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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.09.2001
Aktenzeichen: 5 Ws 237/01
Rechtsgebiete: AO, StPO


Vorschriften:

AO § 370
StPO § 9
StPO § 13
Zum Tatort bei einer Eingangsabgabenhinterziehung
Beschluss

In der Strafsache gegen M.P.

wegen Steuerhinterziehung.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 23. Mai 2001 gegen den Beschluss der III. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Dortmund vom 8. Mai 2001 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 09. 2001 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gründe:

I.

Unter dem 19. Februar 2001 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund den Angeschuldigten angeklagt, am 31. August/1. September 2000 in Hamm, Neubrandenburg, Frankfurt/Oder und an anderen Orten gewerbsmäßig und gemeinschaftlich handelnd die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch Steuern verkürzt zu haben. Sie hat beantragt, das Hauptverfahren vor dem Landgericht - Wirtschaftsstrafkammer - in Dortmund zu eröffnen.

In der Anklageschrift wird dem Angeschuldigten folgendes zur Last gelegt:

"Entsprechend einem gemeinsamen Tatplan reiste am 31.08.2000 der gesondert verfolgte A.P. aus Litauen kommend mit einem Lkw, amtl. Kennzeichen ZJR 367, ZJ 424 über das Zollamt Frankfurt/Oder ins Bundesgebiet ein. Als Ladung waren nach den Frachtpapieren laminierte Holzfensterbretter deklariert. In Frankfurt/Oder wurde die Ladung zum freien Verkehr abgefertigt. Laut CMR-Brief war Empfänger eine Fa. B. in Stuhr. Noch vor der Zollabfertigung veranlasste der Angeschuldigte Pr. per Fax bei der Fa. Spedition L. des Lkw zu einer Fa. E. in O., wobei ihm bewusst war, dass die Ladung nicht für die Fa. E. bestimmt war.

Ihm war bewusst, dass der Lkw neben den als Tarnladung dienenden Fensterbrettern 3.729.600 Stück unverzollte und unversteuerte Zigaretten bei sich führte, die entsprechend dem gemeinsam gefassten Tatplan von dem gesondert verfolgten P. bei der Einreise ins Bundesgebiet nicht gestellt und angemeldet wurden. Erst bei einer Lkw-Kontrolle auf der A 2 im Stadtgebiet Hamm konnten die fraglichen Zigaretten entdeckt werden.

Der Angeschuldigte handelte in diesem Fall, um sich durch den fortgesetzten Schmuggel von Zigaretten eine dauernde Einnahmequelle zu verschaffen.

Der durch ihn verursachte Zoll-/ Steuerschaden beläuft sich auf 883.067,83 DM." (Bl. 233 f. Bd I d.A.)

Der Verteidiger des Angeschuldigten hat die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund gerügt.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 8. Mai 2001 hat die III. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Dortmund sich für örtlich unzuständig erklärt und dazu u.a. ausgeführt:

"Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund ist unter keinem Gesichtspunkt gegeben:

Weder wohnt der Angeschuldigte im hiesigen Gerichtsbezirk, noch ist er hier festgenommen worden.

Auch ein Gerichtsstand des Tatortes nach § 7 StPO ist nicht begründet, weil der Angeschuldigte laut Anklagevorwurf im hiesigen Bezirk keinerlei Tathandlungen begangen hat. Aus den Tathandlungen seines Mittäters P. lässt sich eine Tatortzuständigkeit des Landgerichts Dortmund ebenfalls nicht herleiten: Nach § 9 Abs. 1 StGB gilt als Tatort insbesondere der Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist. Das von P. am 31.08.2000 begangene Steuervergehen bestand aber darin, dass er bei seinem Grenzübertritt in Frankfurt/Oder gegenüber der dortigen Zollbehörde unrichtige Angaben über die Art der von ihm transportierten Waren machte und dadurch die Erhebung von Zöllen und Abgaben beim Grenzübertritt verhinderte, wodurch ein Zoll- und Steuerschaden von rund 883.000,-- DM entstand. Mit der Entstehung dieses Schadens war der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten, so dass die Tat des P. bereits in Frankfurt/Oder vollendet war. Dass die Tat erst mit der Festnahme des P. im hiesigen Bezirk beendet wurde, war für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 370 AO nicht mehr relevant und konnte deswegen keinen Tatort mehr begründen. Vielmehr begründete die Ergreifung des P. die Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund lediglich nach § 9 StPO. Daraus lässt sich aber für das vorliegende Verfahren gegen den Angeschuldigten eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhanges nach § 13 Abs. 1 StPO zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr herleiten. Denn das Verfahren gegen P. ist bereits rechtskräftig abgeschlossen, so dass ein Sachzusammenhang nicht mehr besteht." (Bl. 83 Bd II d.A.)

Gegen diese Entscheidung richtet sich die "sofortige Beschwerde" der Staatsanwaltschaft Dortmund, die die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund nach § 7 StPO für gegeben hält, weil der gesondert verfolgte Mittäter des Angeschuldigten Pr. auch in Hamm und damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Dortmund gehandelt habe. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat sich diesem Rechtsmittel angeschlossen und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Landgericht Dortmund für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens für örtlich zuständig zu erklären und die Sache zur Entscheidung an das Landgericht Dortmund zurückzuverweisen.

II.

Gegen den Beschluss, mit welchem sich das Landgericht im Eröffnungsverfahren für örtlich unzuständig erklärt, ist das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 304 StPO gegeben (vgl. BGHSt 43, 122, 124/125; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl. (2001), Rdnr. 7 zu § 16 StPO). Die Beschwerde ist in zulässiger Weise von der Staatsanwaltschaft Dortmund eingelegt worden; sie ist auch in der Sache begründet.

Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund ist durch den Tatort nach § 9 Abs. 2 StGB gegeben.

Danach ist die Teilnahme sowohl an dem Ort begangen, an dem die Tat begangen ist, als auch an jedem Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Tat begangen werden sollte. Nach der Anklageschrift ist Mittäter des Angeschuldigten Pr. der Zeuge A. P.. Der Ort des Tatbeitrages dieses Zeugen und Mittäters befand sich u.a. in Hamm und damit im Bezirk des Landgerichts Dortmund.

Dem Angeschuldigten wird Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zur Last gelegt. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Abgabenordnung (Stand 1/97), § 370 Rdnr. 21 m.w.N.). Die Tathandlung besteht im pflichtwidrigen Verschweigen steuererheblicher Tatsachen. Die Pflicht zur Mitteilung steuererheblicher Tatsachen bestand bereits bei der Einreise des Zeugen P. mit den zoll- und steuerpflichtigen Waren in Frankfurt an der Oder. Mit der Nichtanmeldung der pflichtigen Zuladung beim Grenzübertritt war die Steuerhinterziehung vollendet, jedoch nicht beendet. Vielmehr bestand die Anzeigepflicht auch nach dem Überschreiten der Grenze während der Fahrt bis zum Zielort fort: Sie wurde im vorliegenden Fall aktualisiert, als der Zeuge P. von Zollbeamten im Gebiet der Stadt Hamm angehalten und angesprochen wurde. Beschränkten sich die zollamtlichen Kontrollmöglichkeiten früher auf den grenznahen Raum, sind sie nunmehr, nach dem Wegfall der Grenzkontrollen, soweit tatsächlich Anhaltspunkte für verbotswidrige Warentransporte vorliegen, auch außerhalb der Zollgrenzbereiche im gesamten Bundesgebiet möglich (vgl. § 14 ZollVG). Damit wird die Zollverwaltung in die Lage versetzt, Missbräuche bei der Verbringung verbotener Waren wirksam bekämpfen zu können (Bandruch, AO, § 372, Rdnr. 32). Der Mittäter des Angeschuldigten, der Zeuge P., hätte somit in Hamm, als er von der mobilen Zollkontrolle angehalten wurde, handeln und die steuererheblichen Tatsachen angeben müssen. Dieses hat er pflichtwidrig unterlassen. Er hat damit in der "Nachzone" (vgl. Eser in Schönke/Schröder, 26. Aufl. (2001), vor § 22 StGB Rdnr. 5 ff) zwischen Vollendung und Beendigung der Steuerhinterziehung durch Unterlassen wiederum den vollen Tatbestand, an dem der Angeschuldigte als Mittäter beteiligt gewesen ist, durch einen weiteren Einzelakt erfüllt. Damit ist als Ort der Tat auch ein im Bezirk des Landgerichts Dortmund befindlicher Ort gegeben, so dass die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund besteht.

Mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist das Landgericht Dortmund örtlich zuständig. Dieses hat nunmehr über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu befinden.

Ende der Entscheidung

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