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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.08.2005
Aktenzeichen: 4 Ws 356/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f
Zum unzulässigen Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer in einer bewährungsfreien Zeit begangenen Straftat.
Beschluss

Strafvollstreckungssache gegen M. J., zur Zeit in anderer Sache in der Justizvollzugsanstalt Werl,

wegen Diebstahls,

hier: Widerruf der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung.

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 22. Juni 2005 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 16. Juni 2005 hat der 4 . Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. August 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 19. November 1999 wird, soweit sie noch nicht verbüßt ist, erlassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I. Das Amtsgericht Dortmund verurteilte den Beschwerdeführer am 19. November 1999 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr - 96 Ds 27 Js 250/99 (242/99) - . Nach Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG setzte das Amtsgericht die Reststrafe mit Beschluss vom 10. Oktober 2000 - rechtskräftig seit dem 26. Oktober 2000 - für die Dauer von zwei Jahren, also bis zum 25. Oktober 2002 zur Bewährung aus.

Wegen innerhalb der Bewährungszeit begangener und rechtskräftig abgeurteilter neuer Straftaten verlängerte das Amtsgericht Dortmund durch Beschluss vom 14. Juli 2003 die Bewährungszeit in der Ausgangssache um ein Jahr, also bis zum 25. Oktober 2003.

Bereits zuvor, nämlich am 08. Mai und 07. Juni 2003 beging der Beschwerdeführer weitere Straftaten (unerlaubte Einfuhr von Heroin in nicht geringer Menge und unerlaubter Besitz von Heroin), deretwegen ihn das Amtsgericht Dortmund am 26. November 2003 zu einer (Gesamt-) Freiheitsstrafe von 2 Jahren 9 Monaten verurteilte, die auf seine Berufung durch Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15. März 2004 - rechtskräftig seit dem 23. März 2004 - auf 2 Jahre 6 Monate ermäßigt wurde. Diese Freiheitsstrafe verbüßt der Beschwerdeführer seit dem 24. März 2005.

Durch Beschluss vom 16. Juni 2005 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg die Aussetzung der Reststrafe in der Ausgangssache wegen der neuerlichen, der Verurteilung vom 26. November 2003 bzw. 15. März 2004 zugrunde liegenden Straftaten widerrufen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.

II. Das gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

1. Die von der Strafvollstreckungskammer herangezogenen Straftaten vom 08. Mai und 07. Juni 2003 können den Widerruf der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß §§ 57 Abs. 3, 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht begründen.

Zwar durfte die ursprünglich bis zum 25. Oktober 2002 bemessene Bewährungszeit wegen der Bewährungsverstöße nachträglich um ein Jahr verlängert werden. Auch ist anerkannt, dass die nachträgliche Verlängerung auf das Ende der vorangegangenen Bewährungszeit zurückwirkt. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Anlasstaten für den späteren Bewährungswiderruf in der so genannten bewährungsfreien Zeit, nämlich nach dem Ende der ursprünglichen Bewährungszeit und vor dem Erlass des Verlängerungsbeschlusses begangen wurden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 10. Februar 1995, Az: 2 BvR 168/95, juris-web) darf sich der Verurteilte in diesem Zeitraum grundsätzlich bewährungsfrei fühlen, das heißt, er darf darauf vertrauen, die Bewährungszeit überstanden zu haben. Etwaige in dieser bewährungsfreien Zeit begangene neue Straftaten dürfen ihm daher nicht als Bewährungsverstoß angelastet werden.

Dieses im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG schutzwürdige Vertrauen entfällt nicht etwa schon aufgrund des Bewusstseins begangener Bewährungsverstöße und der damit einhergehenden Erkennbarkeit ausstehender Bewährungssanktionen im Sinne von § 56 f StGB. Von daher ist es auch unbeachtlich, dass hier nach dem Ende der ursprünglichen Bewährungszeit wegen zweier Bewährungsverstöße noch ein Nachtragsverfahren zur Gesamtstrafenbildung anhängig war, das erst nach der ersten in Rede stehenden Anlasstat rechtskräftig abgeschlossen wurde. Denn die zu unterstellende Kenntnis des Beschwerdeführers von diesem Verfahren begründet keine Steigerung seiner bereits vorhandenen - und nach dem zuvor Gesagten den Vertrauensschutz nicht beseitigenden - Kenntnis der Bewährungsverstöße.

Allerdings kann der Vertrauensschutz nach der genannten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Ausnahmefällen aufgehoben sein. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn der Verurteilte vor Verübung neuer Straftaten vom Gericht auf die anhängige Prüfung von Bewährungssanktionen für die innerhalb der abgelaufenen Bewährungszeit begangenen Bewährungsverstöße hingewiesen worden ist. Eine entsprechende, den Straftaten vom 08. Mai und 07. Juni 2003 vorausgehende Mitteilung lässt sich den dem Senat vorliegenden Akten jedoch nicht entnehmen.

Auf die - von der Generalstaatsanwaltschaft zu Recht bejahte - Frage, ob der Zeitablauf zwischen dem Ende der verlängerten Bewährungszeit und dem Bewährungswiderruf mit dem auch insoweit zu beachtenden Gedanken des Vertrauensschutzes vereinbar ist, kam es danach nicht mehr an.

Der angefochtene Beschluss war somit aufzuheben.

2. Da darüber hinaus keinerlei Gründe ersichtlich sind, die noch zu einem Widerruf führen könnten, hatte der Senat auch den Erlass des Strafrestes auszusprechen (§ 56 g Abs. 1 StGB, § 309 Abs. 2 StPO).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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