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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.07.2009
Aktenzeichen: 6 U 203/08
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
BGB § 831 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Der Beklagte zu 1. ist des Rechtsmittels der Berufung verlustig, nachdem er die Berufung zurückgenommen hat.

2. Die Berufung der Beklagten zu 4. gegen das am 08.10.2008 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt:

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten zu 1. und 4. als Gesamtschuldner 5 % und die Beklagte zu 4. allein weitere 95 %. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte zu 1. und 4. jeweils selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klägerin macht geltend, am 15.01.2005 in einem Einkaufszentrum in F (City-Center) von einem mit Abfallbehältern beladenen Transportwagen angefahren und verletzt worden zu sein. Sie hat u.a. ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung 40.000,00 €) und 12.709,89 € Verdienstausfall für die Zeit bis zum 31.07.2006 sowie die Feststellung der weiteren Haftung begehrt.

Der Transportwagen ist speziell für das Einkaufszentrum gebaut worden. Voll beladen hat er eine Höhe von 2,03 m.

Der Beklagte zu 1., der bei der inzwischen insolventen H GmbH angestellt war, hat den Transportwagen am fraglichen Tag geschoben. Die Beklagte zu 4. ist die Betreiberin des Einkaufszentrums. Sie hatte die Reinigungsarbeiten nebst Verkehrssicherungspflicht auf H GmbH übertragen. Sie macht geltend, zum Einsatz des Transportwagens mündliche Anweisungen, den Transportwagen nur zu ziehen, nicht zu schieben, erteilt zu haben.

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens mit dem angefochtenen Urteil festgestellt, dass die Beklagten zu 1. und 4. verpflichtet sind, der Klägerin den über die bezifferten Schäden hinausgehenden materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall vom 15.01.2005 zu ersetzen, und hat im Übrigen die Klage gegen die Beklagten zu 1. und 4. dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Der Beklagte zu 1. hafte gem. § 823 BGB, weil er den Transportwagen ohne hinreichende Sicht nach vorn geschoben habe. Gegen die Beklagte zu 4. bestünden Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht und gem. § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen eines Organisations- und Überwachungsverschuldens. Sie habe nicht bewiesen, dass sie die Anweisung, den Transportwagen nur zu ziehen, ausreichend kontrolliert habe. Sie hätte ausreichend Vorsorge dafür treffen müssen, dass ein Schieben des Wagens unter allen Umständen verhindert wurde. Ein Mitverschulden der Klägerin sei nicht gegeben.

Gegen dieses Urteil haben der Beklagte zu 1. und die Beklagte zu 4. Berufung eingelegt. Der Beklagte zu 1. hat sein Rechtsmittel vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Die Beklagte zu 4. erstrebt mit der Berufung die Abweisung der Klage. Sie hafte nicht nach § 831 BGB, denn H GmbH und deren Beschäftigte seien nicht ihre Verrichtungsgehilfen. Die Verkehrssicherungspflicht habe sie wirksam übertragen und ausreichende Kontrollen durchgeführt. Insoweit sei die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zutreffend. Die Klage gegen sie sei außerdem treuwidrig, weil die Klägerin nicht die Haftpflichtversicherung der H GmbH in Anspruch genommen habe. Im Übrigen sei nicht bewiesen, dass die Klägerin tatsächlich von dem Beklagten zu 1. angefahren worden sei. Verfahrensfehlerhaft habe das Landgericht zwei von ihr benannte Zeugen nicht vernommen und den Schriftsatz vom 07.10.2008 nicht mehr berücksichtigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und das angefochtene Urteil Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten zu 4. ist unbegründet.

1.

Es ist bewiesen, dass die Klägerin von dem Beklagten zu 1. angefahren worden ist. Der Beklagte zu 1. hat bei seiner erstinstanzlichen Anhörung eingeräumt, die Klägerin erfasst zu haben. Er hat auch bestätigt, dass die Mülltonnen so hoch aufgestapelt waren, dass er nicht darüber hinwegsehen konnte. Der Zeuge T, der sich zufällig im Einkaufszentrum befand, hat ebenfalls ausgesagt, dass alle Ebenen des Transportwagens mit Mülltonnen vollgestellt waren. Er hat weiter angegeben, dass er ein dumpfes Geräusch gehört und die Klägerin auf dem Boden direkt vor dem Transportwagen liegen gesehen habe; die Klägerin habe Schürfwunden am rechten Bein gehabt. Nach alledem besteht kein Zweifel, dass der Beklagte zu 1. den Transportwagen geschoben, die Klägerin angefahren und sie verletzt hat.

2.

Zuzugeben ist zu der Berufung, dass die Beklagte zu 4. nicht nach § 831 BGB für das Verhalten des Beklagten zu 1. haftet. Der Beklagte zu 1. war bei der H GmbH beschäftigt. Ihm ist nicht von der Beklagten zu 4. eine Tätigkeit übertragen worden.

3.

Die Beklagte zu 4. haftet aber nach § 823 BGB, weil sie eine eigene Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.

Die Beklagte zu 4. hat zwar grundsätzlich die Reinigung des Gebäudes und die damit verbundene Verkehrssicherungspflicht wirksam auf H GmbH übertragen. Es ist jedoch anerkannt, dass der Übertragende weiterhin zur Überwachung des Dritten verpflichtet bleibt und insoweit neben diesem noch selbst verantwortlich bleibt (vgl. BGH, NJW 1999, 3633, 3634). Zum eigenen Eingreifen ist er dann verpflichtet, wenn er Gefahren sieht oder hätte sehen müssen, wenn er Anlass zu Zweifeln hat, ob der von ihm Beauftragte den Gefahren und Sicherungserfordernissen in der gebührenden Weise Rechnung trägt, oder wenn dessen Tätigkeit mit besonderen Gefahren verbunden ist, die auch von ihm, dem Auftraggeber erkannt und durch eigene Anweisungen abgestellt werden können (vgl. BGH NJW 1993, 1647, 1648).

Im vorliegenden Fall ist entscheidend, dass der Transportwagen eine spezielle Konstruktion gerade für dieses Einkaufszentrum war. Die Beklagte zu 4. hat den Transportwagen mit dem Erwerb des Objekts übernommen. Der Wagen war also Eigentum der Beklagten zu 4. Er wurde gerade von ihr der Reinigungsfirma zur Verfügung gestellt. Bei dieser Sachlage trafen die aufgrund der Konstruktion des Transportwagens erforderlichen Sicherungsmaßnahmen vorrangig die Beklagte zu 4.

Mit dem Schieben des beladenen Transportwagens war ein erheblicher Gefährdungsgrad für Passanten in dem Einkaufszentrum verbunden. Der Sachverständige X hat überzeugend dargelegt, dass dann eine erhebliche Sichtbehinderung nach vorn gegeben ist. Personen, die sich im Sichtschatten befinden, werden von dem Wagenschieber nicht wahrgenommen. Auch von Seiten des technischen Gebäudemanagements wurde das Schieben des beladenen Transportwagens als gefährlich angesehen, wie der Zeuge T2 ausgesagt hat. Da der Wagen ersichtlich von wechselndem Personal bedient wurde, reichte eine nur mündliche Anweisung, den Wagen nur zu ziehen, nicht aus. Der Beklagte zu 1. hat bei seiner Anhörung glaubhaft erklärt, dass ihm niemals gesagt worden sei, dass er den Wagen nur ziehen dürfe. Keiner der vernommenen Zeugen hat bekundet, dass gerade der Beklagte zu 1. entsprechend angewiesen worden wäre. Gerade weil der Transportwagen von unterschiedlichen Personen bedient wurde, war hier ein schriftlicher Hinweis am Wagen selbst geboten. Die Anbringung wäre problemlos möglich gewesen, wie der Sachverständige X ausgeführt hat. Die Unterlassung eines solchen schriftlichen Hinweises ist der Beklagten zu 4. als Eigentümerin des Transportwagens anzulasten.

Auch wenn nur auf die Kontrollpflichten abgestellt wird, ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. H GmbH arbeitete nicht beanstandungsfrei, wie der Zeuge N angegeben hat. Außerdem waren gerade wegen der erkannten Gefährlichkeit des Wagens beim Schieben insoweit spezielle Kontrollen geboten. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu fehlenden hinreichenden Kontrollen ist überzeugend. Die Zeugenaussagen waren pauschal, Kontrollbelege existieren nicht. Soweit der Zeuge T2 den Beklagten zu 1. nie den Transportwagen schieben gesehen haben will, ist das nicht überzeugend. Am Unfalltag hat der Beklagte zu 1. den Wagen jedenfalls geschoben. Es ist glaubhaft, dass er das immer so gemacht hat. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er gerade am Unfalltag eine abweichende Handhabung vorgenommen hat. Wenn aber das regelmäßige Schieben des Transportwagens durch den Beklagten zu 1. nicht aufgefallen ist, liegt es auf der Hand, dass die Kontrollen unzureichend waren.

4.

Die Inanspruchnahme der Beklagten zu 4. ist nicht treuwidrig. Die Haftpflichtversicherung der H GmbH hatte einen Versicherungsschutz wegen Obliegenheitsverletzung versagt, wie aus dem vorgelegten Schreiben der W AG (Bl. 111 d.A.) folgt. Auf einen ungewissen Rechtsstreit musste sich die Klägerin insoweit nicht einlassen.

5.

Ein Verfahrensfehler des Landgerichts liegt nicht vor. Der Zeuge K war nur dafür benannt, dass es eine ausdrückliche Anweisung, den Wagen zu ziehen, gegeben habe. Dazu musste er nicht gehört werden. Wenn er jetzt zu der Behauptung regelmäßiger Kontrollen benannt wird, ist dieser neue Beweisantritt nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Auch der Zeuge I, für den im Übrigen keine ladungsfähige Anschrift angegeben war und ist, war nur zu unwesentlichen Punkten benannt worden. Der Schriftsatz vom 07.10.2008 war nicht zu berücksichtigen, weil den Parteien nur eine Stellungnahmemöglichkeit bis zum 05.09.2008 eingeräumt worden war, und die Beklagte zu 4. insoweit auch Stellung genommen hatte.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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