Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.04.2002
Aktenzeichen: 5 Ss 235/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
Ein Rechtsmittelverzicht, den das Gericht dem Angeklagten unter Umgehung des Verteidigers abverlangt, ist unwirksam. Entsprechendes gilt für die Rechtsmittelverzichtserklärung eines Angeklagten, der in der Hauptverhandlung des Beistandes eines Verteidigers entbehren musste, sofern ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO vorlag und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers unterblieben ist
Beschluss Strafsache gegen G.P., wegen Diebstahls

Auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendschöffengerichts Dortmund vom 21. Dezember 2001 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 04. 2002 durch die Richter am Oberlandesgericht sowie den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Dortmund zurückzuverweisen.

Gründe:

I.

Das Jugendschöffengericht Dortmund hat den - im Hauptverhandlungstermin nicht durch einen Verteidiger vertretenen - Angeklagten mit Urteil vom 21. Dezember 2001 wegen gewerbsmäßigen Bandendiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt.

Im Anschluss an die Urteilsverkündung hat der Angeklagte, ebenso wie die Mitangeklagten Jugendlichen A. und K., die beide durch einen Verteidiger vertreten und zu einem vierwöchigen Dauerarrest verurteilt worden waren, Rechtsmittelverzicht erklärt.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 27. Dezember 2001 hat der Angeklagte zunächst "Rechtsmittel" eingelegt, welches später - innerhalb der Revisionsbegründungsfrist - als Sprungrevision bezeichnet worden ist.

Gerügt wird die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Sprungrevision ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Sie hat mit der - in ordnungsgemäßer Weise erhobenen - formellen Rüge der Geltendmachung eines absoluten Revisionsgrundes nach den §§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

1. Der von dem Angeklagten im Anschluss an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht ist unwirksam und steht somit der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen.

Der Angeklagte hat den Rechtsmittelverzicht ohne Beistand eines Verteidigers erklärt, nachdem er auch in der vorangegangenen Hauptverhandlung nicht durch einen Verteidiger vertreten war. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss einem sich verteidigenden Angeklagten aber in der Regel Gelegenheit geboten werden, sich vor Abgabe eines Rechtsmittelverzichts mit einem anwesenden Verteidiger zu beraten (BGHSt 19, 257, 260; 19, 101, 104). Ein Rechtsmittelverzicht, den das Gericht dem Angeklagten unter Umgehung des Verteidigers abverlangt, ist unwirksam (OLG Düsseldorf StV 1993, 237 m.w.N.). Entsprechendes gilt für die Rechtsmittelverzichtserklärung eines Angeklagten, der - wie hier - in der Hauptverhandlung des Beistandes eines Verteidigers entbehren musste, sofern ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO vorlag und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers unterblieben ist (OLG Düsseldorf aaO; OLG Frankfurt StV 1991, 296; OLG Stuttgart MDR 1985, 344; OLG Bremen StV 1984, 17; OLG Hamm MDR 1977, 559 f; OLG Schleswig NJW 1965, 312 f).

Vorliegend war die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO geboten; sie ist jedoch trotz eines entsprechenden Antrages des Angeklagten unterblieben. Die Mitwirkung eines Verteidigers des Angeklagten war wegen der Schwere der verhandelten Tat notwendig, die sich nach der übereinstimmenden obergerichtlichen Rechtsprechung in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung beurteilt (zu vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 140 Rdnr. 23 m. w. N.). Dabei macht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung in der Regel ohne Weiteres die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich (zu vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. 0., OLG Hamm, Beschluss vom 19.01.2001 - 2 Ss 1243/00 -). Die Anklage ist vorliegend vor dem Jugendschöffengericht erhoben worden. Bei Zulassung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Jugendschöffengericht war somit von einer Straferwartung auszugehen, die über einem Jahr Jugend- bzw. Freiheitsstrafe lag, §§ 39 Abs. 2; 40 Abs. 1 JGG. Schon auf Grund dieses Umstandes war die Notwendigkeit der Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO gegeben. Die ohne Beistand eines Verteidigers abgegebene Rechtsmittelverzichtserklärung des Angeklagten ist deswegen unwirksam.

2. Aufgrund der in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge des Verstoßes gegen § 140 Abs. 2 StPO hat die Sprungrevision Erfolg, weil der Angeklagte trotz eines Falles der notwendigen Verteidigung nicht durch einen Verteidiger vertreten war. Da demnach das Rechtsmittel schon mit dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO Erfolg hat, kommt es auf die darüber hinaus erhobenen Verfahrensrügen sowie auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge nicht mehr an.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Dortmund, welches auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück