Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.06.2008
Aktenzeichen: 5 Ss OWi 319/08
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 274
OWiG § 77
Die Beweiskraft des Protokolls entfällt nur dann, wenn das Protokoll selbst erkennbare Fehler wie offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche aufweist oder sich aus dem Protokoll Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen ergeben.

Zur Ablehnung eines Beweisantrages nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen A.F.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 11. Februar 2008 hat der 5. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 06. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 1 OWiG auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird als offensichtlich unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

Zusatz:

Die von dem Betroffenen in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe ihm entgegen § 46 Abs. 1 OWiG, § 258 Abs. 2 StPO nicht das letzte Wort gewährt, ist unbegründet. Die Gewährung des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 StPO gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten einer Hauptverhandlung i. S. d. § 273 Abs. 1 StPO. Die Beobachtung dieser Förmlichkeit kann nur durch das Protokoll bewiesen werden (§ 274 S. 1 StPO). Aus dem von der Vorsitzenden unter zulässigem Verzicht auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 71 Abs. 1 OWiG, § 226 Abs. 2 S. 1 StPO) gefertigten und unterzeichneten Protokolls der Hauptverhandlung vom 11. Februar 2008 geht hervor, dass dem Betroffenen vor der Verkündung des Urteils das letzte Wort gewährt worden war. Der entsprechende Vermerk im Protokoll besitzt die formelle Beweiskraft des § 274 S. 1 StPO, der über § 71 Abs. 1 OWiG auch für die Hauptverhandlung in Ordnungswidrigkeitsverfahren gilt. Die Beweiskraft bedeutet, dass die im Protokoll beurkundete, wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung als geschehen gilt, selbst wenn diese nicht stattgefunden hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 274 Rdnr. 13). Nur bei einem Wegfall der Beweiskraft hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit, im Freibeweisverfahren den Nachweis zu führen, dass ein bestimmter Vorgang - entgegen dem Protokoll - geschehen oder nicht geschehen ist (Meyer-Goßner, § 274 Rdnr. 18). Die Beweiskraft des Protokolls entfällt jedoch nur dann, wenn das Protokoll selbst erkennbare Fehler wie offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche aufweist oder sich aus dem Protokoll Meinungsverschiedenheiten zwischen den Urkundspersonen ergeben (Meyer-Goßner, § 274 Rdnr. 17). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Schließlich fällt die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 S. 2 StPO auch beim Nachweis der Fälschung weg. Eine Fälschung i. S. d. § 274 S. 2 StPO liegt vor, wenn entweder die Niederschrift als Ganzes von einem Unbefugten hergestellt oder eine an sich echte Niederschrift in unbefugter Weise inhaltlich verändert worden ist, ferner dann, wenn von dem bzw. den bei der Errichtung des Protokolls Beteiligten dem Protokoll, sei es durch eine Niederschrift oder durch eine Weglassung, bewusst ein unwahrer Inhalt gegeben worden ist (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1984, 108; Löwe/Rosenberg-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 274 Rdnr. 28; Meyer-Goßner, § 274 Rdnr. 19). Eine Fälschung liegt dagegen nicht vor, wenn lediglich aufgrund eines Missverständnisses oder aus Nachlässigkeit bzw. Fahrlässigkeit Vorgänge, die sich zugetragen haben, nicht in die Verhandlungsniederschrift aufgenommen wurden oder Vorgänge aufgenommen worden sind, die sich tatsächlich nicht oder in anderer Weise zugetragen haben (dies. a.a.O.). In seiner Rechtsbeschwerdebegründung erhebt der Betroffene gegenüber der Vorsitzenden des erkennenden Gerichts nicht den konkreten Vorwurf, bewusst wahrheitswidrig und damit in strafbarer Weise gem. § 348 StGB vermerkt zu haben, dass dem Betroffenen das letzte Wort gewährt worden sei. Mangels schlüssiger Darlegung eines Sachverhalts, der zum Wegfall der Beweiskraft des Sitzungsprotokolls führen würde, bedurfte es damit keiner diesbezüglichen Beweiserhebungen seitens des Rechtsbeschwerdegerichts im Freibeweisverfahren, insbesondere auch nicht der vom Betroffenen beantragten Einholung einer dienstlichen Äußerung der erkennenden Richterin.

Auch soweit der Betroffene die fehlerhafte Ablehnung seines in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrages - und damit zusammenhängend - eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht rügt, ist seine in zulässiger Weise erhobene Verfahrensrüge nicht begründet. Die auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Ablehnung des Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, "dass nicht die ganze Strecke zwischen Messpunkt und Anhaltepunkt einsehbar war und über mehrere 100 m keine Einsehbarkeit vorlag", ist aus Sicht des Rechtsbeschwerdegerichts rechtlich nicht zu beanstanden. Die zugrundeliegende Auffassung des Tatgerichts, der Sachverhalt sei nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme geklärt und die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich, bewegt sich innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums, der nur einer eingeschränkten Überprüfung seitens des Rechtsbeschwerdegerichts zugänglich ist. Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich, dass die beantragte Beweiserhebung an der Überzeugung des erkennenden Gerichts, wie sie aus der bis dahin durchgeführten Beweisaufnahme gewonnen worden war, nichts geändert hätte. Diese Wertung des Amtsgerichts ist nachvollziehbar und frei von Rechtsfehlern. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung, dass es den vom Betroffenen behaupteten und von seiner Verlobten bei deren zeugenschaftlichen Vernehmung bestätigten Fahrerwechsel zwischen der Messstelle und dem räumlichen dahinterliegenden Anhaltepunkt tatsächlich nicht gegeben und der Betroffene das Fahrzeug vielmehr durchweg geführt hat, auf die vom erkennenden Gericht als glaubhaft eingestuften Aussagen der Polizeibeamten P.. M. und S. gestützt. Aus deren Angaben ergab sich, dass an der Messstelle zunächst das Fahrzeug des Betroffenen und - in der selben Minute und dem Fahrzeug des Betroffenen nachfolgend - ein weiteres Fahrzeug (Ford Fiesta) mit dem Radarmessgerät Multanova 6 F gemessen worden waren, deren jeweilige Geschwindigkeitsüberschreitungen sodann dem Anhalteposten per Funk durchgegeben wurden und diese Fahrzeuge wenig später an der Anhaltestelle eintrafen, ohne dass den untereinander in Funkverbindung stehenden Mess- und Anhaltebeamten eine angesichts der Entfernungsverhältnisse ungewöhnliche zeitliche Verzögerung zwischen Passieren des Messpunktes und Erreichen der Anhaltestelle aufgefallen wären. Die Entfernung zwischen der Messstelle und der Anhaltestelle betrug nach den insoweit unterschiedlichen Schätzungen der Zeugen zwischen 250 bis 2000 m. Das Amtsgericht hat seine Überzeugung, dass zwischen Mess- und Anhaltepunkt - entgegen der Einlassung des Betroffenen - kein Fahrerwechsel stattgefunden hat, nachvollziehbar damit begründet, dass ein Fahrerwechsel in der von dem Betroffenen beschriebenen Weise zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung von mindestens 1 - 2 Minuten geführt und damit zwangsläufig zur Folge gehabt hätte, dass der - innerhalb 1 Minute - nach dem Fahrzeug des Betroffenen gemessene Pkw Ford Fiesta die Anhaltestelle hätte früher erreichen müssen als der Betroffene, was nach den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen M. und S. jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen des Amtsgerichts sind weder lückenhaft noch widersprüchlich, noch verstoßen sie gegen Gesetz- oder Erfahrungssätze. Die mit dem Beweisantrag aufgeworfene Frage der fehlenden Einsehbarkeit des Streckenabschnitts zwischen Mess- und Anhaltepunkt war für die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts und dessen rechtfehlerfreier Beweiswürdigung nicht ausschlaggebend. Aus den genannten Gründen drängte sich eine weitere Beweisaufnahme durch Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens auch nicht auf, so dass die insoweit erhobene Aufklärungsrüge des Betroffenen ebenfalls unbegründet ist.

Auch die auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht deckt, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer dem Betroffenen mitgeteilten Stellungnahme vom 30. April 2008 zutreffend ausgeführt hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.



Ende der Entscheidung

Zurück