende Anwendung findet (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 140 Rdnr. 33, 33 a m.w.N.), ist hier ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben. Der aus der dritten Klasse der Sonderschule entlassene Verurteilte wurde bereits im Jahre 1970 entmündigt. Bei einem IQ von 59 befindet er sich, so die Stellungnahme der Anstalt vom 6. April 2005, hinsichtlich seiner soziomoralischen Entwicklung auf dem Niveau eines Kleinkindes. Die bisher gestellten Diagnosen einer dissozialen Persönlichkeitsstörung sowie einem Alkohol-Abhängigkeitssyndrom gelten fort. Die Persönlichkeitsdefizite des Verurteilten und seine erhebliche Intelligenzminderung zwingen zu dem Schluss, dass er selbst, ohne anwaltliche Hilfe, seine Interessen nicht sachgerecht wahrnehmen kann.

Das - ohnehin unbeholfen formulierte - Beschwerdeschreiben vom 22. Mai 2005 lässt eine andere Beurteilung nicht zu, zumal nach dem Schriftbild zu vermuten ist, dass der Verurteilte es lediglich unterschrieben, nicht aber selbst verfasst hat.

Nach allem war die Beteiligung eines Verteidigers im Rahmen der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO unerlässlich.

Gleiches gilt für die mündliche Anhörung, die grundsätzlich zwingend ist, und auf die der Verurteilte aus den vorgenannten Gründen nicht wirksam verzichten konnte.

Die aufgezeigten Verfahrensfehler führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache.

Zuständig für die erneute Entscheidung ist jedoch nicht die bisher tätig gewordene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld, sondern die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster.

Der Verurteilte ist untergebracht in der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik Rheine. Mit Beschluss vom 21. Juni 2005 hat der Senat zur Frage der örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer im Falle der Unterbringung in der Westfälischen Maßregelvollzugsklinik Rheine Folgendes ausgeführt:

"Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer ergibt sich aus §§ 462 a Abs. 1 S. 1, 463 Abs. 1 StPO. Danach ist die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Maßregelvollzugsanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Dies ist die Maßregelvollzugsklinik in Rheine, welche im Bezirk des Landgerichts Münster liegt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass diese Klinik laut Briefkopf als "Übergangseinrichtung der Westfälischen Klinik Schloß Haldem" - welche im Bezirk des Landgerichts Bielefeld liegt - firmiert. Zwar richtet sich die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für den Fall, dass ein Gefangener sich in einer Außenstelle einer JVA befindet, nach dem Sitz der Hauptanstalt (vgl. BGHSt 28, 135; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 462 a RN 8). Bei der Klinik in Rheine handelt es sich jedoch nicht um eine unselbstständige Außenstelle im Sinne dieser Rechtsprechung. Nach dieser ist eine Außenstelle dann nicht selbstständig, wenn sie keinen eigenen Anstaltsleiter hat und nach außen durch den Leiter der Hauptanstalt vertreten wird. Dieser ist dann Vollzugsbehörde i.S.d. § 110 StVollzG (vgl. BGH a.a.O., 137). Die Westfälische Maßregelvollzugsklinik Rheine hat jedoch mit der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Frau Dr. S. eine eigene ärztliche therapeutische Leitung. Diese ist damit - soweit es die Fragen des Vollzuges und der Vollstreckung betrifft - "Vollzugsbehörde" i.S.d. § 110 StVollzG. Dies ergibt sich aus § 29 Abs. 5 MRVG NW. Danach trifft "die therapeutische Leitung" die Maßnahmen zum Vollzug der Maßregel, soweit in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes nichts anderes bestimmt ist. Die therapeutische Leitung ist damit "Vollzugsbehörde". Wer die Klinik im Übrigen leitet, ist ohne Belang. Damit ist die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die therapeutische Leitung ihren Sitz hat, auch zuständig für Anträge auf gerichtliche Entscheidung gegen Maßnahmen der Vollzugsbehörde zur Regelung einzelner Angelegenheiten nach § 109 StVollzG. Nichts anderes kann dann für die Strafvollstreckungsentscheidungen gelten. Es wäre wenig folgerichtig, die Zuständigkeit für die Vollzugsentscheidungen von der Zuständigkeit für nachträgliche Entscheidungen, die eine Strafaussetzung zur Bewährung betreffen, zu trennen (so BGH a.a.O.).

Gewisse Zweifel an diesem Ergebnis könnte man allenfalls aus dem Internet-Auftritt der Klinik in Rheine herleiten. Dort ist ausgeführt, dass die "therapeutische Endverantwortung" beim ärztlichen Direktor der Klinik Schloß Haldem liege. Telefonische Nachfragen beim Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug (Frau M.), dem Leiter der Abteilung Maßregelvollzug beim Landschaftsverband (Dr. W.), der dort für Rechtsangelegenheiten zuständigen Dezernentin (Fr. W.) und dem ärztlichen Direktor der Klinik Schloß Haldem (Dr. R.) haben allerdings ergeben, dass diese Formulierung missverständlich ist. Tatsächlich ist die therapeutische Leiterin Frau Dr. S. "Maßregelvollzugsleiterin" i.S.d. § 29 Abs. 5 MRVG NW. Sie trifft vor Ort eigenständig die Entscheidungen zu Maßnahmen des Vollzuges der Maßregel. Eine etwaige Weisungsbefugnis des ärztlichen Direktors der Klinik in Schloß Haldem besteht lediglich im Innenverhältnis. Nach außen gegenüber den Maßregelvollzugspatienten tritt die therapeutische Leiterin der Maßregelvollzugsklinik in Rheine in Erscheinung. Allein auf dieses Außenverhältnis kommt es für die Entscheidung der Frage, wer Maßregelvollzugsleiter und damit Vollstreckungsbehörde ist, an."

Demnach hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster über die Fortdauer der Unterbringung zu entscheiden.

Zur Frage der Pflichtverteidigerbeiordnung ist Folgendes anzumerken:

Dem Verurteilten ist mit Datum vom 9. Juni 2004 Rechtsanwalt B. aus Paderborn beigeordnet worden. Diese Beiordnung ist bislang nicht aufgehoben worden. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Pflichtverteidigerbestellung nur für den jeweils anstehenden Vollstreckungsabschnitt (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 252 m.w.N.) oder für das gesamte Vollstreckungsverfahren gilt (vgl. Meyer-Goßner a.a.O.Rdnr. 33 a m.w.N.). Der erkennende Senat folgt in ständiger Rechtsprechung der ersten Auffassung, so dass Rechtsanwalt B. oder ein anderer Verteidiger für die anstehende Entscheidung über die Frage der Unterbringung (erneut) beizuordnen ist.

Ende der Entscheidung

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