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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 5 Ws 184/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
Eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbestellung ist schlechthin unzulässig und mithin grundsätzlich ausgeschlossen.
Beschluss

Strafsache

gegen F.K.

wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz, (hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der beantragten Pflichtverteidigerbestellung).

Auf die Beschwerde des (ehemaligen) Angeklagten vom 14. April 2008 gegen den Beschluss der Vorsitzenden der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 11. April 2008 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 05. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer hat den Angeklagten mit Urteil vom 18. Dezember 2007 wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Vergehen nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 Arzneimittelgesetz) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 11. März 2008 hat Rechtsanwalt Thien aus Essen beantragt, dem Angeklagten gem. § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden und zur Begründung ausgeführt, im Falle der Verurteilung drohe dem Angeklagten der Widerruf mehrerer laufender Bewährungen.

In der Berufungshauptverhandlung vom 11. April 2008 hat die Vorsitzende der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen mit Beschluss vom selben Tage den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO lägen nicht vor. Zum einen drohe dem Angeklagten im Falle der Verurteilung keine Freiheitsstrafe, zum anderen sei angesichts der erstinstanzlich verhängten geringen Geldstrafe auch nicht mit einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Essen vom 6. Dezember 2005 zu rechnen. Im weiteren Verlauf der Berufungshauptverhandlung hat die Berufungskammer das Verfahren gegen den Angeklagten mit Beschluss vom selben Tage im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten in einem anderen Strafverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO auf Kosten der Landeskasse eingestellt und dabei bestimmt, dass der Angeklagte seine eigenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe.

Gegen den die beantragte Pflichtverteidigerbestellung ablehnenden Beschluss der Strafkammervorsitzenden vom 11. April 2008 hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. April 2008 Beschwerde eingelegt, die mit Verteidigerschriftsatz vom 13. Mai 2008 begründet worden ist. Die Vorsitzende der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen hat der Beschwerde mit Entscheidung vom 06. Mai 2008 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde ist zwar gem. § 304 Abs. 1 StPO statthaft, da die Ablehnung einer Pflichtverteidigerbestellung durch den Vorsitzenden nach allgemeiner Auffassung keine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung i. S. d. § 305 S. 1 StPO darstellt und daher die Ablehnungsentscheidung grundsätzlich mit dem Rechtsmittel der Beschwerde anfechtbar ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 305 Rdnr. 5 m. w. N.).

Vorliegend ist die Beschwerde jedoch deshalb unzulässig, weil mit dem auf § 154 StPO gestützten Einstellungsbeschluss der Berufungskammer vom 11. April 2008 das gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren endgültig abgeschlossen wurde und es damit schon bei Einlegung der Beschwerde an einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer des Angeklagten durch die angefochtene Entscheidung fehlte. Für die Führung der Verteidigung bestand nach der erfolgten, endgültigen Verfahrenseinstellung kein Bedürfnis mehr.

Eine nachträgliche und mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Angeklagte mit seiner nach Abschluss des Strafverfahrens erhobenen Beschwerde gegen die Ablehnungsentscheidung der Strafkammervorsitzenden vom 11. April 2008 letztlich begehrt, ist - worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 15. Mai 2008 zutreffend hingewiesen hat - nach ganz überwiegender Auffassung, die auch der Senat teilt, schlechthin unzulässig und mithin grundsätzlich ausgeschlossen (zu vgl. BGH NStZ 1997, 299; StV 1989, 378; OLG Hamm, Beschluss vom 04.03.2008 - 2 Ws 374 u. 375/07; Beschluss vom 28.06.2007 - 2 Ws 174/07; Beschluss vom 06.07.2004 - 1 Ws 203/04; Beschluss vom 02.11.2004 - 1 Ws 270/04; Beschluss vom 20.07.2000 - 1 Ws 206/00; Beschluss vom 24.08.1999 - 4 Ws 301/99; OLG Schleswig, Beschluss vom 24.01.2008 - 2 Ws 8/08 = SchlHA 2008, 174; KG Berlin, Beschluss vom 09.03.2006 - 5 Ws 563/05; OLG Düsseldorf, JMBl NW 2003, 58 und JMBl NW 1998, 22; NStZ-RR 1996, 171; Meyer-Goßner, § 141 Rdnr. 8). Dies beruht darauf, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Angeklagten und seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist. Nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens scheidet eine diesem Zweck der Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit des Verteidigers jedoch denknotwendig aus.

Soweit Teile des Schrifttums und der (vornehmlich landgerichtlichen) Rechtsprechung in Abweichung von dem vorbezeichneten Grundsatz eine nachträgliche Pflichtverteidigerbestellung dann für zulässig und geboten erachten, wenn der Beiordnungsantrag bereits vor Verfahrensabschluss gestellt war, die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und die rechtzeitige Entscheidung über die Beiordnung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist (so OLG Koblenz, StV 1995, 537 sowie die weiteren, bei Meyer-Goßner, StPO, § 141 Rdnr. 8 zitierten gerichtlichen Entscheidungen), vermag der Senat sich dieser Meinung unter Berücksichtigung des aufgezeigten Zwecks der Pflichtverteidigung nicht anzuschließen.

Davon abgesehen lagen die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vorliegend bereits bei der Antragstellung am 11. März 2008 nicht vor, da angesichts der erstinstanzlich verhängten Geldstrafe von 60 Tagessätzen und fehlender einschlägiger Vorbelastungen auch für den Fall der Erfolglosigkeit des gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 18. Dezember 2007 gerichteten Rechtsmittels des Angeklagten nicht mit einem Widerruf der laufenden Bewährung aus dem Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Essen vom 06.12.2005, sondern vielmehr mit einer (nochmaligen) Verlängerung der diesbezüglichen Bewährungszeit gerechnet werden musste.

III.

Nach alledem war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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