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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.08.2005
Aktenzeichen: 4 Ws 343/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 67 d
Bei der Entscheidung, ob nach zwölfjährigem Vollzug der Sicherungsverwahrung die Maßregel ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann (§ 67 d Abs. 2 StGB) ist kein strengerer Prognosemaßstab anzulegen als bei der nach Ablauf von zehn Jahren gem. § 67 d Abs. 3 SGB zu treffenden Entscheidung.
Beschluss

Maßregelvollstreckungssache

gegen W.U.

wegen sexueller Nötigung u.a.,

(hier: Anordnung der Fortdauer der Sicherungsverwahrung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 17. Juni 2005 gegen den Beschluss der 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 31. Mai 2005 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 08. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die 15. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

Durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. April 1983 wurde der Beschwerdeführer wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt; zugleich wurde die Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe und teilweiser Vollstreckung der Sicherungsverwahrung wurde der weitere Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 20. Februar 1994 zur Bewährung ausgesetzt und die bedingte Entlassung des Verurteilten angeordnet. Nachdem der Beschwerdeführer vom Landgericht Wuppertal am 9. Dezember 1996 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt worden war, wurde die Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung von der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg mit Beschluss vom 22. April 1997 widerrufen. Durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 26. September 2002 wurde die Fortdauer der Sicherungsverwahrung nach zehnjähriger Vollstreckung gemäß § 67 d Abs. 3 StGB angeordnet.

Die Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 23. September 2004 erneut die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hin hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 18. November 2004 diesen Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen, da die Kammer vor der Entscheidung das gesetzlich vorgesehene Sachverständigengutachten nicht eingeholt hatte. Daraufhin hat die Strafvollstreckungskammer ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt, "ob zu erwarten ist, dass der Verurteilte außerhalb des Maßregelvollzuges keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird." Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird, wenn er in eine halt- und strukturgebende, langzeitig therapeutisch kontrollierende und betreuende Einrichtung verlegt würde, die den Lebensbedingungen des offenen Vollzuges nahe kommt. Die Strafvollstreckungskammer hat die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und die Erledigung der Maßregel abgelehnt. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Untergebrachten.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet.

Das zulässige Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.

Die Entscheidung der Kammer beruht auf einem schwerwiegenden Verfahrensfehler. Das von der Kammer eingeholte Gutachten sollte sich zu der Frage äußern, ob zu erwarten ist, dass der Verurteilte außerhalb des Maßregelvollzuges keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen wird, legte mithin den Maßstab des § 67 d Abs. 2 StGB der Fragestellung und später auch der Entscheidung zugrunde. Für die Anlegung dieses Maßstabs spricht zwar der Wortlaut des § 463 Abs. 3 S. 3 StPO, wonach zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB sowie der nachfolgenden Entscheidungen nach § 67 d Abs. 2 StGB ein Sachverständigengutachten einzuholen ist. Daraus könnte der Schluss zu ziehen sein, dass sämtliche Entscheidungen, die der Beschlussfassung nach § 67 d Abs. 3 StGB nachfolgen, nach einem anderen Maßstab zu treffen sind als diejenige Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB. Eine solche Auslegung widerspricht jedoch Sinn und Zweck von § 67 d Abs. 2 und 3 StGB und lässt den Schutz der Grundrechte des Beschwerdeführers außer Acht. Nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 67 d Abs. 3 S. 1 StGB ist die Maßregel zwingend für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr weiterer Straftaten der in Satz 1 genannten Art besteht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 67 d Rdnr. 3 b). Das Gesetz lässt mithin den Ausschluss der negativen Prognose für die Erledigung genügen (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 463 Rdnr. 9 a; Schöch, NJW 1998, 1257, 1259). Hingegen wird in § 67 d Abs. 2 S. 1 StGB die Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung bei günstiger Täterprognose vorausgesetzt (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 67 d Rdnr. 6). Demnach wäre bei der Entscheidung, ob nach Vollzug von 12 Jahren der Sicherungsverwahrung die Maßregel für erledigt erklärt werden kann, ein strengerer Maßstab anzulegen als bei der Entscheidung, ob der Verurteilte nach 10 Jahren Vollzug der Sicherungsverwahrung entlassen werden kann. Ein solches Verständnis des § 67 d Abs. 2 u. 3 StGB widerspräche indessen den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen zur Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung (BVerfG, Urteil vom 05.02.2004, 2 BvR 2029/01 = NJW 2004, 739, 741 f). Danach stellt die gesetzliche Neuregelung der Sicherungsverwahrung eine verfassungskonforme Grundrechtseinschränkung (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) dar, jedoch nur, soweit der Gesetzgeber die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren als ultima ratio geregelt hat. Das Gesetz geht nämlich davon aus, dass sich die Gefährlichkeit des Untergebrachten nach Ablauf von 10 Jahren regelmäßig erledigt hat. Damit verbietet sich die schlichte Fortschreibung unwiderlegter Gefährlichkeitshypothesen. Es müssen vielmehr konkrete und gegenwärtige Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, dass die Gefährlichkeit entgegen der gesetzlichen Vermutung fortbesteht. Falls das Gericht an der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten zweifelt, so ist zugunsten des Untergebrachten die Sicherungsverwahrung für erledigt zu erklären. Im Lichte dieser von der Verfassung gebotenen Auslegung der §§ 67 d Abs. 2 u. 3 StGB kann daher hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose bei der Entscheidung nach § 67 d Abs. 2 StGB nach dem 10 Jahrestermin kein anderer Maßstab angelegt werden als bei der Entscheidung nach § 67 d Abs. 3 StGB (so im Ergebnis auch: Schöch NJW 1989, 1257,1259; Meyer-Goßner, a.a.O., Rdnr. 9 a).

Zur Vorbereitung der Entscheidung nach § 67 d Abs. 2 StGB ist mithin ein weiteres (ergänzendes) Sachverständigengutachten einzuholen und den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör zu gewähren. Da ein schwerwiegender Verfahrensfehler vorliegt, den Beteiligten erneut rechtliches Gehör zu gewähren ist und eine mündliche Anhörung in der Beschwerdeinstanz grundsätzlich nicht stattfindet, hat der Senat keine Entscheidung in der Sache getroffen, sondern verweist die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld zurück.

Ende der Entscheidung

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