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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.03.2004
Aktenzeichen: 4 Ws 695/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 303 |
Beschluss
Strafsache
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz,
(hier: Sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Verwerfung seiner Berufung).
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 06. November 2003 gegen den Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 27. Oktober 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen.
Tenor:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Gründe:
Das Amtsgericht Brilon hat den Angeklagten am 22. September 2003 wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in elf Fällen und wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in einem Fall zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt. Unter der Urteilsformel findet sich weiter folgende Sätze:
"Der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzicht.
Der Angeklagte bat darum, die Strafe in monatlichen Raten von je 140,00 € zahlen zu dürfen."
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. September 2003, eingegangen beim Amtsgericht Brilon per Telefax am selben Tag, hat der Angeklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.
Mit Beschluss vom 27. Oktober 2003 hat das Landgericht Arnsberg die Berufung des Angeklagten wegen dessen erklärten Rechtsmittelverzichts als unzulässig verworfen. Gegen diesen am 31. Oktober 2003 zugestellten Beschluss wendet sich der Angeklagte mit seiner Beschwerde vom 06. November 2003, eingegangen per Telefax beim Landgericht Arnsberg am selben Tage.
Die gem. § 322 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist rechtzeitig eingelegt. Sie hat in der Sache Erfolg.
Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten zu Unrecht als unzulässig verworfen. Ein wirksamer Rechtsmittelverzicht lässt sich nicht feststellen. Ein solcher ergibt sich - entgegen der Annahme des Landgerichts und der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft - nicht aus dem im Anschluss an die Urteilsformel im Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen Vermerk.
Ein Rechtsmittelverzicht ist, wie die Rechtsprechung stets trotz Fehlens einer ausdrücklichen Bestimmung dieser Art gefordert hat (vgl. RGSt 32, 277, 279; 74, 164, 167; BGHSt 18, 257, 260; 31, 109, 111; NJW 84, 1974), grundsätzlich an die gleiche Form wie der Einlegung des Rechtsmittels gebunden. Er muss also schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten erklärt werden. Ein wesentlicher Zweck dieses Formzwanges ist es, den Berechtigten zu einer gründlichen Prüfung des Für und Wider seines Schrittes zu veranlassen und vor unüberlegten vorschnellen Entschlüssen zu bewahren. Ferner ist anerkannt, dass dieser Verzicht in der Hauptverhandlung unmittelbar nach der Urteilsverkündung erklärt und im Protokoll beurkundet werden kann (vgl. BGH 18, 257; NStZ 1986, 277; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 303 Rn. 19). Dass jedoch ein solcher Verzicht wirksam in der Hauptverhandlung erklärt worden ist, lässt sich nicht feststellen. Der im Protokoll im Anschluss an der Urteilsverkündung enthaltene Vermerk bindet nicht mit der Beweiskraft, die dem Sitzungsprotokoll der Hauptverhandlung nach § 254 StPO zukommt. Denn der Rechtsmittelverzicht, auch wenn er unmittelbar im Anschluss an die Verkündung des Urteils erklärt und in der Sitzungsniederschrift mitbeurkundet wird, ist keine für die Hauptverhandlung vorgeschriebene Förmlichkeit im Sinne jener Vorschrift, sondern steht nur im äußeren Zusammenhang mit den Vorgängen der Hauptverhandlung und ihrer Beurkundung in der Sitzungsniederschrift.
Allerdings hätte der Amtsrichter die Erklärung des Angeklagten, dass er auf Rechtsmittel verzichten wolle, als einen Vorgang im Sinne des § 273 Abs. 3 StPO ansehen und nach dieser Vorschrift verfahren können (vgl. BGHSt 18 a. a. O.). Im Protokoll hätte in diesem Fall allerdings vermerkt werden müssen, dass die beurkundete Erklärung verlesen und vom Erklärenden, also dem Angeklagten genehmigt worden sei. Der Senat hätte auch keine Bedenken dagegen, dass der Angeklagte, wenn so verfahren worden wäre, an seiner im Protokoll beurkundeten, verlesenen und von ihm genehmigten Erklärung festgehalten werden müsste. Tatsächlich ist der Amtsrichter jedoch nicht in dieser Weise verfahren. Er und der Urkundsbeamte behandelten die Erklärung des Angeklagten zwar als einen zu beurkundenden Vorgang, waren aber der Meinung, sie brauche nicht im Wortlaut festgehalten zu werden, es genüge vielmehr, ihren Inhalt - zusammengefasst mit gleichgerichteter Erklärung der Staatsanwaltschaft - im Protokoll zu beurkunden, ohne dass die beurkundete Erklärung verlesen und vom Erklärenden genehmigt wurde. In einem solchen Fall genießt der Vermerk jedoch nicht die weitgehende Beweiskraft gem. § 274 StPO. Er ist nur ein Anzeichen, das den Rechtsmittelverzicht des Angeklagten beweisen kann, aber nicht notwendig zu beweisen braucht. Es kommt dann auf die nähren Umstände der Erklärung an. Wenn man für einen unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärten Rechtsmittelverzicht die selbe - im Verhältnis zur Schriftform und Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle erleichterte - Form genügen lassen will wie für verfahrensgestaltende Erklärungen Beteiligter in der Verhandlung, nämlich die mündliche Erklärung und ihre Beurkundung im Protokoll, ohne dass der Vermerk verlesen, genehmigt und unterschrieben werden müsste, so muss hierbei doch ebenso wie bei der Schriftform oder der Erklärung zu Protokoll des Urkundsbeamten, zu der regelmäßig gehört, dass die Erklärung verlesen, genehmigt und vom Erklärenden unterschrieben wird, gesichert sein, dass der Angeklagte, der ein Rechtsmittelverzicht erwägt, die für und gegen eine solche Entscheidung sprechenden Gründe reichlich überlegen kann und nicht an unüberlegten Vorstellungen und Erklärungen festgehalten wird.
Um solche Überlegungen anstellen zu können, muss er zumindest zuvor über die Möglichkeiten eines Rechtsmittels und seiner Form aufgeklärt worden sein. Ferner bedarf es des Hinweises, dass seine eventuelle Verzichtserklärung als endgültig ins Protokoll aufgenommen wird. - In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Angeklagte in der Regel nicht veranlasst werden soll, im unmittelbaren Anschluss an die Urteilsverkündung zu erklären, ob er auf Rechtsmittel verzichte, § 142 Abs. 2 Satz 1 RiStBV. - Dass der Angeklagte auf die Bedeutung seiner Erklärung hingewiesen geworden ist und ihm die Möglichkeit der Abwägung der für und gegen einen solchen Entschluss sprechenden Gründe eingeräumt wurde, lässt sich nicht feststellen. Es steht schon nicht fest, ob dem Angeklagten überhaupt eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist, welche unverzichtbare Voraussetzung für eine solche Abwägung gewesen wäre. Das Protokoll schweigt hierzu. Auch die im Freibeweisverfahren eingeholten dienstlichen Äußerungen des Richters und der Protokollführerin waren unergiebig. Sie konnten sich weder an die Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung noch an die Umstände des Zustandekommens des Rechtsmittelverzichtes erinnern.
Aus diesen Gründen war die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Das Landgericht wird nunmehr das Berufungsverfahren durchzuführen haben. Bei der dort zu treffenden Entscheidung wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit zu entscheiden sein.
Ende der Entscheidung
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