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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.11.2000
Aktenzeichen: 5 Ws 246/00
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
Leitsatz

Zur (verneinten) Annahme von Wiederholungsgefahr.


Beschluss: Strafsache gegen A.E. wegen gefährlicher Körperverletzung (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten)

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 30. Oktober 2000 gegen den Beschluss der XVII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 16. Oktober 2000 hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 3. Januar 2000 - 78 Gs 14/00 - in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts Dortmund vom 5. Oktober 2000 und der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Dortmund vom 16. Oktober 2000 werden aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist am 3. Januar 2000 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund (78 Gs 14/00) vom selben Tage, mit dem ihm versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung zum Nachteil seiner Ehefrau H.E. zur Last gelegt worden ist, in Untersuchungshaft genommen worden. An dem Vorwurf des versuchten Totschlags hat die Staatsanwaltschaft in der Folgezeit nicht festgehalten, sondern Anklage (lediglich) wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchter schwerer Brandstiftung erhoben. Was den letzten Anklagevorwurf angeht, ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, versucht zu haben, die eheliche Wohnung in Brand zu setzen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist - aufgrund entsprechender Verbindung mit einem anderweitigen Verfahren - zudem der Vorwurf einer weiteren von dem Angeklagten zum Nachteil des Zeugen H.K. begangenen gefährlichen Körperverletzung gewesen. Insoweit ist dem Angeklagten mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 25. Oktober 1999 zur Last gelegt worden, den genannten Zeugen mit einem Messer angegriffen und ihm Schnittverletzungen an Hand und Augenbraue zugefügt zu haben.

Dementsprechend hat das Schöffengericht Dortmund den Angeklagten mit Urteil vom 4. Mai 2000 wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und versuchter schwerer Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Berufung eingelegt.

In der Berufungshauptverhandlung vom 25. September 2000 hat das Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen der Tatvorwürfe der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen H.K. und der versuchten schweren Brandstiftung, ohne insoweit eigene Feststellungen zu treffen, gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. In der Berufungshauptverhandlung vom 5. Oktober 2000 hat das Landgericht den amtsgerichtlichen Haftbefehl dahin abgeändert, dass der Tatvorwurf des versuchten Totschlags entfalle, weil der Angeklagte (nur noch) der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil seiner Ehefrau dringend verdächtig sei, und dass an die Stelle der Haftgründe des § 112 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 StPO derjenige der Wiederholungsgefahr nach § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO trete. Was die Begründung dieser Anordnung von Sicherungshaft gegen den Angeklagten angeht, wird auf die Gründe des Beschlusses des Landgerichts vom 5. Oktober 2000 Bezug genommen.

In der Berufungshauptverhandlung vom 16. Oktober 2000 hat das Landgericht den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und Haftfortdauer nach Maßgabe des Beschlusses vom 5. Oktober 2000 angeordnet. Das Urteil hat der Angeklagte mit der Revision angefochten. Gegen den Haftfortdauerbeschluss richtet sich seine Beschwerde.

II. Die zulässige (Haft-)Beschwerde ist begründet.

Der angefochtene Beschluss und der amtsgerichtliche Haftbefehl vom 3. Januar 2000 in der Fassung des Beschlusses des Landgerichts vom 5. Oktober 2000 sind aufzuheben, da weder die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung von Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO noch diejenigen der vorbeugenden Sicherungshaft gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO bei dem Angeklagten vorliegen.

1. § 112 StPO:

Zwar ist der Angeklagte nach den von dem Landgericht getroffenen Feststellungen der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 u. 5 StGB zum Nachteil seiner Ehefrau dringend verdächtig. Es fehlt jedoch an einem Haftgrund. Wie das Landgericht in dem Beschluss vom 5. Oktober 2000 zutreffend ausgeführt hat, ist die früher berechtigte Annahme von Fluchtgefahr - allein dieser Haftgrund des § 112 StPO kommt hier in Betracht - heute mit Rücksicht darauf, dass der Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben will und ein erheblicher Teil der mit dem (nicht rechtskräftigen) landgerichtlichen Urteil verhängten Strafe durch Untersuchungshaft als verbüßt gilt, nicht mehr gerechtfertigt.

2. § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO:

Gegen den Angeklagten kommt auch nicht die Verhängung von Sicherungshaft gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO in Betracht. Es fehlt nämlich bereits an der wiederholten Begehung einer den Anforderungen des § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO genügenden Anlasstat durch den Angeklagten. Zwar genügt die von dem Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau begangene gefährliche Körperverletzung, wie sie sich nach den von dem Landgericht getroffenen Feststellungen darstellt, diesen Voraussetzungen. Das gilt jedoch nicht für die dem Angeklagten zur Last gelegte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen H.K., auf die das Landgericht als Anlasstat ebenfalls abgestellt hat. Insoweit fehlt es nämlich an dem Erfordernis einer die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigenden Straftat i.S.v. § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung in diesem Sinne setzt zunächst voraus, dass Art und Ausmaß der Folgen der Tat erheblich sind; ferner müssen die Taten nicht nur im Unrechtsgehalt und im Schweregrad überdurchschnittlich, sondern auch geeignet sein, in weiten Kreisen das Gefühl der Geborgenheit im Recht zu beeinträchtigen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 112 a Rdnr. 9; Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO, 25. Aufl., § 112 a Rdnr. 33; OLG Hamm, StV 96, 275). Hingegen handelt es sich bei der dem Angeklagten zur Last gelegten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen H.K. um eine Tat, die unter Zugrundelegung der genannten Kriterien allenfalls dem unteren Bereich der mittleren Kriminalität zugeordnet werden kann. Zwar hat der Angeklagte mit dem von ihm verwandten Messer ein gefährliches Mittel eingesetzt, andererseits bestand die Tat aber in einer nur kurzen Attacke, die, wie die bei den Akten befindlichen Lichtbilder belegen, bei dem Zeugen H.K. lediglich zu zwei geringfügigen Schnittverletzungen im Bereich der Augenbraue und der Hand geführt haben. Schon diese Umstände sprechen dagegen, dass es sich bei dieser Tat um eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat i.S.v. § 112 a Abs. 1 Nr. 2 StPO handelt. Mit dieser Einschätzung der Tat zum Nachteil des Zeugen H.K. korrespondiert im Übrigen, dass das Landgericht das Verfahren insoweit bereits zu Beginn der Berufungshauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt hat; Gesichtspunkte der Prozessökonomie dürften bei dieser Verfahrensweise jedenfalls keine Rolle gespielt haben.

Mangels Vorliegens eines Haftgrundes waren der angefochtene Haftfortdauerbeschluss sowie der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 3. Januar 2000 in der Fassung des landgerichtlichen Beschlusses vom 5. Oktober 2000 somit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 467, 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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