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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.07.2008
Aktenzeichen: 5 Ss OWi 415/08
Rechtsgebiete: OWiG, StPO
Vorschriften:
OWiG § 73 | |
OWiG § 74 | |
StPO § 344 |
Auch die Frage, ob ausnahmsweise von der Verhängung einer Fahrverbotes unter angemessener Erhöhung des Bußgeldes nach § 4 Abs. 4 BkatV abgesehen werden kann, rechtfertigt die Ablehnung eines Entbindungsantrages nicht, weil es dafür grundsätzlich nicht auf den persönlichen Eindruck von dem/der Betroffenen in der Hauptverhandlung ankommt.
Beschluss
Bußgeldsache
gegen M.B.
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Soest vom 03. April 2008 hat der 5. Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 07. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Soest zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Landrätin des Kreises Soest hat gegen die Betroffene mit Bußgeldbescheid vom 06. November 2007 eine Geldbuße in Höhe von 50,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. In dem Bußgeldbescheid ist der Betroffenen zur Last gelegt worden, als Führerin des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXX am 06. September 2007 in Soest auf der B 475 außerorts die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 28 km/h überschritten zu haben. Die Anordnung des Fahrverbotes ist mit dem Vorliegen eines Regelfalles nach § 4 Abs. 2 BKatV begründet worden.
Auf den form- und fristgerecht eingelegten Einspruch der Betroffenen gegen diesen Bußgeldbescheid hat das Amtsgericht Soest Termin zur Hauptverhandlung auf den 03. April 2008 bestimmt. Nach Zugang der Ladung bei der Betroffenen und ihrem Verteidiger hat dieser mit Schriftsatz vom 06. März 2008 beantragt, die Betroffene von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden und zur Begründung ausgeführt, die Betroffene räume ein, zur Tatzeit Fahrerin des Fahrzeugs gewesen zu sein, werde aber zur Sache keine (weitere) Einlassung abgeben. Mit Beschluss vom 10. März 2008 wies das Amtsgericht Soest den Antrag der Betroffenen zurück und führte zur Begründung aus, die Anwesenheit der Betroffenen sei zur Aufklärung des Sachverhalts insbesondere auch im Hinblick auf ein etwaiges Fahrverbot erforderlich. Mit Schriftsatz vom 13. März 2008 beanstandete der Verteidiger der Betroffenen diesen Beschluss mit näheren Ausführungen als verfahrensfehlerhaft. Mit weiterem Schriftsatz vom 20. März 2008 erhob der Verteidiger Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung und kündigte verschiedene Beweisanträge, jeweils gerichtet auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, an.
In der Hauptverhandlung vom 03. April 2008 war lediglich der Verteidiger der Betroffenen, nicht aber diese selbst erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Einspruch der Betroffenen mit Urteil vom selben Tage nach § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verworfen. In den Gründen des Verwerfungsurteils heißt es u. a., dass die von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Termin nicht entbundene Betroffene im Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei. Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG für eine Entbindung der Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung hätten nicht vorgelegen. Zwar habe der Verteidiger der Betroffenen mit Schriftsatz vom 06. März 2008 erklärt, dass die Betroffene die Fahrereigenschaft nicht bestreite. Im Widerspruch dazu sei jedoch weiter erklärt worden, dass die Betroffene zur Sache keine Einlassung abgeben werde. Im letzteren Fall hätte eine Inaugenscheinnahme der Person der Betroffenen zur Feststellung der Fahrereigenschaft erfolgen müssen. Auch bei Einräumung der Fahrereigenschaft wäre die Anwesenheit der Betroffenen zur Aufklärung wesentlicher, insbesondere persönlicher Umstände im Hinblick auf das in Betracht kommende Fahrverbot erforderlich gewesen.
Die Betroffene hat gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und das Rechtsmittel mit der erhobenen Verfahrensrüge des Verstoßes gegen § 73 Abs. 2 OWiG und der Verletzung rechtlichen Gehörs begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Soest zurückzuverweisen.
II.
Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.
1. Die (allein) erhobene Verfahrensrüge der Betroffenen, mit der diese die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG und eine damit verbundene Versagung des rechtlichen Gehörs geltend macht, entspricht den formellen Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Die Betroffene hat in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift dargelegt, welcher Verkehrsverstoß ihr zur Last gelegt wurde, wie sich die Beweislage darstellte, dass und mit welcher Begründung sie einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Hauptverhandlungstermin gestellt hatte und mit welcher Begründung das Amtsgericht diesen Antrag abgelehnt hat. Ferner ist der Begründungsschrift zu entnehmen, in welcher Weise sich die Betroffene zur Sache geäußert und eine darüber hinausgehende Erklärung zur Sache abgelehnt hat. Die den behaupteten Verfahrensverstoß begründeten Tatsachen sind damit so vollständig und genau mitgeteilt worden, dass dem Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift die Prüfung ermöglicht wurde, ob - sofern die behaupteten Tatsachen erwiesen sind - der gerügte Verfahrensmangel vorliegt.
2. Die erhobene Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Verwerfung des Einspruchs der Betroffenen ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. 2 OWiG war verfahrensfehlerhaft, weil das Amtsgericht den Antrag der Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 73 Abs. 2 OWiG zu Unrecht abgelehnt hat. Die Einspruchsverwerfung stellt sich damit gleichzeitig als eine Verletzung des Rechts der Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) dar, auf der die angefochtene Entscheidung beruht (vgl. OLG Hamm VRS 113, 362; Beschluss vom 04. Dezember 2006 - 4 SsOWi 804/06 -; Beschluss vom 20. September 2005 - 3 SsOWi 626/05 -; OLG Köln VRS 105, 207).
Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag der Betroffenen stattgeben müssen. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag ist im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht (mehr) in das Ermessen des Gerichts gestellt; das Gericht ist vielmehr verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (zu vgl. OLG Hamm VRS 113, 362, 363; Beschluss vom 20. September 2005 - 3 SsOWi 626/05 -). Allenfalls im Rahmen der Frage, ob die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich bzw. nicht erforderlich ist, ist dem Tatrichter ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen (zu vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 74 Rdnr. 45 c).
Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Entscheidung des Amtsgerichts als verfahrensfehlerhaft. Der Verteidiger der Betroffenen hatte dem Amtsgericht bereits in dem Entbindungsantrag vom 06. März 2008 mitgeteilt, dass die Betroffene nicht bestreite, zur Tatzeit Fahrerin des gemessenen Fahrzeugs gewesen zu sein. Zwar heißt es in diesem Schriftsatz weiter, dass die Betroffene zur Sache keine Einlassung abgeben werde. Darin ist jedoch kein widersprüchliches Verhalten der Betroffenen zu erkennen. Bei der sich aufdrängenden, lebensnahen Auslegung kann die über ihren Verteidiger abgegebene Erklärung der Betroffenen vom 06. März 2008, von der sie später auch nicht abgerückt ist, nur dahin verstanden werden, das die Betroffene über das Einräumen ihrer Fahrereigenschaft hinaus keine weitere Einlassung zur Sache abgeben werde. Aufgrund des späteren Schriftsatzes des Verteidigers vom 20. März 2008 war weiter klar erkennbar, dass die Betroffene (lediglich) die Ordnungsgemäßheit der Messung beanstandet, jedoch nicht bereit war, durch weitergehende Angaben zur Klärung der Frage nach der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit beizutragen. Bei dieser Sachlage war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit der Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs - über die Fahrereigenschaft der Betroffenen hinaus - zu erwarten war. Die Fahrereigenschaft der Betroffenen, die diese ausweislich des Schriftsatzes vom 06. März 2008 nicht in Abrede stellen wollte, hätte sich ohne Schwierigkeiten durch die gem. § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässige Einführung der schriftlichen Erklärung der Betroffenen in dem genannten Schriftsatz feststellen lassen. Im Übrigen berechtigte die dem Verteidiger unter dem 20. November 2007 schriftlich erteilte und zur Akte gereichte Vollmacht diesen auch zur Abgabe entsprechender Erklärungen für die Betroffene im Hauptverhandlungstermin nach § 73 Abs. 3 OWiG.
Auch der Umstand, dass gegen die Betroffene in dem zugrundeliegenden Bußgeldbescheid vom 06. November 2007 ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden war, führt vorliegend nicht dazu, dass ungeachtet der Erklärung der Betroffenen bzw. ihres Verteidigers vom 06. März 2008 die persönliche Anwesenheit der Betroffenen zur Sachverhaltsaufklärung notwendig erschien. Im Hinblick auf die einschlägige straßenverkehrsrechtliche Vorbelastung der Betroffenen, gegen die in einer seit dem 12. Juni 2007 rechtskräftigen, vorausgegangenen Entscheidung wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h bereits ein Bußgeld in Höhe von 60,00 € verhängt worden war, war in dem Bußgeldbescheid ein Regelfahrverbot nach § 25 StVG i. V. m. § 4 Abs. 2 BKatV verhängt worden. Die Frage, ob ausnahmsweise von der Verhängung einer Fahrverbotes unter angemessener Erhöhung des Bußgeldes nach § 4 Abs. 4 BkatV abgesehen werden kann, rechtfertigt die Ablehnung eines Entbindungsantrages nicht, weil es dafür grundsätzlich nicht auf den persönlichen Eindruck von dem/der Betroffenen in der Hauptverhandlung ankommt (zu vgl. OLG Hamm VRS 113, 362, 363; Karlsruher Kommentar, OWiG, 3. Aufl., § 73 Rdnr. 28). Die Begründung, mit der das Amtsgericht den Antrag der Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen abgelehnt hat, erweist sich nach alledem als nicht haltbar, so dass die Verwerfung des Einspruchs der Betroffenen ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. 2 OWiG einen Verfahrensverstoß, auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs, darstellt, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, weil dieses auf dem Verfahrensmangel beruht.
Zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Soest oder an ein anderes Amtsgericht nach § 79 Abs. 6 OWiG bestand keine Veranlassung.
Ende der Entscheidung
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