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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.06.2008
Aktenzeichen: 5 Ss OWi 446/08
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 77 b
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung und verbreiteter Meinung in der Literatur, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils im Straf- und Bußgeldverfahren grundsätzlich nicht zulässig ist, und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 75 Abs. 1 S. 2 StPO, wenn es aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen pp.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 08. April 2008 gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom selben Tage hat der 1. Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 06. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Essen hat gegen die Betroffene mit Urteil vom 08. April 2008 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 200,00 € und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt.

Mit Verfügung vom selben Tage hat die Vorsitzende, nach Unterzeichnung und Fertigstellung des Protokolls mit der darin vermerkten Urteilsformel, die Übersendung der Akte an die Staatsanwaltschaft Essen, die auf Teilnahme an der Hauptverhandlung verzichtet hatte, mit der Bitte um Kenntnisnahme vom Ergebnis der Hauptverhandlung und mit der Anfrage verfügt, ob auf Rechtsmittel verzichtet wird. Gleichzeitig hat die Vorsitzende die Anfertigung eines gem. § 77 b Abs. 1 S. 1 OWiG abgekürzten Urteils angeordnet. Nachdem die Staatsanwaltschaft Essen die Akte mit Verfügung vom 11. April 2008 und der damit verbundenen Rechtsmittelverzichtserklärung an das Amtsgericht Essen zurückgesandt hatte, gelangte ein von der Vorsitzenden unterzeichnetes und auf der Geschäftsstelle am 22. April 2008 eingegangenes abgekürztes Urteil, bestehend aus Urteilsrubrum und Tenor, zur Akte, welches nach Übersendung der Akte an die Staatsanwaltschaft Essen dort am 23. April 2008 einging. Ausweislich eines Vermerk der Vorsitzenden vom 05. Mai 2008 beruhte die Abfassung des abgekürzten Urteils darauf, dass der Vorsitzenden ein beim Amtsgericht Essen am 09. April 2008 eingegangener Schriftsatz des Verteidigers, mit dem Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 08. April 2008 eingelegt wurde, nicht vorgelegt worden war. Das Amtsgericht hat darauf hin am 6. Mai 2008 ein vollständig begründetes Urteil zu den Akten gebracht, welches dem Verteidiger der Betroffenen am 14. Mai 2008 und der Staatsanwaltschaft Essen am 27. Mai 2008 zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 19. Mai 2008, eingegangen beim Amtsgericht Essen am 21. Mai 2008, hat der Verteidiger die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

Die in zulässiger Weise eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Für die Überprüfung des Senats auf die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht das spätere, mit Gründen versehene Urteil des Amtsgerichts maßgeblich, sondern das - nicht mit Gründen versehene - Urteil, das der Staatsanwaltschaft Essen am 23. April 2008 zugestellt worden ist. Dieses von der erkennenden Richterin unterschriebene Urteil konnte nicht nachträglich dadurch ergänzt werden, dass ihm Urteilsgründe hinzugefügt wurden. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung und verbreiteter Meinung in der Literatur, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils im Straf- und Bußgeldverfahren grundsätzlich nicht zulässig ist, und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 75 Abs. 1 S. 2 StPO, wenn es aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist (vgl. OLG Hamm,VRS 105, 363; OLG Celle, VRS 75, 461; 98, 220; KG VRS 108, 279; NZV 1992, 332; OLG Brandenburg, NStZ-RR 2004,121; OLG Köln, VRS 93, 452; BayObLG DAR 2001, 228; NStZ 1992, 136; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 77 Rdnr. 8), was hier mit Zustellung des nicht mit Gründen versehenen - abgekürzten - Urteils an die Staatsanwaltschaft am 23. April 2008 geschehen ist.

Ein Fall der zulässigen, nachträglichen Begründung des Urteils nach § 77 b Abs. 2 OWiG liegt nicht vor. Die Betroffene war von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden worden und hatte auch nicht auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet. Sie hatte die Rechtsbeschwerde vielmehr form- und fristgerecht eingelegt, ohne dass es einer - zu Recht nicht beantragten - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedurfte.

Das damit für die Überprüfung des Senats maßgebliche, abgekürzte Urteil des Amtsgerichts hätte mit Gründen versehen werden müssen (§ 71 Abs. 1 OWiG, § 267 StPO), denn die Voraussetzungen des § 77 b Abs. 1 OWiG für ein Absehen von Urteilsgründen lagen nicht vor.

Anhand des maßgeblichen, abgekürzten Urteils lässt sich nicht feststellen, ob das Urteil sachlich-rechtliche Fehler zum Nachteil der Betroffenen aufweist. Es kann daher auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf einer möglichen Verletzung des materiellen Rechts beruht (§ 337 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG).

Nach alledem war das angefochtene Urteil auf die Sachrüge der Betroffenen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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