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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.12.2006
Aktenzeichen: 4 Ws 572/06
Rechtsgebiete: StPO, RB-EUHb, IRG


Vorschriften:

StPO § 458 Abs. 1
RB-EUHb Art. 27 Abs. 2
RB-EUHb Art. 27 Abs. 3
IRG § 78
IRG § 79
IRG § 80
IRG § 81
IRG § 82
IRG § 83 a
IRG § 83 b
IRG § 83 c
IRG § 83 d
IRG § 83 e
IRG § 83 f
IRG § 83 g
IRG § 83 h
IRG § 83 i
Die Verzichtserklärung nach Art. 27 Abs. 3 f Satz 2 und 3 RB-EUHb ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben hat, wobei sie vor den zuständigen Justizbehörden des den Europäischen Haftbefehl ausstellenden Mitgliedsstaates abzugeben und nach seinem innerstaatlichen Recht zu Protokoll zu nehmen ist.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

gegen M. A.,

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

hier: Zulässigkeit der Strafvollstreckung

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 23. November 2006 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 20. November 2006 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben.

Die Strafvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 30. August 1996 nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Hagen vom 28. Januar 1997 wird für derzeit unzulässig erklärt.

Gründe:

In ihrer Stellungnahme vom 12. Dezember 2006 führt der Generalstaatsanwaltschaft zum Rechtsmittel des Verurteilten aus:

"I. Mit seiner am 27.11.2006 bei dem Landgericht Arnsberg eingegangenen sofortigen Beschwerde vom 23.11.2006 wendet sich der Verurteilte gegen den ihm am selben Tage zugestellten Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 20.11.2006, durch den seine Einwendungen vom 30.10.2006 gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung zurückgewiesen worden sind.

Dem Verfahren liegt zu Grunde, dass der Verurteilte - nachdem er am 25.10.1997 aus dem Strafvollzug entwichen war und sich nach Spanien abgesetzt hatte - am 02.02.2006 auf Grund des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Dortmund in dem Verfahren 11 VRs 489/92 (11 Js 1916/90) am 02.02.2006 aus Spanien nach Deutschland zum Zwecke der Strafvollstreckung ausgeliefert worden ist. Die Strafvollstreckungskammer ist mit der Staatsanwaltschaft Hagen der Auffassung, die durch das Amtsgericht Werl - 8 AR 30/06 - am 04.04.2006 protokollierte Erklärung des Verurteilten stelle eine wirksame Zustimmung zur Strafvollstreckung auch auf Grundlage des Urteils des Amtsgerichts Hagen dar.

II. Die gem. § 458 Abs. 1, 462 Abs. 1 und 3 StPO in Verbindung mit § 462 a Abs. 1 StPO statthafte und gem. § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig. Ihr ist ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht zu versagen.

Umfang und Tragweite der Zulässigkeit der Strafvollstreckung nach einer Auslieferung aus Spanien bestimmen sich nach Maßgabe der Art. 27 und 31 des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (RB-EUHb). Danach (Art. 27 Abs. 2 RB-EUHb) dürfen übergebene Personen wegen vor der Übergabe begangener anderer Handlungen als derjenigen, die der Übergabe zu Grunde lagen, weder verfolgt noch verurteilt noch freiheitsentziehenden Maßnahmen unterworfen werden, wenn nicht einer der in Art. 27 Abs. 1 und 3 RB-EUHb enumerativ aufgeführten Ausnahmetatbestände greift. Insoweit ergibt sich aus den durch die spanischen Behörden übergebenen Auslieferungsunterlagen, dass der Verurteilte ausschließlich für die vorbezeichnete Strafvollstreckungssache der Staatsanwaltschaft Dortmund übergeben worden ist. Vorliegend kommt als Ausnahmetatbestand der nach der Auslieferung ausdrücklich erklärte Verzicht des Verurteilten auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität im Hinblick auf die vorliegende Strafvollstreckungssache der Staatsanwaltschaft Hagen gem. Art. 27 Abs. 3 f RB-EUHb in Betracht.

In diesem Zusammenhang kann der in Bezug auf die durch das Amtsgericht Werl protokollierte Äußerung des Verurteilten, er sei "gleichwohl damit einverstanden, dass die Strafe für die Staatsanwaltschaft Hagen vollstreckt wird", vorgebrachte Einwand des Verurteilten, er sei - obgleich seit 1970 in Deutschland aufhältig gewesen und seit dem 16.12.1988 deutscher Staatsangehöriger - der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig und insoweit falsch verstanden worden, dahinstehen, denn die Verzichtserklärung genügt bereits den Formerfordernissen nicht.

Gemäß Art. 27 Abs. 3 f Satz 2 und 3 RB-EUHb ist die Verzichtserklärung so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben hat, wobei sie vor den zuständigen Justizbehörden des den Europäischen Haftbefehl ausstellenden Mitgliedsstaates abzugeben und nach seinem innerstaatlichen Recht zu Protokoll zu nehmen ist. Zwar fehlt eine ausdrückliche Bestimmung, welche Förmlichkeiten und Verfahrensweisen insoweit bei der Auslieferung eines Verfolgten aus dem Ausland nach Deutschland zu beachten sind, da sich die die Vorgaben des RB-EUHb umsetzenden Bestimmungen der § 78 - 83 i IRG dem Wortlaut nach ausschließlich auf den umgekehrten Fall, nämlich die Auslieferung aus Deutschland in das Ausland, beziehen. Allerdings kann auf Grundlage der vertraglich zugesicherten Gegenseitigkeit und des sich darin manifestierenden wechselseitigen Vertrauens in die Funktionsfähigkeit des Rechtssystems des jeweils anderen Mitgliedsstaates für die Auslieferung nach Deutschland kein geringerer Maßstab gelten, als im umgekehrten Falle. Demzufolge ergeben sich die zu beachtenden Verfahrensförmlichkeiten aus der analogen Anwendung des § 83 h Abs. 3 IRG, der allerdings bestimmt, dass der Verfolgte auch über die Unwiderruflichkeit der Verzichtserklärung zu belehren ist.

Dem steht nicht entgegen, dass § 83 h IRG auf Grund des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EuHbG) vom 20.07.2006 erst am 02.08.2006 in Kraft getreten ist, denn insoweit besteht Wortgleichheit mit dem durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2005 für nichtig erklärten EuHbG vom 21.07.2004. Da es sich um eine den Verfolgten - zumindest in Form eines Reflexes - schützende Vorschrift handelt, bestehen Bedenken gegen ihre trotz festgestellter Nichtigkeit analoge Anwendung als Mindeststandard nicht. Im Übrigen sind an den Umfang der richterlichen Belehrung angesichts der möglichen Tragweite eines Verzichts auf den Grundsatz der Spezialität strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1999, 252, 253). Deshalb war das Amtsgericht gehalten, den Verurteilten auch über sein in Art. 27 Abs. 3 f Satz 4 RB-EUHb verbrieftes und durch analoge Anwendung von § 40 IRG umgesetztes Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens eines Beistandes zu bedienen, zu belehren. An beiden Hinweisen fehlt es vorliegend indes. Das hat die Unwirksamkeit der vor dem Amtsgericht Werl abgegebenen Verzichtserklärung des Verurteilten zur Folge, weshalb festzustellen ist, dass die Strafvollstreckung - derzeit - unzulässig ist.

Es bleibt der Staatsanwaltschaft Hagen indes unbenommen, entweder eine ordnungsgemäße Verzichtserklärung des Verurteilten oder eine nachträgliche Auslieferungsbewilligung durch die spanischen Behörden auch für die vorliegende Strafvollstreckungssache herbeizuführen.

Entgegen der Auffassung des Verurteilten ist Vollstreckungsverjährung noch nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist, die mit der Rechtskraft der Entscheidung am 28.01.1997 zu laufen begann (§ 79 Abs. 6 StGB), beträgt gem. § 79 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre, weil gegen den Verurteilten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verhängt worden ist. Allerdings ruhte die Verjährung gem. § 79 a Nr. 3 StGB zwischen dem 28.01.1997 und dem 25.10.1997, weil sich der Verurteilte in diesem Zeitraum auf behördliche Anordnung in Strafhaft befand. Seit dem 05.01.2006 ruht sie erneut, weil der Verurteilte an diesem Tage auf Grund des Europäischen Haftbefehls der Staatsanwaltschaft Dortmund in Spanien in Haft genommen worden ist, die seitdem andauert."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

Eines Kostenausspruches bedarf es in diesem Fall nicht, da in der Sache keine verfahrensabschließende Entscheidung getroffen worden ist.

Ende der Entscheidung

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