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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: 4 Ws 294/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 275 a Abs. 4 S. 2
Gem. § 275 a Abs. 4 Satz 2 StPO sind im Rahmen der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zwei von einander unabhängige Sachverständigengutachten einzuholen.
Beschluss

Strafsache gegen U. H. W.,

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 19. September 2008 gegen den einstweiligen Unterbringungsbeschluss der 1. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 27. Juni 2008 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Leygraf und die Richter am Oberlandesgericht Eichel und Kallhoff nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 31. Juli 2008 die Beschwerde des Verurteilten gegen den vorgenannten einstweiligen Unterbringungsbeschluss als unbegründet verworfen. Nunmehr hat der Verurteilte mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 19. September 2008 erneut gegen den Unterbringungsbeschluss in der Fassung des letzten Fortdauerbeschlusses Beschwerde eingelegt.

Die Strafkammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 25. September 2008 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

Es liegen nach wie vor dringende Gründe für die Annahme vor, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Die Gründe des Senatsbeschlusses vom 31. Juli 2008, auf die Bezug genommen wird, gelten unverändert fort.

Gleichwohl begegnet die Sachbehandlung rechtlichen Bedenken, worauf die Verteidigerin in der Beschwerdebegründung zu Recht hinweist.

Gem. § 275 a Abs. 4 S. 2 StPO - anders als nach S. 1 dieser Norm - sind im Rahmen der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zwei Sachverständigengutachten einzuholen. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Dem Sinn dieser Regelung, im Interesse des Verurteilten in Anbetracht der einschneidenden Konsequenzen im Falle der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung eine größtmögliche Entscheidungssicherheit durch die Beauftragung zweier Sachverständiger zu gewährleisten, kann nur dann wirksam Rechnung getragen werden, wenn sich zwei Sachverständige unabhängig voneinander mit dem Verurteilten befassen. Der im Nichtabhilfebeschluss der Strafkammer geäußerten Erwartung, die beiden Sachverständigen würden in der Hauptverhandlung "jeder ein eigenständiges Gutachten erstellen", vermag sich der Senat angesichts der gemeinsamen Abfassung des schriftlichen Gutachtens nicht anzuschließen.

Im vorliegenden Fall hat die Strafkammer mit Beschluss vom 16. Juli 2008 ausdrücklich nur die Erstattung eines Gutachtens in Auftrag gegeben und damit die Sachverständigen Dr. T. und B. betraut. Diese haben das Gutachten sodann gemeinsam unter dem 24. August 2008 vorgelegt. Dem Inhalt des Gutachtens lässt sich nicht entnehmen, wer von den Sachverständigen in welcher Form und in welchem Umfange daran mitgewirkt hat. Der Zweck der Erstattung zweier unabhängig voneinander erstellter Gutachten, dem Gericht eine bessere Beurteilungs- und Kontrollmöglichkeit - im Hinblick auf die Güte der Gutachten zu bieten, bleibt damit unerfüllt.

Die Strafkammer wird daher, der gesetzlichen Regelung des § 275 a Abs. 4 S. 2 StPO folgend, ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen haben.

Die damit zwangsläufig verbundene zeitliche Verzögerung ist hinnehmbar und führt nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Für den Erlass und den Bestand einer einstweiligen Unterbringungsanordnung gem. § 275 a Abs. 5 S. 1 StPO und damit auch für die Prüfung durch den Senat kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen; die Fortdauer der Unterbringung ist hingegen, anders als im Falle der Untersuchungshaft, nicht an die strikte Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes gebunden (vgl. dazu für die vergleichbare Regelung des § 126 a Abs. 1 u. 2. StPO: OLG Hamm, NJW 2007, 3220). Die Frage, ob es zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen gekommen ist, ist erst im Rahmen der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung von Bedeutung (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Danach gilt hier folgendes:

Die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung liegen weiterhin vor. Die Auffassung des Senats im Beschluss vom 31. Juli 2008 wird durch das aktuelle Gutachten der Sachverständigen Dr. T. und B. - wie durch die zuvor während des Maßregelvollzugs erstatteten Gutachten - gestützt, wonach der Verurteilte im Falle seiner Freilassung mit größter Wahrscheinlichkeit künftig wieder ähnliche oder gleichartige Straftaten wie zuvor begehen wird. Es sei - situationsabhängig - mit Eigentums-, Gewalt- und Sexualdelikten zu rechnen.

Damit ist unter Berücksichtigung der Art und Schwere der bisher von dem Verurteilten begangenen Straftaten und seiner damit zu Tage getretenen erheblichen Gefährlichkeit die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung im Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit unerlässlich. Sie ist, auch im Hinblick auf die zu erwartende zeitliche Verzögerung wegen der Einholung eines zweiten Sachverständigengutachtens, angemessen und verhältnismäßig. Zwar wäre diese Verzögerung vermeidbar gewesen. Aufgrund der von dem Verurteilten ausgehenden erheblichen Gefahr für höchste Rechtsgüter wird damit die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit des weiteren Vollzugs der einstweiligen Unterbringung jedoch nicht beseitigt.

Die Beschwerde war daher nach alledem als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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