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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.05.2005
Aktenzeichen: 6 U 185/04
Rechtsgebiete: BGB, PflVG, StVG


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
PflVG § 3
StVG § 7
StVG § 11
StVG § 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 17.06.2004 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Aus Anlass eines Verkehrsunfalles, der sich am 08.12.1999 in C ereignete, nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Ersatz materiellen Personenschadens in Anspruch. Gegen 6.50 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw Daimler Benz die A Straße. Die Beklagte zu 1) kam mit ihrem Pkw BMW aus Sicht des Klägers von rechts aus der untergeordneten Bstraße. Der BMW stieß gegen die hintere rechte Seite des Mercedes. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Beklagten dem Kläger dem Grunde nach zu uneingeschränktem Schadensersatz verpflichtet sind.

Im Anschluss an die polizeiliche Unfallaufnahme begab sich der Kläger zunächst noch zu seiner Arbeitsstelle, suchte aber etwa 2 Stunden später den Arzt für Chirurgie Dr. T auf. Dieser diagnostizierte einen Muskelhartspann der Halswirbelsäule sowie Bewegungs-Stauch- und Belastungsschmerzen der Halswirbelsäule. Da im Röntgenbild ein unklarer Befund am HWK 6 bestand, veranlasste Dr. T eine Computertomographie durch die Fachärztin Dr. Orth. Diese kam nach Auswertung der Computertomographie zu der Beurteilung: "paraartikuläre Wirbelbogenfraktur an C 6 links". Dr. T verordnete dem Kläger daraufhin das Tragen einer Zervicalstütze und Ruhigstellung. Eine computertomografische Befundkontrolle vom 06.01.2000 ergab, dass eine Fraktur des HWK 6 an diesem Tage nicht nachweisbar war. Wegen des von ihm diagnostizierten Muskelhartspanns verordnete Dr. T nunmehr Krankengymnastik.

Eine Arbeitsbelastungserprobung im Februar 2000 brach der Kläger ab. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. X diagnostizierte am 19.09.2000 ein HWS-abhängiges Syndrom bei Zustand nach traumatischer HWS-Distorsion. Dr. D, ebenfalls Arzt für Neurologie und Psychiatrie, bei dem sich der Kläger schon im Juni 2000 vorgestellt hatte, stellte am 19.10.2000 die Diagnose, es lägen deutliche Schmerzverarbeitungsstörungen bei zervikalen Reizerscheinungen vor. In einem sozialmedizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. E vom 12.01.2001 wurde dem Kläger weiterhin Arbeitsunfähigkeit attestiert. Erst nach Abschluss einer stationären Rehabilitationsmaßnahme im Mai 2001 nahm der Kläger seine frühere Tätigkeit als Baufacharbeiter wieder auf.

Der Kläger hat behauptet, bei dem Unfall habe er sich eine Fraktur des 6. HWK sowie eine schwere HWS-Zerrung zugezogen. Bis zum 05.06.2001 sei er arbeitsunfähig gewesen. Während dieser Zeit habe er unter Schlafstörungen sowie fast ständigen Kopfschmerzen und Schmerzen an der HWS gelitten. Es sei zu einer Schmerzverarbeitungsstörung gekommen.

Die Beklagten haben eine unfallbedingte Verletzung des Klägers bestritten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines technischen Gutachtens des Sachverständigen Becke, eines fachchirurgischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. I sowie eines psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. G. Es hat der Klage sodann überwiegend stattgegeben. Zwar sei nicht bewiesen, dass es unmittelbar durch den Unfall zu einer Körper- oder Gesundheitsverletzung des Klägers gekommen sei. Eine Gesundheitsverletzung sei aber deswegen gegeben, weil sich eine Schmerzverarbeitungsstörung mit somatoformen Schmerzstörungen entwickelt habe.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Parteien mit ihren wechselseitigen Berufungen.

Der Kläger ist der Auffassung, als angemessenes Schmerzensgeld stehe ihm ein höherer Betrag als vom Landgericht angenommen zu.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen weiteren Betrag in Höhe von 6.645,22 € nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie vertreten den Standpunkt, dem Kläger stehe keinerlei Anspruch auf Ersatz eines Personenschadens zu. Sofern es bei dem Kläger zu einer Schmerzverarbeitungsstörung gekommen sei, scheitere ihre Haftung jedenfalls am Fehlen eines Zurechnungszusammenhangs.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Vernehmung des Sachverständigen Dr. G. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des weiteren Vortrags der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils mit den darin enthaltenen Bezugnahmen sowie die Sitzungsniederschrift des Senats vom 08.09.2005 einschließlich des hierzu gefertigten Berichterstattervermerks.

Die Akten 18 O 433/00 des Landgerichts Essen und S 10 U 107/01 des Sozialgerichts Essen haben zu Informationszwecken vorgelegen.

II.

Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen und die Klage auf die Berufung der Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Denn die Klage ist unbegründet.

Wegen des Unfalls vom 08.12.1999 steht dem Kläger gegen die Beklagten kein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gem. §§ 823, 847 BGB, 3 PflVG zu. Die Beklagten sind auch nicht gem. §§ 7, 11, 18 StVG, 823 BGB, 3 PflVG verpflichtet, den vom Kläger geforderten materiellen Personenschadensersatz zu leisten. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall zu einer Körperverletzung des Klägers geführt hat oder zu einer Gesundheitsverletzung, die mit dem Unfall in einem haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang steht.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann, wie das Landgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, nicht als bewiesen angesehen werden, dass der Unfall unmittelbar eine Körper- oder Gesundheitsverletzung des Klägers verursacht hat. Hiervon ist auch im Berufungsverfahren auszugehen. In diesem Punkte hat der Kläger das Urteil nicht angegriffen.

Als anspruchsbegründende Primärverletzung kommt daher nur der psychische Schaden in Betracht, den der Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. G erlitten hat. Nach den Ausführungen dieses Sachverständigen ist es bei dem Kläger zu einer Schmerzverarbeitungsstörung, einer Anpassungsstörung mit somatoformen Schmerzstörungen auf dem Boden einer asthenisch-labilen Persönlichkeitsstruktur gekommen. Es handelt sich um eine psychische Reaktion des Klägers darauf, dass ihm durch seinen behandelnden Arzt nach röntgenologischer und computertomographischer Untersuchung erklärt wurde, es liege eine Fraktur des 6. HWK vor und es bestehe die Gefahr einer Querschnittslähmung. Diese Diagnose war, wovon nach dem in erster Instanz eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. I auszugehen ist, objektiv nicht gerechtfertigt.

Da sich der Kläger nach seiner Darstellung wegen unfallbedingter Befindlichkeitsstörungen in die ärztliche Behandlung des Dr. T begeben hat, ist der Unfall im naturwissenschaftlichen Sinne ursächlich für die objektiv fehlerhafte ärztliche Behandlung. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um auch eine Haftung der Beklagten für die Folgen der fehlerhaften Behandlung zu begründen. Denn dies würde voraussetzen, dass bei wertender Betrachtung zwischen dem Unfall und dem therapiebedingten psychischen Schaden ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Schädiger haftet nicht für therapiebedingte Primärschäden, also für Schäden, die dadurch entstehen, dass sich nach einem Unfall der im juristischen Sinne Nichtbetroffene in ärztliche Behandlung begibt und jetzt durch Falschbehandlung eine Gesundheitsverletzung erleidet. Es fehlt dann nämlich der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang, weil Unfall und Gesundheitsverletzung nur in einem äußeren, gleichsam zufälligen Zusammenhang stehen (vgl. Senat r + s 01, 62 = VersR 02, 78; Lemcke r + s 03, 177, 183).

Das Unfallereignis kann auch nicht als im haftungsrechtlichen Sinne zumindest mitursächlich für den psychischen Schaden des Klägers gewertet werden. Denn dass das Unfallereignis schon allein zu einem psychischen Schaden des Klägers mit Krankheitswert geführt hat, lässt sich nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. G nicht feststellen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Kläger ohne die Diagnose einer HWK-Fraktur mit der Gefahr einer Querschnittslähmung nicht in gleicher Weise psychisch reagiert hätte, und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass schon vor dem Unfallereignis eine psychische Störung vorgelegen hat, die durch den Unfall vertieft worden ist.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 97, 708 Nr. 10, 543 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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