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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.10.2000
Aktenzeichen: 5 Ws 216/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 205
StPO § 206 a
Leitsatz

Bei der gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nach Einstellung des Verfahrens zu treffenden Ermessensentscheidung über die Auslagenerstattung können Verdachtsmomente, die nach dem letzten Verfahrensstand einen zumindest hinreichenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten fortbestehen lassen, einer Auslagenerstattung entgegen stehen.


Beschluss: Strafsache

gegen N.K.,

wegen Vergewaltigung (hier: Auslagenentscheidung bei Einstellung des Verfahrens).

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 30. August 2000 gegen den Beschluss der XI. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 15. August 2000 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26.10.2000 durch die Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten war in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 7. Februar 1980 zur Last gelegt worden, sich im Juli und August 1978 der Vergewaltigung in zwei Fällen schuldig gemacht zu haben. Nachdem das Landgericht Dortmund das Hauptverfahren gegen den nicht geständigen Angeklagten durch Beschluss vom 14. März 1980 eröffnet und Hauptverhandlungstermin auf den 30. April 1980 anberaumt hatte, setzte sich der Angeklagte noch vor Durchführung der Hauptverhandlung mit unbekanntem Aufenthalt nach Jugoslawien ab. Das Verfahren wurde daraufhin zunächst vorläufig gemäß § 205 StPO eingestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafkammer nunmehr das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung gemäß § 206 a StPO (endgültig) eingestellt, die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt und angeordnet, dass der Angeklagte seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen habe. Gegen die Versagung der Auslagenerstattung richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.

II.

Die gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 StPO statthafte (zur Nichtgeltung der Beschränkung des § 464 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 StPO vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 464 Rdnr. 19) und in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht, bis auf den fehlerhaften Hinweis auf die hier nicht einschlägige Vorschrift des § 467 Abs. 4 StPO allerdings ohne Begründung, hat die Strafkammer davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

Nach § 467 Abs. 1 StPO fallen die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last, soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Von einer Auslagenerstattung kann das Gericht nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO allerdings absehen, wenn der Angeschuldigte "wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht."

Unter welchen Umständen die für diese gerichtliche Ermessensentscheidung notwendigen Tatbestandsvoraussetzungen bejaht werden können, ist umstritten. Die in Rechtsprechung und Literatur inzwischen wohl überwiegend vertretene Auffassung hält die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Versagung einer Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO nur dann für gegeben, wenn der Angeschuldigte allein wegen des bestehenden Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird. Nach dieser Auffassung muss bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit von einer Verurteilung des Angeschuldigten auszugehen sein; bleiben Zweifel an der Schuld des Angeschuldigten, so soll es bei der Regelung des § 467 Abs. 1 StPO sein Bewenden haben (vgl. OLG Hamm, 3. Strafsenat, NStZ-RR 1997, 127; OLG Hamm, 2. Strafsenat, NJW 1986, 734; KG, NJW 1994, 600 = NStE Nr. 11 zu § 467 StPO; OLG Köln, NStE Nr. 7 zu § 467 StPO; OLG München, NStE Nr. 2 zu § 467 StPO; OLG Zweibrücken, NStE Nr. 1 zu § 467 StPO; BayObLG, NJW 1970, 875; OLG Hamburg, NJW 1969, 945; LG Berlin, NStE Nr. 10 zu § 467 StPO; Frank in KK-StPO, 4. Aufl., § 467 Rdnr. 10 a). Folgt man dieser Auffassung, dass eine Auslagenerstattung nur versagt werden kann, wenn bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses eine Verurteilung mit Sicherheit zu erwarten wäre, so muss wegen der mit der Auslagenentscheidung verbundenen Feststellung und Zuweisung strafrechtlicher Schuld im Hinblick auf den mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Unschuldsvermutung zuvor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden sein; vor Erreichen dieses Verfahrensstadiums ist von diesem Standpunkt aus für eine Auslagenentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO kein Raum (vgl. BVerfG, NStE Nr. 9 zu § 467 StPO).

Demgegenüber können nach einer weiteren in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung, die auch der erkennende Senat in seinem Beschluss vom 18.01.2000 - 5 Ws 6/00 - vertreten hat und an der er festhält, im Rahmen der gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO zu treffenden Ermessensentscheidung Verdachtsmomente, die nach dem letzten Verfahrensstand einen zumindest hinreichenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten fortbestehen lassen, einer Auslagenerstattung entgegen stehen (vgl. OLG München, NStZ 1989, 134; OLG Karlsruhe, JR 1981, 38; OLG Frankfurt, NJW 1980, 2031; LG Darmstadt; MDR 1988, 885; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 467 Rdnr. 16). Auch eine solche Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO ist, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, verfassungskonform, denn die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen; Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können darum auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden (vgl. BVerfG, NStE Nr. 9 zu § 467 StPO = NJW 1992, 1612, 1613).

Wie der Senat bereits in seinem o.g. Beschluss vom 18.01.2000 ausgeführt hat, ergibt sich weder aus dem Wortlaut, noch aus dem systematischen Zusammenhang, noch aus der Entstehungsgeschichte der Regelung des § 467 Abs. 3 S. 2 StPO, dass von einer Auslagenerstattung nach dieser Vorschrift nur dann abgesehen werden kann, wenn die strafrechtliche Schuld des Angeschuldigten zuvor in einer Hauptverhandlung "schuldspruchreif" geklärt worden ist und allein ein Verfahrenshindernis die Verurteilung verhindert. Bei einer derart engen Auslegung der Regelung des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO bliebe, ohne dass ein entsprechender gesetzgeberischer Wille erkennbar wäre, für deren praktische Anwendung kaum Raum. Da eine Beweisaufnahme allein zur Klärung der für die Kosten- und Auslagenentscheidung maßgeblichen Fragen unzulässig ist (vgl. BVerfG, NJW 1991, 29), könnte von der Möglichkeit, von einer Auslagenerstattung gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO abzusehen, nur in den äußerst seltenen Fällen Gebrauch gemacht werden, in denen nach Eröffnung des Hauptverfahrens die Hauptverhandlung bereits bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden ist und dann ein Verfahrenshindernis (z.B. die dauernde Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten) festgestellt wird. Bei Nichteröffnung des Hauptverfahrens aufgrund eines Verfahrenshindernisses durch Gerichtsbeschluss gemäß § 204 StPO sowie bei Verfahrenseinstellung außerhalb der Hauptverhandlung aufgrund eines nach Eröffnung des Hauptverfahrens festgestellten Verfahrenshindernisses durch Gerichtsbeschluss gemäß § 206 a StPO wäre die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO, von vornherein nicht anwendbar. Damit könnten Billigkeitsgesichtspunkte, deren Berücksichtigung die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO gerade ermöglichen will, vom Standpunkt der wohl herrschenden Meinung, die der Senat nicht teilt, in die Auslagenentscheidung bei Ablehnung des Hauptverfahrens aufgrund eines Verfahrenshindernisses überhaupt nicht und in die Auslagenentscheidung bei Verfahrenseinstellung durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 oder durch Beschluss gemäß § 206 a StPO nur in den genannten, äußerst seltenen Ausnahmefällen einfließen und zu einer Versagung einer Auslagenerstattung führen.

Die nach Ansicht des Senats vom Gesetz durch die Regelung des § 467 Abs. 3 S. 2 StPO eingeräumte Möglichkeit, Billigkeitsgesichtspunkte auch bei der vorliegenden Fallgestaltung einer Verfahrenseinstellung gemäß § 206 a StPO trotz fehlender Schuldspruchreife zu berücksichtigen, rechtfertigt es hier in Anbetracht der bei Eintritt des Verfahrenshindernisses der Verjährung bestehenden und der Anklage entsprechenden Verdachtslage, von der Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse abzusehen. Der zumindest hinreichende Tatverdacht gegen den Angeklagten gründet sich insbesondere auf die Aussagen der Geschädigten P. und G., deren Bekundungen hinsichtlich des jeweiligen Randgeschehens im Übrigen von den Zeugen M., L. und R. bestätigt worden sind.

Im Rahmen der durch die Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO damit hier eröffneten Ermessensentscheidung spricht gegen eine Überbürdung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse insbesondere auch der Umstand, dass der Angeklagte sich dem weiteren Verfahren durch Flucht entzogen, dadurch die endgültige Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in einer Hauptverhandlung verhindert und das Strafverfahren auf diese Weise der Verfolgungsverjährung zugeführt hat.

Da somit die angefochtene Auslagenentscheidung der Strafkammer im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, war die sofortige Beschwerde des Angeklagten mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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