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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 03.03.2006
Aktenzeichen: 7 UF 154/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1577 III
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 2.6.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Arnsberg wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

(abgekürzt gem. §§ 540 II, 313 a ZPO)

Die Berufung hat keinen Erfolg, denn die Klage auf Zahlung von Nachscheidungsunterhalt ist zur Zeit nicht begründet.

Dabei kann der Senat dahingestellt bleiben lassen, ob die Bedarfsberechnung der Klägerin in der Berufungsbegründung zutreffend ist. Selbst wenn dies so wäre und auch dann, wenn der Senat unterstellt, dass die Klägerin schon derzeit trotz des vorhandenen Kapitals einen Bedarf auf Vorsorge wegen Alters hat, kann die Klägerin nicht als bedürftig angesehen werden. Denn sie ist gemäß § 1577 III BGB gehalten, neben den Zinsen auch den Stamm ihres Vermögens zur Bedarfsdeckung einzusetzen.

Unter Abwägung aller erkennbaren Umstände kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass es der Klägerin zumutbar ist, einen Betrag von 40.000,00 € zur Bedarfsdeckung einzusetzen, und zwar unter den derzeit erkennbaren Verhältnissen in vollem Umfange.

Gemäß § 1577 III BGB braucht der Berechtigte den Stamm des Vermögens (nur) dann nicht zu verwerten, soweit die Verwertung unwirtschaftlich oder unter Berücksichtigung der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse unbillig wäre.

Hier kommt, da es sich um Geldvermögen handelt, nur in Betracht, dass die Vermögensverwertung unbillig sein könnte.

Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin einen Betrag von 40.000,00 € zur Deckung ihres Bedarfs einzusetzen hat.

In welchem Umfange Vermögen einzusetzen ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange der Beteiligten und aller erkennbaren Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (Nachweise bei Wendl/Staudigl, 6. Auflage, § 1, Rn. 410 ff.). Je größer das Vermögen ist, umso umfangreicher ist die Obliegenheit zur Verwertung. Nur kleinere Vermögen können ganz geschont werden, damit eine Reserve für Notfälle erhalten bleibt. Bei größeren Vermögen hat in der Regel ein Sockelbetrag als Schonvermögen zu verbleiben.

Bei dem Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt ist grundsätzlich jedes Vermögen, gleich welcher Herkunft, einzusetzen (ders., Rn. 411). Insbesondere der Umstand, dass das Geld aus einer Erbschaft stammt, steht der Berücksichtigung nicht entgegen (BGH FamRZ 1980, 43).

Die Klägerin hat aus dem Verkauf des ihr gehörenden Hauses einen Erlös von rund 207.000 € erzielt. Davon hat sie Verbindlichkeiten bei der Bank und bei dem Sozialamt abgelöst und andere Ausgaben bestritten, so dass ihr nach ihren Angaben in der Berufungsbegründung und in dem ergänzenden Schriftsatz vom 23.1.2006 Ende 2003/Anfang 2004 noch ein Kapitalbetrag von rund 132.500,00 € zur Verfügung stand. Davon hat sie an den Beklagten einen Vermögensausgleich in Höhe von 37.520,00 € geleistet, so dass 94.980,00 € restieren.

Der Senat hält es, davon gehen auch beide Parteien aus, für gerechtfertigt und im Hinblick auf eine sonst ggfls. zu besorgende "Doppelberücksichtigung" bei dem Vermögensausgleich einerseits und bei der Unterhaltsberechnung andererseits auch für geboten, der Klägerin einen gleich hohen Freibetrag zuzubilligen (BGH FamRZ 1985, 354). Es verbleiben ihr daher 57.460,00 €.

Weiter hält es der Senat unter Abwägung aller erkennbaren Umständen für gerechtfertigt, der Klägerin für Notfälle und sonstige Unwägbarkeiten einen weiteren "Freibetrag" von rd. 17.460,00 € zuzubilligen, so dass ein zur Bedarfsdeckung einzusetzendes Vermögen von 40.000,00 € restiert. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass der Beklagte den erhaltenen Vermögensausgleich von 37.520 € für unterhaltsrechtlich nicht zu missbilligende Zwecke verbraucht hat, während insoweit zu Lasten der Klägerin bisher nur ein Betrag von knapp 16.000 € berücksichtigt worden ist (148.231,00 € Restbetrag nach Leistung an die Bank und an das Sozialamt ./. 132.500,00 € Kontostand am Jahresende 2003 = 15.731,00 € Differenz zur Bestreitung von sonstigen Ausgaben, die die Klägerin auf S. 3 der Berufungsbegründung dargelegt hat).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht entscheidungserheblich, dass ihr Vermögen teilweise von ihren Eltern stammt. Wie dargelegt, wäre auch bei einer Erbschaft das Vermögen grundsätzlich zur Bedarfsdeckung heranzuziehen. Für den Fall der vorzeitigen Vermögensübertragung kann nichts anderes gelten. Im Übrigen hat der Beklagte unwidersprochen geltend gemacht, dass auch aus dem Vermögen seiner Eltern Beträge in die der Klägerin ehemals gehörende Immobilie geflossen sind.

Das Vermögen ist in vollem Umfange zur Deckung des derzeitigen Aufstockungsbedarfes heranzuziehen.

Vermögen dient unterhaltsrechtlich in der Regel der Sicherung des Unterhalts für die Zeit der Unterhaltsbedürftigkeit, ggfls. also für die Lebenszeit. Es soll auf der anderen Seite aber nicht den Erben erhalten werden (Wendl-Staudigl, § 1, Rn. 422).

Insoweit hat der Bundesgerichtshof (FamRZ 1985, 354) ausgeführt (Hervorhebungen durch den erkennenden Senat):

"Unter diesem Gesichtspunkt kann die Beurteilung einer Obliegenheit zur - unter Umständen zunächst teilweisen - Verwertung des Vermögensstammes nach § 1577 III BGB im Einzelfall maßgeblich von der voraussichtlichen Dauer der Unterhaltsbedürftigkeit des unterhaltsberechtigten Ehegatten sowie davon abhängen, welche Ertragsmöglichkeiten das zur Verfügung stehende Vermögen - dauerhaft - bietet".

Damit ist keineswegs höchstrichterlich postuliert, dass in jedem Einzelfalle gewährleistet sein muss, dass das Vermögen tatsächlich ausreicht, um den Unterhaltsbedarf nach den fortgeschriebenen ehelichen Lebensverhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung lebenslang decken zu können. Es handelt sich vielmehr nur um ein - wenn auch gewichtiges - Kriterium bei der gebotenen umfassenden Gesamtabwägung, die, wie der BGH entscheiden hat, Sache des Tatrichters ist.

Dabei hat der Senat einmal in Rechnung gestellt, dass der Klägerin ein erhebliches Vermögen verbleibt, während der Beklagte (nach dem Verbrauch des ihm zugeflossenen Vermögensausgleiches) ohne Vermögen, also zur Deckung seines Lebensbedarfes allein auf sein laufendes Erwerbseinkommen angewiesen ist. Diese Einkünfte sind, auch wenn die Berechnungen der Klägerin als zutreffend unterstellt werden, als unterdurchschnittlich zu bewerten. Nach Abzug des Kindesunterhaltes und des "Anreizsiebtels" errechnet die Klägerin für 2004 rund 1.225,00 € monatlich. Es müsste bei verständigen Beteiligten auf Unverständnis stoßen, wollte man den Beklagten bei einem dem Grunde nach einzusetzenden Vermögen der Klägerin von 40.000,00 € für verpflichtet halten, aus seinen laufenden Einkünften Nachscheidungsunterhalt zu zahlen, weil er dann jedenfalls der Grenze der Leistungsfähigkeit nahe käme.

Auch das Argument der Klägerin, sie benötige den Stamm des Vermögens als vorsorgenden "Insolvenzschutz", verfängt nicht. Einmal handelt es sich dabei um das jeden Unterhaltsberechtigten wie auch jeden anderen Gläubiger treffende Risiko. Dieses wird sich im Übrigen aller Voraussicht nach jedenfalls insoweit nicht realisieren, als es um den Erhalt des Arbeitsplatzes des Beklagten geht, denn dieser ist Angestellter im Öffentlichen Dienst.

Dass Umstände eintreten könnten, die die spätere ganz oder teilweise eintretende Leistungsunfähigkeit des Beklagten besorgen lassen könnten, ist derzeit nicht absehbar. Ihnen mag ggfls. später Rechnung getragen werden.

Der Senat hat nicht übersehen, dass es der Klägerin praktische Schwierigkeiten bereiten wird, ihren (späteren) etwaigen Unterhaltsanspruch zu gegebener Zeit darzulegen und zu beweisen. Sie wird dann nämlich für die gesamte vergangene Zeit darzulegen und zu beweisen haben, welchen Bedarf nach den fortgeschriebenen ehelichen Lebensverhältnissen sie hatte und inwieweit dieser durch Kapitalverzehr gedeckt werden konnte.

Diese praktischen Schwierigkeiten sind indessen abzuwägen mit den erheblichen Unsicherheiten und Schwierigkeiten, die entstünden, wollte man das Kapital auf eine etwaige lebenslange Unterhaltsteilbedürftigkeit der Klägerin umlegen (zu diesem Problem MüKo-Maurer, BGB, 4. A., § 1577, Rn. 28). Eine Fehlprognose kann hier dazu führen, dass der Berechtigten viel mehr Kapital verbleibt als ihr unterhaltsrechtlich gebührt. Das kann auch dann geschehen, wenn die Unterhaltsbedürftigkeit der Berechtigten, etwa aufgrund einer Wiederheirat, alsbald wegfällt.

Im Hinblick auf die Vermögenslosigkeit des Beklagten und seine bescheidenen laufenden Bezüge erscheint eine Nicht- oder nur Teilzurechnung des Vermögensstammes der Klägerin zur Deckung ihres laufenden Aufstockungsbedarfes nicht als angängig.

Vielmehr hat eine Vollzurechnung zu erfolgen.

Die die Klägerin treffenden Schwierigkeiten bei der späteren Darlegung ihres Bedarfes sind, auch im Hinblick auf das Regel/Ausnahmeprinzip des § 1577 III BGB, von ihr hinzunehmen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 I, 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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