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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 4 Ws 544/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß dem Angeklagten über die bisher festgesetzten 1.035,30 Euro hinaus weitere 1.331,99 Euro aus der Staatskasse zu erstatten sind.

Im übrigen wird die sofortige Beschwerde verworfen.

Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird um 60% ermäßigt. 60% der dem früheren Angeklagten in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 2.280,16 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Dem früheren Angeklagten ist durch die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Münster vom 6. Juli 2005 zur Last gelegt worden, in der Zeit von April 2002 bis Januar 2003 in C und anderen Orten durch 53 selbständige Handlungen in 29 Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben und sie davon in 22 Fällen zugleich unerlaubt eingeführt zu haben sowie in 24 Fällen unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben und tateinheitlich davon in neun Fällen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt eingeführt zu haben. Im Fall 10 der Anklage ist dem früheren Angeklagten vorgeworfen worden, am 7. Oktober 2002 dem Zeugen C2 in der Diskothek "B" in E/Niederlande 10 Packs Kokain mit einem (Brutto-)Gesamtgewicht von ca. 8 gr. verkauft zu haben. Im Fall 13 der Anklage ist ihm zur Last gelegt worden, kurz nach dem 8. September 2002 dem Zeugen D in seiner Wohnung in E2 25 gr. Kokain verkauft zu haben. Als Gegenleistung soll er von dem Zeugen ein Telefon mit Faxgerät, zwei Mischpulte für Licht- und Musikanlagen, eine Musikanlage Bang und Olafson nebst sechs Boxen, eine Nebelmaschine und einen CD-Wechsler mit Computer und Bildschirm erhalten zu haben, die der Zeuge zuvor gestohlen haben soll. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anklageschrift vom 6. Juli 2005 (Bl. 425 bis 427 R d.A.) Bezug genommen.

Der frühere Angeklagte war zuvor aufgrund eines internationalen Haftbefehls, denen die Taten der Anklageschrift zugrundelagen, am 6. April 2005 in Doetinchen/Niederlande festgenommen und am 23. Juni 2005 in die Bundesrepublik Deutschland überstellt worden, wo er sich bis zum 13. Dezember 2005 in Untersuchungshaft befunden hat.

Am 3. August 2005 hatte ein mündlicher Haftprüfungstermin in Anwesenheit seines Verteidigers stattgefunden. Die Hauptverhandlung hat am 29. November sowie am 6. und 13. Dezember 2005 stattgefunden. In der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2005 ist gegen ihn eine Nachtragsanklage erhoben worden, in der ihm vorgeworfen worden ist, im April/Mai 2002 in E2/Niederlande durch vier selbständige Handlungen unerlaubt mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. Er soll in diesen vier Fällen dem Zeugen H jeweils 100 gr. Marihuana, die er jeweils zuvor für 250,00 Euro erworben hatte, für jeweils 300,00 Euro verkauft haben.

In der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2005 ist der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, im übrigen freigesprochen worden. Die Kostenentscheidung lautet:

"Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens soweit er verurteilt worden ist. Soweit er freigesprochen ist, fallen die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Landeskasse zur Last."

Die Verurteilung umfaßt die vier Fälle der Nachtragsanklage und die Fälle 10 und 13 der Anklageschrift vom 6. Juli 2005. Ausweislich der Urteilsgründe beruhen die Feststellungen im Umfang der Verurteilung allein auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten. Die Strafkammer hat für die vier Fälle der Nachtragsanklage Einzelfreiheitsstrafen von vier Monaten, für den Fall 10 der Anklage vom 6. Juli 2005 eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten und für den Fall 13 dieser Anklage eine solche von drei Monaten festgesetzt. Im letzten Fall hat die Strafkammer abweichend von der Anklage festgestellt, der Angeklagte habe nicht 25 gr. Kokain, sondern 5 Gramm Marihuana unbekannt gebliebener Qualität an D veräußert, allerdings bei gleicher Gegenleistung.

Der Verteidiger hat "mindestens 90%" der im Einzelnen aufgelisteten Gesamtgebühren und Auslagen in Höhe von 3.683,84 Euro gegen die Staatskasse geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 726 bis 731 d.A. Bezug genommen. Die Rechtspflegerin der Strafkammer des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt hat nach Anhörung des Bezirksrevisors die aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 1.035,30 Euro festgesetzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Leseabschrift des Beschlusses vom 22. August 2006 (Bl. 764 bis 767 R d.A.) verwiesen.

Mit seiner rechtzeitig eingelegten und auch sonst zulässigen sofortigen Beschwerde begehrt der frühere Angeklagte weiterhin die Festsetzung von insgesamt mindestens 90 % der angemeldeten Gesamtkosten, mithin insgesamt mindestens 3.315,46 Euro, somit über die bisher festgesetzten 1.035,30 Euro hinaus die Festsetzung weiterer 2.280,16 Euro.

II.

Das zulässige Rechtsmittel, über das der Einzelrichter zu entscheiden hat (vgl. OLG Düsseldorf, JMBl 2003, 58), ist teilweise begründet.

Aufgrund der Kosten- und Auslagenentscheidung des Landgerichts hat die Staatskasse im Umfang des Freispruchs die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu tragen. Es handelt sich dabei um die auf die "Freispruchstaten" entfallenden Mehrkosten, die nach der sogenannten Differenztheorie zu ermitteln sind (vgl. OLG Karlsruhe, JurBüro 1998, 543 f., Senat, Beschluß vom 22. April 1999 - 4 Ws 27/99 - jeweils m.w.N.). Es ist somit zu ermitteln, welche Kosten und notwendigen Auslagen dem Angeklagten in dem Verfahren entstanden sind. Davon in Abzug zu bringen sind die Kosten, die ihm entstanden wären, wenn von vornherein nur die Vorwürfe erhoben worden wären, für die er im späteren Urteil verurteilt worden ist. Die Differenz dieser beiden Summen ist dem Angeklagten zu erstatten.

Mit der Rechtspflegerin des Landgerichts Münster ist der Senat der Auffassung, daß die mit Schriftsatz des Verteidigers geltend gemachten notwendigen Auslagen dem Grunde und der Höhe nach entstanden sind mit Ausnahme der geltend gemachten Fotokopierkosten in Höhe von 329,95 Euro. Angesichts des Umstandes, daß der Anfall der in Ansatz gebrachten 2.050 Fotokopien nicht glaubhaft gemacht worden ist, Akteneinsicht am 15. Juni 2005 erfolgt ist bei einem Aktenumfang von 375 Blatt und exakt 100 Kopien zur Unterrichtung des Angeklagten geltend gemacht worden sind, hält der Senat die von der Rechtspflegerin festgesetzten Fotokopierkosten von 85,00 Euro für 450 Kopien für angemessen. Damit ergibt sich eine Nettovergütung für den Verteidiger von 2.930,77 Euro, eine Bruttovergütung von 3.399,69 Euro.

Hinsichtlich der Kosten für das fiktive Honorar, wenn nur die der Verurteilung zugrundeliegenden Taten Gegenstand des Verfahrens gewesen wären, sieht der Senat die Rechtslage deutlich anders als der angefochtene Beschluß. Einschließlich

der Taten, die Gegenstand der Nachtragsanklage gewesen sind, hätte es sich um eine Sache gehandelt, die eindeutig vor dem Strafrichter hätte verhandelt werden müssen. Der Angeklagte war nicht vorbestraft, die Taten hatten kein besonderes Gewicht, was deutlich in den festgesetzten Einzelstrafen zum Ausdruck gekommen ist. Im Gegensatz zur Rechtspflegerin des Landgerichts ist der Senat auch nicht der Ansicht, daß der Umstand der langen Untersuchungshaft hier in besonderem Maße strafmildernd berücksichtigt worden ist. Der Senat weiß aus anderen Verfahren des Amtsgerichts Bocholt, daß selbst in schwerer wiegenden Verfahren durchaus sogar noch Geldstrafen ausgewiesen werden. Dabei darf der Senat nicht berücksichtigen, daß das zugrundeliegende und rechtskräftige Urteil zum Fall 13 der ursprünglichen Anklage widersprüchlich und im Grunde nicht haltbar ist, da völlig auszuschließen ist, daß der Angeklagte für nur fünf Gramm Marihuana (statt 25 gr. Kokain wie in der Anklage vorgeworfen) als Gegenleistung Gegenstände im Wert von weit über tausend Euro erhalten hat. Der Senat ist jedoch insoweit an die Feststellungen des Urteils gebunden. In jedem Fall reichte die Strafgewalt des Strafrichters (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren) zur Verhandlung über diese Tatvorwürfe aus.

Im Gegensatz zur Rechtspflegerin des Landgerichts vermag der Senat auch nicht zu erkennen, daß der Angeklagte überhaupt in Haft gekommen wäre, denn die Anordnung von Untersuchungshaft wäre kaum verhältnismäßig, der Haftgrund der Fluchtgefahr in diesem Fall nicht zu begründen gewesen. Auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr hätte angesichts des geringen Gewichts der Taten kaum bejaht werden können. Zudem ist zu beachten, daß alle vorgeworfenen Taten durch einen Ausländer in den Niederlanden begangen worden sind. Die Beantragung eines internationalen Haftbefehls durch deutsche Strafverfolgungsbehörden wäre mit Sicherheit nicht erfolgt. Gleichwohl ist der Senat der Auffassung, daß zur Vorbereitung der Hauptverhandlung ein Besprechungstermin vor der Hauptverhandlung in Anwesenheit eines Dolmetschers mit dem Verteidiger erforderlich gewesen wäre, deren Zeitaufwand einschließlich Fahrtzeiten der Senat für den Dolmetscher mit zwei Stunden schätzt.

Hinsichtlich der Hauptverhandlung geht der Senat von der Erforderlichkeit nur eines Hauptverhandlungstages aus. Der Angeklagte war von vornherein geständig, die vier Taten der Nachtragsanklage begangen zu haben. So sind sie überhaupt Gegenstand des Verfahrens geworden. Auch die beiden weiteren Taten hat er ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung gestanden.

Die fiktiven Kosten berechnen sich daher wie folgt:

 Vorverfahren 
Grundgebühr - Mittelgebühr - Nr. 4100 VV-RVG 165,00 Euro
Verfahrensgebühr - Mittelgebühr - Nr. 4104 VV-RVG 140,00 Euro
Hauptverfahren 
Verfahrensgebühr - Mittelgebühr - Nr. 4106 VV-RVG 140,00 Euro
1 Terminsgebühr - Mittelgebühr - Nr. 4108 VV-RVG 230,00 Euro
Post- und Telekommunikationsgebühr - Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG 20,00 Euro
Dokumentenpauschale für Ablichtungen - Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG 85,00 Euro
Dolmetscherkosten (2 Stunden x 55,00 Euro) 110,00 Euro
gesamt 890,00 Euro
zzgl. 16% MwSt. 142,40 Euro
 1032,40 Euro.
Tatsächlich angefallene Kosten 3.399,69 Euro
abzüglich fiktiver Kosten 1.032,40 Euro
Differenz 2.367,29 Euro.

Somit sind über die bisher festgesetzten 1.035,30 Euro hinaus weitere 1.331,99 Euro festzusetzen.

III.

Nach einem Beschwerdewert von 2.280,16 Euro hat das Rechtsmittel zu 60% Erfolg. Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren ist daher um 60% zu ermäßigen. 60% seiner außergerichtlichen Auslagen hat die Staatskasse ihm zu erstatten, § 467 StPO.

Ende der Entscheidung

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