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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.03.2006
Aktenzeichen: 6 U 106/02
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 28. März 2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus Anlass eines Verkehrsunfalles, der sich am 12.08.2000 in I ereignete. Mit dem Pkw DB 250 E der Klägerin befuhr der Ehemann der Klägerin, der Zeuge K, die M-Straße in Richtung Hauptstraße. Unmittelbar vor der mit einer LZA ausgestatteten Einmündung der M-Straße auf die Hauptstraße verläuft die M-Straße aus Sicht des Zeugen in einem Rechtsbogen. An dieser Stelle mündet aus Sicht des Zeugen K von links die untergeordnete Straße J-Straße auf die M-Straße. Die Beklagte zu 1) kam mit ihrem Pkw Nissan aus der Straße T-Park und wollte in Richtung Hauptstraße. Die Pkw stießen in der Weise zusammen, dass der Pkw der Klägerin mit der vorderen linken Ecke gegen die rechte Seite des Pkw der Beklagten zu 1) traf.

Die Klägerin hat sich darauf berufen, dass die Beklagte zu 1) die Vorfahrt missachtet habe und daher für den Unfall allein verantwortlich sei.

Beide Beklagten haben aus einer Reihe von Indizien gefolgert, dass der Zeuge K den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe.

Das Landgericht hat Unfallprovokation als nicht bewiesen angesehen und der Klage mit Abzügen zur Schadenshöhe stattgegeben.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzliches Vortrags.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat zum Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen K sowie Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen T.

II.

Die Berufung hat Erfolg. Denn die Klage ist unbegründet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme muss davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zu 1) zum Unfallgeschehen zwar dadurch beigetragen hat, dass sie infolge Unachtsamkeit die Vorfahrt des Zeugen K missachtet hat. Andererseits hat es aber der Zeuge K nicht nur darauf abgesehen, seine Vorfahrt zu erzwingen, sondern auch darauf, mit dem Pkw der Klägerin gezielt einen Unfall herbeizuführen. Bei dieser Sachlage führt die Abwägung der Schadensverursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG dazu, dass der Verursachungsbeitrag der Beklagten zu 1) gegenüber demjenigen, der vom Pkw der Klägerin ausgegangen ist, zurücktritt und die Klägerin ihren Schaden selbst zu tragen hat.

Die Tatsache, dass der Zeuge K den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Zwar hat der Zeuge den Unfallhergang wie ein unbeabsichtigtes Geschehen geschildert. Er hat ausgesagt, vor der Kollision habe er den Pkw der Beklagten zu 1) gar nicht wahrgenommen und wisse auch nicht, ob er gebremst habe. Aus dem konkreten Unfallablauf in Verbindung mit den weiteren Indizien, die für Unfallmanipulation sprechen, folgt aber, dass es entscheidend durch zielgerichtetes Verhalten des Zeugen K zu der Fahrzeugkollision gekommen ist.

Das Gutachten des Sachverständigen T hat ergeben, dass der Zeuge K im Kollisionszeitpunkt eine Rechtskurve durchfuhr, die einen so kleinen Radius hatte, dass ein Pkw-Fahrer normalerweise nicht schneller als 22 km/h gefahren wäre, weil anderenfalls zu hohe Querbeschleunigungskräfte aufgetreten wären. Die Schäden an den Fahrzeugen zeigen, dass die Pkw in einem Winkel von 50 bis 60 Grad gegeneinander getroffen sind. Dabei folgt aus dem Schadensbild ferner, dass die Geschwindigkeitskomponente des Mercedes der Klägerin in Längsrichtung des Nissan der Beklagten zu 1) etwa der Geschwindigkeit des Nissan entsprochen hat. Damit steht fest, dass die Geschwindigkeit des Pkw der Klägerin höher gewesen ist als diejenige des von der Beklagten zu 1) gesteuerten Pkw. Anderenfalls hätte sich an der Seite des Nissan ein streifendes Schadensmerkmal ausbilden müssen, dass jedoch nicht vorhanden ist.

Wäre die Beklagte zu 1) mit 30 km/h gefahren, wie sie selbst geschätzt hat, dann müsste der Mercedes der Klägerin im Kollisionszeitpunkt ca. 50 km/h schnell gewesen sein, um das durch die Schadensfotos dokumentierte Schadensbild zu erzeugen. Da die Kurvengrenzgeschwindigkeit aber bei nur etwa 35 km/h liegt, eine höhere Geschwindigkeit des Zeugen K beim beabsichtigten Durchfahren der Rechtskurve also ausscheidet, muss der Nissan deutlich langsamer gewesen sein. Darstellbar ist für den Nissan eine Geschwindigkeit von maximal 20 km/h.

Wegen der Rechtskurve, die der Zeuge K zu durchfahren hatte, war zu erwarten, dass er den Pkw der Klägerin aus der innerorts zulässigen Ausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h durch Angleichbremsung auf 22 km/h reduzierte. Tatsächlich lag die Geschwindigkeit des Pkw der Klägerin im Kollisionszeitpunkt aber, wie die Schäden zeigen, deutlich höher. Selbst bei Zugrundelegung von Werten zugunsten der Klägerin betrug die Geschwindigkeit ihres Pkw im Kollisionszeitpunkt noch mindestens 30 km/h. Verknüpft man nun die Fahrvorgänge in einem Weg-Zeit-Diagramm, so ergibt sich folgendes: Hätte der Zeuge K als Reaktion auf den erkennbar in den Einmündungsbereich einfahrenden Nissan die Intensität des Abbremsens lediglich etwas erhöht, dann hätte es zur räumlichen Vermeidung des Unfallgeschehens nicht einmal einer Vollbremsung bedurft. Da die Kollisionsgeschwindigkeit des Pkw der Klägerin 30 km/h betragen hat, muss die Angleichbremsung von dem Zeugen K abgebrochen worden sein, als die Geschwindigkeit bereits auf 30 km/h reduziert worden war. Den Entschluss zum Abbruch der Angleichbremsung hat der Zeuge K dann 1,9 Sekunden vor der Kollision gefasst. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den Pkw der Beklagten zu 1) bereits vor sich im Sichtfeld. Als weitere Möglichkeit kommt in Betracht, dass der Zeuge K auf eine Geschwindigkeit von noch weniger als 30 km/h abgebremst hatte und danach wieder beschleunigt hat. Auch bei dieser Variante erfolgte der Entschluss des Zeugen K zu einer Zeit, in der er den Pkw der Beklagten zu 1) vor sich im Sichtfeld hatte.

Nach alledem muss sich der Zeuge K zu einem Zeitpunkt, in dem er bereits den in den Einmündungsbereich einfahrenden Pkw der Beklagten zu 1) sah, entschlossen haben, nicht unfallvermeidend zu reagieren sondern sogar mit höherer Geschwindigkeit in die Kurve einzufahren, als dies ohne Erkennbarkeit jeglicher Fremdgefährdung zu erwarten war. Hieraus folgt, dass der Zeuge K gezielt auf eine Fahrzeugkollision ausgewesen ist.

Dass der Zeuge K mit dieser Zielsetzung vorgegangen ist, wird zusätzlich daran deutlich, dass weitere massive Indizien für Unfallmanipulation sprechen: Während der Zeit, in der die Klägerin Halterin des Pkw war, mit dem der Zeuge K am 12.08.2000 unterwegs war, ist es innerhalb von nur zwei Jahren ausserordentlich häufig, nämlich 11 Mal zu Unfällen gekommen. Jedesmal lag eine dem äußeren Sachverhalt nach eindeutige Rechtslage vor, so dass die Schäden durch Versicherungsleistungen abgedeckt waren. Abgerechnet wurde jeweils auf Gutachtenbasis, jedoch nicht in teueren Fachwerkstätten repariert, so dass letztlich Gewinne erzielt werden konnten. Auch bevor es zu dem Unfall am 12.08.2000 kam, waren die Vorschäden nicht alle fachgerecht behoben worden, wie die Ausführungen des Sachverständigen T gezeigt haben. Der Zeuge K hat dies damit erläutert, dass er die Schäden gemeinsam mit einem Kollegen immer selbst repariert habe.

Abgesehen davon, dass der am 12.08.2000 beschädigte Pkw der Klägerin auffallend oft in Unfälle verwickelt war, spricht weiter für Unfallmanipulation, dass der Zeuge K an acht weiteren Unfällen mit anderen Fahrzeugen beteiligt war und dass wiederholt gleiche Personen als Unfallbeteiligte und Zeugen in Erscheinung getreten sind. Insgesamt verbleibt somit kein Zweifel daran, dass der Unfall vom 12.08.2000 auf gezieltem Verhalten des Zeugen K beruht.

Nach alledem war die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 543 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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