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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.07.2007
Aktenzeichen: 4 Ws 297/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 120
Wenn gegen ein freisprechende Urteil ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, kann die gesetzliche Vermutung des § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO aufgrund neuer Tatsachen und Beweise widerlegt werden. Das gilt jedoch nicht, wenn das freisprechende Urteil mit der Revision angefochten ist. Es muss sich aber um eine offensichtlich begründete Revision handeln.
Beschluss

Strafsache

gegen V.B.

wegen erpresserischen Menschenraubes u.a., (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 18. Juli 2007 gegen den Haftbefehl der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 19. April 2007 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 07. 2007 durch die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Landgerichts Paderborn vom 19. April 2007 wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist angeklagt worden, am 8. Mai 2006 in Lippstadt-Bad Waldliesborn gemeinschaftlich mit den Angeklagten R. und W. einen Menschen entführt zu haben, um die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung auszunutzen. Er und die Mitangeklagten sollen maskiert und entsprechend eines gemeinsamen Tatentschlusses dem Geschädigten H. in der Nähe seines Hauses aufgelauert und ihn überwältigt haben, wobei der Beschwerdeführer diesen mit einer Pistole und der Mitangeklagte W. mit einem Knüppel bedroht haben soll. Der Beschwerdeführer soll als Wortführer aufgetreten und dem Geschädigten damit gedroht haben, dass dieser "jetzt für alles bezahlen müsse". Zudem soll er dem Geschädigten erklärt haben, dass in dessen Wohnhaus, in der Firma und bei seinen Töchtern überall Sprengstoff angebracht worden sei. Ferner sollen die drei Angeklagten den Geschädigten gefesselt und mit dessen PKW in ein nahegelegenes Waldgebiet verbracht und mit dem Mobiltelefon des Geschädigten Kontakt zu dessen Ehefrau aufgenommen haben. Dieser sollen sie damit gedroht haben, den Geschädigten H. zu töten und sein Wohnhaus und sein Firmengebäude in die Luft zu sprengen, wenn nicht ein Lösegeld von 200.000,- € gezahlt werde. Die Zeugin H. beschaffte diesen Geldbetrag und die Angeklagten sollen den Geschädigten nach der Geldübergabe freigelassen haben.

Der Beschwerdeführer ist in dieser Sache am 11. Mai 2006 festgenommen worden und befand sich zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom 12. Mai 2006 (26 Gs 752/06) in Untersuchungshaft. Die Mitangeklagten R. und W. wurden durch Urteil des Landgerichts Paderborn vom 20. Januar 2007 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, während der Beschwerdeführer nicht als Mittäter des erpresserischen Menschenraubes, sondern lediglich wegen versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten - mit Strafaussetzung zur Bewährung - verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer hatte sich dahingehend eingelassen, dass er an der Tat nicht beteiligt gewesen sei, er habe erst danach von ihr erfahren. Er habe sich einen Geldbetrag dafür versprechen lassen, dass er die Täter nicht verrate, dieses Geld aber nicht erhalten. Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten für nicht widerlegt erachtet, da sie nach einer Gesamtschau der Beweismittel keine geschlossene Indizienkette für dessen Mittäterschaft hat erkennen können. Die Staatsanwaltschaft Paderborn hat gegen dieses Urteil - soweit es den Beschwerdeführer betrifft - form- und fristgerecht Revision eingelegt und fristgerecht die Rüge der Verletzung des materiellen Rechts erhoben; sie hält die Beweiswürdigung für rechtsfehlerhaft. Zudem hat die Staatsanwaltschaft Paderborn die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen versuchter Strafvereitelung beantragt, da nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Paderborn insofern eine neue Tat i.S.v. § 264 StPO vorliege und es an der erforderlichen Nachtragsanklage fehle. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der Revision der Staatsanwaltschaft Paderborn beigetreten.

Das Landgericht Paderborn hat am Ende der Hauptverhandlung am 20. November 2006 den Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer aufgehoben. Nachdem der Mitangeklagte R. in einer Vernehmung am 10. April 2007 entgegen früheren Angaben den Beschwerdeführer der Mittäterschaft bezichtigt hatte, hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft Paderborn das Landgericht Paderborn mit Beschluss vom 19. April 2007 einen neuen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer wegen des dringenden Tatverdachts erlassen, Mittäter des erpresserischen Menschenraubs vom 8. Mai 2006 zu sein und zugleich den Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen. Gegen diesen Haftbefehl richtet sich die Beschwerde des Angeklagten B..

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig und begründet. Der Haftbefehl des Landgerichts Paderborn war aufzuheben, da ein dringender Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer derzeit nicht besteht.

Gem. § 120 Abs. 1 S. 2 StPO ist der Haftbefehl u.a. dann aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen wird. Im Falle des Freispruchs wird gesetzlich vermutet, dass die Haftvoraussetzungen weggefallen sind oder die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt ist (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 120 Rdnr. 8 m.w.N.). Der Urteilsformel zufolge ist der Beschwerdeführer zwar nicht freigesprochen, sondern wegen versuchter Strafvereitelung verurteilt worden, doch stellt die versuchte Strafvereitelung im Verhältnis zu dem angeklagten erpresserischen Menschenraub eine andere Tat i.S.v. § 264 StPO dar - darauf weist auch die Staatsanwaltschaft Paderborn zutreffend in ihrer Revisionsbegründungsschrift hin -, so dass hinsichtlich des erpresserischen Menschenraubes ein Freispruch hätte erfolgen müssen. Diese Unrichtigkeit der Urteilsformel kann vom Revisionsgericht berichtigt werden. Da mithin ein Freispruch des Beschwerdeführers hinsichtlich des erpresserischen Menschenraubes vorliegt, greift die gesetzliche Vermutung des § 120 Abs. 1 S. 2 StPO mit der Folge, dass der dringende Tatverdacht zunächst entfallen ist. Wenn gegen das freisprechende Urteil ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, kann die gesetzliche Vermutung des § 120 Abs. 1 S. 2 StPO aufgrund neuer Tatsachen und Beweise widerlegt werden, doch gilt dies nach herrschender Meinung nicht, wenn das freisprechende Urteil - wie hier - mit der Revision angefochten ist (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 10 m.w.N.). Die Gegenauffassung (KK-Boujong, StPO, 5. Aufl., § 120 Rdnr. 20; KMR-Wankel, StPO - 45. Lieferung - Februar 2007 -, § 120 Rdnr. 5), hält den Erlass eines neuen Haftbefehls für zulässig, wenn ein Fall einer offensichtlich begründeten Revision vorliegt. Es kann dahinstehen, welcher Auffassung zu folgen ist, da im vorliegenden Fall keine offensichtlich begründete Revision der Staatsanwaltschaft Paderborn gegeben ist. Die Staatsanwaltschaft Paderborn erhebt lediglich die Sachrüge und greift in erster Linie die Beweiswürdigung der Kammer an. Die Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt jedoch einer eingeschränkten Prüfung des Revisionsgerichts. Dieses darf die Beweiswürdigung nur auf rechtliche Fehler prüfen, sie aber nicht durch eine eigene ersetzen. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn sie in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, oder wenn der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit stellt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 337 Rdnr. 26 u. 27 m.w.N.). Unter Anlegung dieser Kriterien ist nicht ersichtlich, dass die Revision der Staatsanwaltschaft Paderborn offensichtlich zum Erfolg führen wird. Die Kammer hat die Indizien, die für eine Tatbeteiligung des Beschwerdeführers sprechen, jeweils einzeln und in der Gesamtschau gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Beschwerdeführer eine Tatbeteiligung nicht nachzuweisen ist. Neue Umstände, die sich nach Abschluss der Hauptverhandlung ergeben haben, können dabei nicht berücksichtigt werden.

Ende der Entscheidung

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