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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.01.2000
Aktenzeichen: 6 U 191/99
Rechtsgebiete: StVO, StVG, VVG, ZPO


Vorschriften:

StVO § 7 V
StVG § 17
VVG § 67 I 2
VVG § 67
ZPO § 304
ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
ZPO § 546
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES GRUND- UND TEILURTEIL

6 U 191/99 OLG Hamm 8 O 195/98 LG Siegen

Verkündet am 10. Januar 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lemcke und die Richter am Oberlandesgericht Baur und van Beeck

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 17. Juni 1999 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Siegen abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 813,92 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 01.09.1998 zu zahlen.

Wegen des Erwerbsschadens ist die Klage nach einer Haftungsquote von 20 % dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger 20 % aller weiteren materiellen Schäden aufgrund des Unfalls vom 04.08.1997 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs auf Ersatz des Erwerbsschadens wird der Rechtsstreit zurückverwiesen an das Landgericht, das auch über die Kosten der Berufungsinstanz zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Parteien: unter 10.000,00 DM.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Kläger befuhr am 04.08.1997 mit seinem Pkw Ford Sierra die Autobahn mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h. Als er in Höhe einer Ausfahrt nach links auf den Überholfahrstreifen wechseln wollte, kollidierte er mit dem dort mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h von hinten herannahenden, vom Beklagten zu 1) geführten und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Mercedes 300 E. Die Fahrzeuge wurden beschädigt, der Kläger wurde verletzt.

Nach Einholung eines verkehrsanalytischen Gutachtens hat das Landgericht die auf vollen Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Beklagten zu 1) falle kein Verschulden zur Last; bei, der festgestellten Geschwindigkeit von ca. 160 km/h habe er den Unfall weder räumlich noch zeitlich vermeiden können; im Hinblick auf die Überschreitung der Autobahn-Richtgeschwindigkeit sei zwar der Unfall für ihn nicht unabwendbar gewesen; die Betriebsgefahr falle aber gleichwohl gegenüber dem erheblichen Verschulden des Klägers nicht ins Gewicht.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger nunmehr auf der Basis einer Haftungsquote der Beklagten von l/4 sein Begehren auf Ersatz materiellen Schadens weiter; die Abweisung der Schmerzensgeldansprüche nimmt er hin. Er meint, wegen der Überschreitung der Richtgeschwindigkeit müßten die Beklagten quotenmäßig beteiligt werden.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung hat teilweise Erfolg.

Zwar ist der Kläger in erster Linie für den Unfall selbst verantwortlich, weil er entgegen § 7 V StVO beim Fahrstreifenwechsel den rückwärtigen Verkehr nicht genügend beobachtet hat, und dem Beklagten zu 1) fällt keine verspätete Reaktion zur Last; das ist in dieser Instanz nicht mehr im Streit. Er hätte jedoch bei Einhaltung der Autobahn-Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, wie sich aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten ergibt, die Kollision problemlos räumlich vermeiden können. Daß er schneller gefahren ist und infolge dessen den Unfall nicht mehr vermeiden konnte, gereicht ihm zwar nicht zum Verschulden. Der Unfall war aber unter diesen Umständen für ihn nicht unabwendbar i. S. des § 7 StVG, weil ein besonders sorgfältiger, den Anforderungen dieser Vorschrift gerecht werdender Kraftfahrer die Autobahn-Richtgeschwindigkeit eingehalten hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.1992 - VI ZR 62/91 -, VersR 92, 714 m. Anm. Reiff = NJW 92, 1684 = DAR 92, 257).

Das Übergewicht des vom Kläger zu verantwortenden Verursachungsanteils führt bei der Abwägung gemäß § 17 StVG unter den vorliegenden Umständen nicht dazu, daß er seinen Schaden in vollem Umfang selbst zu tragen hat. Eine völlige Freistellung der Beklagten käme dann in Betracht, wenn die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1) geführten Pkw Mercedes durch ein geringfügiges Überschreiten der Richtgeschwindigkeit nur unbedeutend erhöht worden wäre (vgl. OLG Düsseldorf VersR 97, 334). Das war aber bei der vom Beklagten zu 1) gefahrenen Geschwindigkeit von 160 km/h nicht der Fall. Vielmehr führte die deutliche Geschwindigkeitsdifferenz dazu, daß die Gefahrensituation für ihn erheblich schwerer zu beherrschen war. Unter den vorliegenden Umständen erscheint es daher sachgerecht, daß die Beklagten 20 % des materiellen Schadens tragen (ähnlich OLG Hamm - 13. ZS - NZV 94, 193: 25 % bei 180 km/h).

2. Zur Schadenshöhe gilt folgendes:

2.1. Von dem Fahrzeugschaden macht der Kläger nach Inanspruchnahme seines Kaskoversicherers nur den Selbstbehalt i. H. v. 650,00 DM geltend. Diesen haben ihm die Beklagten in vollem Umfang zu ersetzen, denn für den Fahrzeugschaden von 6.800,00 DM haften die Beklagten entsprechend ihrer Quote von 20 %, also für 1.360,00 DM. In Höhe des Selbstbehalts von 650,00 DM stand gemäß § 67 I 2 VVG der Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens dem quotenbevorrechtigten Kläger zu; auf den Kaskoversicherer ging nur der danach verbleibende Rest des Schadensersatzanspruches über (zur Schadensabrechnung nach Inanspruchnahme des Kaskoversicherers vgl. BGH NJW 82, 827 und 829 = VersR 82, 283 und 383).

2.2. Das Quotenvorrecht des Klägers bezieht sich aber nur auf den unmittelbaren Sachschaden, bei dem die Kaskoentschädigung zu berücksichtigen ist. Beim Sachfolgeschaden ist sie dagegen nicht zu berücksichtigen, so daß insoweit der quotenmäßig beschränkte Anspruch allein dem Geschädigten zusteht; er wird vom Anspruchsübergang gemäß § 67 VVG nicht erfaßt.

Zum Sachfolgeschaden gehören auch die Verschrottungskosten. Sie sind nicht Gegenstand der Kaskoversicherung (vgl. Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, § 13 AKB Rdnr. 49), und sie dienen weder der Wiederherstellung des Fahrzeugs noch - wie etwa die Sachverständigenkosten - der Feststellung des Fahrzeugschadens, sondern fallen aus Umweltschutzgründen an. Es ist daher nicht gerechtfertigt, sie dem unmittelbaren Sachschaden zuzurechnen.

An Verschrottungskosten sind einschließlich Mehrwertsteuer 115,00 DM angefallen.

Zum Sachfolgeschaden gehören ferner die An- und Abmeldekosten 106,00 DM, die Kosten der Feuerwehr 325,00 DM und die Auslagenpauschale 40,00 DM. In gleicher Weise erhält der Kläger die im Bereich der Krankenversicherung angefallene Eigenbeteiligung in Höhe von 233,60 DM nur quotenmäßig ersetzt. Von der Summe von 819,60 DM haben die Beklagten entsprechend ihrer Haftungsquote 20 % 163,92 DM zu tragen, ferner den oben unter 2.1. behandelten im Bereich der Kaskoversicherung angefallenen Selbstbeteiligungsbetrag i.H. von 650,00 DM, so daß insgesamt 813,92 DM an materiellem Schaden zu ersetzen sind.

3. Der Feststellungsantrag ist angesichts der folgenschweren Verletzungen des Klägers zulässig und nach Maßgabe der Quote von 20 % begründet.

4. Bezüglich des Erwerbsausfallschadens ist der Rechtsstreit zur Höhe noch nicht entscheidungsreif. Der Senat hat deswegen gemäß § 304 ZPO ein Grundurteil erlassen und zur weiteren Aufklärung und Entscheidung den Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Die prozessualen Nebenentscheidungen im übrigen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO.

Ende der Entscheidung

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