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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.06.2002
Aktenzeichen: 6 U 148/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 286
BGB § 288
BGB § 823
BGB § 847
ZPO § 92
ZPO § 287
ZPO § 543
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 U 148/01 OLG Hamm

Verkündet am 20. Juni 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 02. Mai 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Baur und die Richter am Oberlandesgericht van Beeck und Sapp

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 07. Juni 2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.922,17 Euro (= 13.538,58 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 23.02.2001 zu zahlen.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger weitere 14.081,50 Euro (= 27.541,02 DM) nebst 4 % Zinsen aus 9.748,77 Euro (= 19.066,94 DM) seit dem 23.10.2001 sowie nebst 4 % Zinsen aus jeweils weiteren 1.083,18 Euro (= 2.118,52 DM) ab dem 01.11.2001, dem 01.12.2001, dem 01.01.2002 und dem 01.02.2002 zu zahlen.

Darüber hinaus wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger ein zusätzliches Schmerzensgeld von 5.624,21 Euro (= 11.000,00 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 23.02.2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aufgrund des Unfalles vom 15.10.1999 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Streithilfe tragen der Kläger 27 % und die Beklagte 73 %.

Von den zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Streithilfe tragen der Kläger 16 % und die Beklagte 84 %.

Von den erstinstanzlichen Kosten der Streithilfe tragen der Kläger 27 % und die Streithelferin 73 %.

Von den zweitinstanzlichen Kosten der Streithilfe tragen der Kläger 16 % und die Streithelferin 84 %.

Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 130 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar

Beide Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 130 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I.

Als Architektin leitete die Beklagte im Jahre 1999 den Bau eines in gelegenen Mehrfamilienhauses für eine Bauherrengemeinschaft, der sie selbst angehörte. Für die Zeit ab dem 01.10.1999 mietete der Kläger eine Dachgeschoßwohnung, die ausschließlich über eine als Metallkonstruktion außen am Haus angebrachte Treppenanlage mit Zwischenpodesten erreichbar war. Wegen der baulichen Gegebenheiten im einzelnen wird auf die Fotos GA/87 Bezug genommen.

Am 15.10.1999 trug der Kläger einen Umzugskarton über diese Treppenanlage nach oben. Die Streithelferin der Beklagten, die mit der Herstellung der Treppenanlage beauftragt war, hatte die Geländer und Umwehrungen des Zwischenpodetes noch nicht installiert. Vorhanden waren lediglich an senkrechten Holzpfosten provisorisch angebrachte waagerecht verlaufende Bretter in einer Höhe von 0,9 bis 1 m über Podestniveau. Der Kläger stürtzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu.

Der Kläger, der Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens fordert, hat behauptet, er habe den Karton die Treppe hinauf bis zum ersten Podest getragen, wo er den Karton abgestellt habe. Sodann sei er unter dem als provisorischer Handlauf gedachten Brett hindurch ca. 3 m tief gestürtzt und unten auf dem Schotter aufgeschlagen.

Die Beklagten haben diesen Unfallhergang bestritten und haben behauptet, der Kläger sei die Treppenstufen hinabgestürtzt, weil er ungeeignetes Schuhwerk getragen habe

Das Landgericht hat gemeint, es sei irrelevant, ob die Unfalldarstellung des Klägers zutreffe. Denn in jedem Falle treffe den Kläger so erhebliches Eigenverschulden, daß eine Haftung der Beklagten entfalle.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines Vertrags weiter.

Die Beklagten und ihre Streithelferin verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Der Senat hat die Parteien angehört und zum Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen sowie Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen. Hinsichtlich des weiteren Vertrags der Parteien sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die Sitzungsniederschrift des Senats vom 02.05.2002 nebst dem hierzu gefertigten Berichterstattervermerk.

II.

Die Berufung ist im wesentlichen begründet.

Der Unfall des Klägers vom 15.10.1999 beruht auf einer schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten. Anspruchskürzendes Mitverschulden des Klägers ist nicht feststellbar.

1.

Gemäß §§ 823, 847 BGB ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger dessen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 15.10.1999 zu ersetzen.

Als Mitglied der vermietenden Bauherrengemeinschaft sowie als bauleitende Architektin war die Beklagte für den verkehrssicheren Zustand der gesamten Treppenanlage, die den einzigen Zugang zu der vom Kläger angemieteten Dachgeschoßwohnung darstellte, verantwortlich. Der Wohnungsschlüssel war dem Kläger am 18.09.1999 ausgehändigt worden. Daraus folgt, daß die Benutzung der Außentreppe durch den Kläger jedenfalls vor dem Unfalltage freigegeben war. Der Kläger nutzte die Treppe als Berechtigter.

Wie der Beklagten, die die Streithelferin vergeblich wiederholt sowohl schriftlich als auch telefonisch gedrängt hatte, die Treppenanlage in einen vorschriftsgemäßen Zustand zu bringen, bekannt war, befand sich die Treppenanlage in einem verkehrsunsicheren Zustand. Die Öffnung unterhalb des als provisorischer Handlauf waagerecht befestigten Brettes war zu groß, um einer Person, die etwa auf dem Potest stolperte oder aus sonstigen Gründen ihre Standsicherheit verlor, Schutz zu bieten vor einem Sturz in die Tiefe. Entgegen der erstinstanzlichen Behauptung der Streithelferin war nicht einmal das von der Streithelferin als Kniequergurt bezeichnete Schalungsbrett in Kniehöhe vorhanden. Die vom Kläger vorgelegten Fotos, die nach dem Unfall von der Zeugin gefertigt worden sind, zeigen, daß dieser Kniequergurt fehlte.

Der Unfall des Klägers beruht auch auf der unzureichenden Umwehrung des Treppenpodestes. Der Kläger ist unter dem in 0,9 bis 1 m Höhe waagerecht angebrachten Brett hindurch von dem Podest nach unten gefallen und nicht etwa über die Stufen der Treppe gestürtzt. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Unstreitig hatte der Kläger vor dem Unfall einen Umzugskarton getragen und auf dem Zwischenpodest abgesetzt. Dieser Karton stand unmittelbar nach dem Unfall an der vom Kläger bezeichneten Stelle, nämlich im mittleren Bereich des zum Berghang zeigenden Podestes und nicht etwa in unmittelbarer Nähe der Treppenstufen. Dies hat der Zeuge der selbst Mitglied der Bauherrengemeinschaft ist und unmittelbar nach dem Unfall an der Unfallstelle eintraf, bei seiner Vernehmung durch den Senat bestätigt. Schon die Position, in der der Karton nach dem Unfall vorgefunden wurde, spricht gegen die Annahme der Beklagten, der Kläger könne über die Treppenstufen nach unten gefallen sein. Jedenfalls aber ist durch das Gutachten des Arztes für Rechtsmedizin bewiesen, daß der Kläger vom Treppenpodest im freien Fall nach unten gestürtzt ist und nicht über die Treppenstufen. Denn das bei dem Kläger festgestellte Verletzungsbild läßt sich, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, durch einen Sturz vom Treppenpodest ohne Weiteres erklären, nicht aber durch einen Sturz des Klägers über die Treppenstufen. Aus rechtsmedizinischer Sicht verbleibt, wie der Sachverständige ausgeführt hat, kein vernünftiger Zweifel daran, daß der Kläger vom Podest aus 3 m tief gefallen ist. Dieser Bewertung schließt sich der Senat uneingeschränkt an. Nach dem Unfall wurden bei dem Kläger insbesondere Prellmarken und Platzwunden an der Stirn rechts, eine Prellung der rechten Schulter, eine distale Radiusfraktur am rechten Handgelenk und eine Prellung des rechten Hüftgelenks festgestellt. Nach Verheilung der Platzwunde an der rechten Stirnseite befinden sich dort eingeschlossen noch heute Schotterpartikel, wie der Sachverständige bei seiner entsprechenden Untersuchung des Klägers im Senatstermin feststellen konnte. Dies zeigt, daß die Schotterpartikel bei der Entstehung der Platzwunde so tief eingedrungen sind, daß sie bei der ärztlichen Behandlung des Klägers nach dem Unfall nicht vollständig entfernt werden konnten. Mit Ausnahme der Fraktur des dritten Mittelfußknochens am linken Fuß des Klägers lassen sich die Verletzungen des Klägers daher problemlos erklären, wenn der Kläger aus nicht geringer Höhe heftig mit der rechten Körperseite auf den Schotter unter dem Treppenpodest aufgetroffen ist Aber auch für den Bruch des linken Mittelfußknochens findet sich eine schlüssige Erklärung, wenn der Kläger auf die Schotterfläche gefallen ist. Denn gerade daraus, daß der Mittelfußknochen isoliert gebrochen ist, während die Fußknochen links und rechts davon unversehrt blieben, ist zu folgern, daß der Bruch des Mittelfußknochens auf das Auftreffen des Fußes auf einen spitzen Gegenstand wie einen einzelnen Schotterstein der zum Unfallzeitpunkt noch nicht abgerüttelten und geglätteten Schotterfläche zurückgeht und nicht etwa auf das Aufschlagen auf einen anderen Gegenstand wie eine längliche Treppenstufenkante, wie der Sachverständige ebenfalls überzeugend ausgeführt hat.

Wäre der Kläger hingegen über die Stufen der Treppe nach unten gefallen, dann wäre mit einem anderen Verletzungsbild zu rechnen gewesen, weil der Kläger dann während des Falles nicht nur mit einer Körperseite Kontakt mit den Stufen gehabt haben würde, so daß sich diese Verletzungen nicht im wesentlichen auf der rechten Körperseite gezeigt, sondern anders verteilt haben wurden Abgesehen davon befand sich unten vor den Treppenstufen, über die der Kläger gefallen sein müßte, ein 80 cm weit reichender Betonsockel mit ebener Oberfläche Unterstellt, der Kläger wäre über die Treppenstufen nach unten gefallen, dann wäre nicht zu erwarten gewesen, daß er so heftig auf dem Betonsockel aufgeschlagen wäre, wie es erforderlich war, damit Schotterpartikel so tief in die Kopfplatzwunde eindringen konnten, wie dies tatsächlich der Fall gewesen sein muß.

Es kann nicht festgestellt werde, daß dem somit bewiesenen unfallursächlichen Verschulden der Beklagten gemäß § 254 BGB anspruchskürzendes Mitverschulden des Klägers gegenübersteht. Einzelheiten darüber, warum der Kläger zu Fall gekommen ist, sind nicht bekannt, zumal der Kläger selbst verletzungsbedingt keine Erinnerung an den konkreten Unfallhergang hat. Es kann dahinstehen, ob das Schuhwerk, das der Kläger getragen hat, geeignet war, die Gefahr eines Stolperns des Klägers hervorzurufen. Denn es steht nicht fest, auch nicht Kraft Anscheins, daß der Kläger vor seinem Sturz überhaupt ins Stolpern geraten ist. Ebensogut ist es denkbar, daß der Kläger, wie auch der Sachverständige für möglich gehalten hat, etwa als Folge einer Herzrythmusstörung schwindlig geworden ist. Damit, daß er infolge einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung gehindert sein würde, die in der unzureichenden Absicherung des Treppenpodestes liegende Gefahr durch gesteigerte Aufmerksamkeit beherrschen zu können, mußte der Kläger aber nicht rechnen, zumal er im Zusammenhang mit seinem Umzug bereits mehrfach Kartons über die Treppenanlage nach oben getragen hätte.

2.

Als Schmerzensgeldkapital stehen dem Kläger 20.000,00 DM zu. Der Kläger hat sich im Alter von 62 Jahren einen Bruch der rechten Speiche mit Abriß eines Knochenfragmentes der Elle, einen Bruch des dritten Mittelfußknochens links, Prellungen der rechten Schulter und des rechten Hüftgelenks, eine Gehirnerschütterung sowie eine Platzwunde an der rechten Stirn, abgeheilt mit eingeschlossenen Schotterpartikeln zugezogen. 12 Wochen lang war er auf Unterarmgehstützen angewiesen und litt unter Schmerzen an Hand und Schultern, unter Bewegungseinschränkung, einer Schwellneigung der rechten Hand sowie unter Muskelverschmächtigungen. 3 Jahre vor der Altersgrenze mußte er aus seinem Beruf als Rohrrichter ausscheiden. Wanderungen führen zu einem Anschwellen seines linken Fußes. Unter Berücksichtigung aller Umstände hält der Senat einen Schmerzensgeldbetrag von 20.000,00 DM für angemessen, so daß nach Abzug einer Zahlung der Haftpflichtversicherung der Beklagten in Höhe von 9.000,00 DM ein Restanspruch in Höhe von 11.000,00 DM (= 5.624,21 Euro) verbleibt.

3.

Der mit dem Berufungsantrag zu 1) geforderte materielle Schadensersatz ist mit Ausnahme des Kleidungsschadens unstreitig. Den Kleidungsschaden schätzt der Senat entsprechend den Angaben des Klägers gemäß § 287 ZPO auf 219,00 DM, so daß sich dieser materielle Schaden einschließlich des Erwerbsschadens aus der Zeit von Mitte Oktober 1999 bis Januar 2001 auf 26.910,58 DM beläuft.

In Abzug zu bringen sind ersparte Werbungskosten für die Fahrten zur Arbeit. Nach seinen Angaben im Senatstermin hat der Kläger den Weg zur Arbeit, der 2 bis 3 Kilometer lang war, je nach Witterung teils zu Fuß und teils mit dem Pkw zurückgelegt. Der Senat geht im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO davon aus, daß der Kläger im Schnitt an 10 Arbeitstagen pro Monat je 6 km gefahren ist, für die je 0,4 DM in Ansatz gebracht werden. Pro Monat hat der Kläger dann (10 x 6 x 0,4 =) 24,00 DM erspart. Die abzuziehende Ersparnis beträgt dann für die Zeit von Mitte Oktober 1999 bis Januar 2001 (24 x 15,5 =) 372,00 DM. Somit verbleiben 26.538,58 DM, auf die 13.000,00 DM gezahlt sind, so daß sich die Restforderung auf 13.538,58 DM (= 6.922,17 Euro) beläuft.

4.

Der mit dem Berufungsantrag zu 2) geltend gemachte Erwerbsschaden aus der Zeit von Februar 2001 bis Februar 2002 ist ebenfalls in Höhe von 27.853,02 DM nicht näher bestritten. Abzüglich ersparter Werbungskosten in Höhe von (13 Monate x 24,00 DM =) 312,00 DM ergeben sich 27.541,02 DM (= 14.081,50 Euro).

5.

Dem Kläger ist weiterer materieller Schaden entstanden und er muß auch mit der Möglichkeit noch nicht hinreichend absehbarer immaterieller Schäden rechnen, so daß dem Feststellungsbegehren stattzugeben war.

6.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 708 Nr. 10, 543 ZPO.

Ende der Entscheidung

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